Tourismus und Corona in Spanien: Neustart in Barcelona

Die linke Stadtverwaltung will den Tourismus nachhaltiger gestalten. Und künftig sollen weniger bekannte Viertel stärker beworben werden.

Strand spiegelt sich in Fenster hinter dem eine Reinigungskraft zwischen Restauranttischen mit dem Schrubber unterwegs ist

Warten auf die Gäste am Strand von Barcelona Foto: Emilio Morenatti/ap

Das gab es schon lange nicht mehr. Ein Spaziergang auf den Ramblas, der zentralen Straße in der Altstadt Barcelonas und kein Schubsen und Drängen. Statt Englisch, Deutsch, Französisch bestimmt wieder das Katalanische und Spanische die Geräuschkulisse. Barcelona, das in den letzten Jahren Touristen anzog wie keine andere Stadt in Spanien, kommt in Zeiten von Covid-19 zur Ruhe. Billigflieger und Kreuzfahrtschiffe, Übernachtungen bei Airbnb und in Hotels gehören – zumindest vorübergehend – der Vergangenheit an.

„Es ist ein entscheidender Moment, um den Tourismus in Barcelona zu überdenken“, sagt die Geschäftsführerin der Schule für Tourismus, Hotel und Gaststättengewerbe in Barcelona (CETT), Maria Abellanet. Sie will den Stillstand nutzen. „Denn wir haben es nicht ­geschafft, das Gleichgewicht zwischen Einwohnern und Touristen herzustellen“, analysiert sie in einem Artikel in der katalanischen Zeitung La Vanguardia.

Dass dieses Gleichgewicht ordentlich aus den Fugen geraten ist, zeigen die Zahlen von 2019. Mit seinen 1,6 Millionen Einwohnern empfing die katalanische Hauptstadt Barcelona 2019 28 Millionen Touristen. In den letzten Jahren wurden immer mehr Wohnungen von Investoren zu Ferienunterkünften umgestaltet. Aus alteingesessenen Geschäften wurden Souvenirshops und schicke Bistros und Kneipen.

Dann kam Covid-19. Ab Mitte März bis Ende Juni herrschte Lockdown in Spanien. Die Grenzen waren weitgehend geschlossen. Auch nach Ende des Alarmzustandes und dem Übergang zur „neuen Normalität“ kamen weit weniger Touristen als gewöhnlich. Im Juli ging der Flugverkehr um über die Hälfte zurück. Kreuzfahrtschiffe legen keine mehr an. Und jetzt wo die zweite Infektionswelle Spanien heimsucht, sorgen Reisewarnungen dafür, dass kaum mehr jemand nach Spanien reist.

Die zweite Welle

In Barcelona öffneten nach dem Lockdown gerade einmal 27 Prozent der Hotels mit einer Auslastung unter 20 Prozent. Die internationalen Besucher bleiben aus. Erstmals seit Anfang der 1990er Jahre halten sich die Zahl der internationalen und nationalen Besucher wieder die Waage – freilich auf sehr niedrigem Niveau.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Eigentlich sollte im September alles besser werden. Von knapp 50 Prozent geöffneter Hotels gingen die Vorhersagen der Stadtverwaltung aus. Das war vor der zweiten Infektionswelle und vor den Reisewarnungen. Nach einem schlechten Sommer kommt jetzt ein wohl noch schlechterer Herbst und Winter ohne Touristen und vor allem ohne Kongresse. In normalen Zeiten trägt der Tourismus rund 12 Prozent zum BIP der Stadt Barcelona bei und stellt neun Prozent der Arbeitsplätze.

Für CETT-Geschäftsführerin Abellanet ist diese Katastrophe für die Tourismusbranche zugleich eine Chance für einen Neubeginn im Zeichen der Nachhaltigkeit. „Barcelona muss daran arbeiten, sein soziales Gefüge und seine kulturelle Identität zu bewahren, und dafür müssen der private und der öffentliche Sektor noch enger zusammenarbeiten.“ Ihr schwebt eine „Marke Barcelona“ vor, für Besucher, die Kultur und Innovation suchen.

In der Stadtverwaltung der linksalternativen Bürgermeisterin Ada Colau sehen sie das ähnlich. „Wir spielen Fußball ohne Ball, das ist die Realität. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass Tore auch erzielt werden können, wenn wir wissen, wie man eine gute Strategie entwickelt“, sagt Xavier Marcé, Stadtrat für Tourismus und Kreativwirtschaft in Barcelona. Er kündigt Investitionen im Tourismus an: 9,3 Millionen Euro aus den Abgaben, die Barcelona-Besucher pro Nacht bezahlt haben, sollen in Programme für eine nachhaltige Post-Covid-Entwicklung fließen.

Umbau des Tourismus

Im Herbst soll eine Kampagne für die nächsten Weihnachtsferien beginnen, und im Sinne eines nachhaltigeren Tourismus werden Kulturveranstaltungen und Festivals ganz besonders gefördert werden. Die Stadtverwaltung will vor allem Kreativität, Kultur, Stadtplanung und die Attraktionen nicht so bekannter Stadtviertel in den Vordergrund stellen.

Die Idee der Nachhaltigkeit ist nicht neu. Barcelona hat sich seit 2017 dem Umbau des Tourismus verschrieben. Die linksalternative Stadtverwaltung vergab in der Innenstadt keine weiteren Lizenzen für Ferienwohnungen und kontrollierte die bestehenden. Doch der Schaden ist da: Die Mietpreise sind so hoch, dass die angestammte Bevölkerung immer größere Schwierigkeiten hat, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Jetzt in Zeiten des Virus gehen die Mietpreise erstmals seit Langem wieder zurück.

„Wir haben die Möglichkeit gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen, wenn wir nach einem verantwortungsvollen Tourismus mit Mehrwert suchen“, erklärt der Präsident von Turisme de Barcelona, Eduard Torres. Zu diesem Tourismuskonsortium gehört neben der Stadtverwaltung auch die Industrie- und Handelskammer. Kern des nachhaltigen Umbaus könnten die 106 Unternehmen sein, die bereits mit dem Biosphären Zertifikat für ausgewogenen, nachhaltigen Tourismus ausgezeichnet wurden. 80 weitere sind Anwärter auf diesen Titel.

Für Torres darf Nachhaltigkeit künftig nicht mehr eine Frage des guten Willens einiger weniger sein. „Wir müssen alle gemeinsam unseren Beitrag leisten, um herausragende Leistungen zu erbringen und somit ein Maßstab für nachhaltigen Tourismus zu sein“, sagt er.

„Viele werden auch nach Ende der Krise weiterhin Orte ohne Menschenmassen, nähere und sicherere Ziele bevorzugen“, meint die deutsche Reiseführerin Almuth Intemann. Sie glaubt fest daran, dass die Pandemie die Reisegewohnheiten dauerhaft verändern wird. Intemann setzt seit Jahren auf Klasse statt auf Masse. Sie arbeitet für Agenturen, die Kulturreisen für kleine Gruppen unter anderem in die katalanische Hauptstadt anbieten.

„Genau solche Reisen werden die Menschen in Zukunft verstärkt suchen“, ist sie sich sicher. Nachhaltigkeit bedeutet für sie „Treffen mit Leuten vor Ort, kleine Hotels, kleine Restaurants … alles was zur Entwicklung der Ökonomie der Bevölkerung beiträgt. So nimmst du was mit, wenn du wieder nach Hause fährst“, sagt Intemann. Ihre Reisen wurden von März bis heute alle abgesagt.

„Zum Schluss hatte ich noch eine sechsköpfige Wandergruppe für die Pyrenäen für Anfang September. Dort gibt es so gut wie keine Covid-Fälle. Nach der Reisewarnung durch die Bundesregierung haben die Teilnehmer dennoch alle storniert.“

Während alle von Nachhaltigkeit reden, sorgt Covd-19 auch für gegenteilige Entwicklungen. Die Angst vor Ansteckung könnte jahrelange Arbeit in Sachen nachhaltiger Mobilität zunichte machen. Wie in anderen Städten auch, greifen wieder mehr Bürger zum Autoschlüssel statt zur Monatskarte, wenn sie sich in der Stadt bewegen müssen. Die Stadtverwaltung versucht dieser Tendenz mit Teilsperrungen von Straßen zugunsten von Radfahren und Fußgängern entgegenzuwirken.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.