Digitale Revolution erreicht Sexpuppen: Objekte der Begierde
In ihrem Dortmunder „Bordoll“ bietet Evelyn Schwarz der Kundschaft Sexpuppen statt Frauen an. Sie sind oft ausgebucht.
Diana ist eine Sexpuppe. Sie ist 158 Zentimeter groß, wiegt 30 Kilo und wird ohne Intimbehaarung ausgeliefert. Ihr silbergraues Kunsthaar reicht bis zur Hüfte. Im Dortmunder „Bordoll“ – Deutschlands erstem Sexpuppen-Bordell – ist Diana ein Star. Ständig klingelt das Telefon, weil ein Freier speziell nach diesem Modell verlangt.
„Musst dich ein bisschen gedulden“, sagt die Empfangsdame. „Oder du probierst mal eine andere.“ Insgesamt 15 Puppen stehen im Bordoll zur Auswahl: kleine, große, dicke, dünne. Die Haut kann hell sein oder dunkel, die Oberweite bescheiden oder üppig. Sogar die Ohren sind variabel: rund oder spitz, wie im Fantasyroman.
„Geschmäcker sind eben verschieden“, erklärt Evelyn Schwarz, die Inhaberin des Bordolls. Noch bis zum vergangenen Jahr beschäftigte die 30-Jährige ausschließlich menschliche Sexarbeiterinnen. „Dann habe ich eine Reportage im Fernsehen gesehen“, erzählt Schwarz. In Japan seien sowohl Puppen als auch Roboter bereits ein fester Teil des Intimlebens. Das müsste doch auch in Europa gehen, dachte sich Schwarz – und bestellte in China ihre ersten beiden Sexpuppen, 1.000 bis 1.500 Euro pro Stück. „Am Anfang habe ich sie nur sonntags angeboten, aber sie waren immer ausgebucht. Da habe ich gemerkt, wie groß der Bedarf ist.“
„Manche wollen für ihre Freundin üben“
Die Zielgruppe überschneidet sich nur teilweise mit den üblichen Bordell-Besuchern. Wer mit einer Sexpuppe schläft, leidet laut Schwarz oft unter sozialen Defiziten. „Viele unserer Kunden trauen sich nicht, einer echten Frau in die Augen zu schauen. Manchen wollen ihr erstes Mal ohne Stress erleben oder für ihre Freundin üben.“
Evelyn Schwarz, „Bordoll“-Betreiberin
Die meisten Freier seien männlich; hin und wieder kämen aber auch Frauen oder Paare vorbei, die etwas Neues ausprobieren wollten (es gibt auch männliche Sexpuppen). Und dann wäre da noch das schlechte Gewissen: „Es gibt viele verheiratete Männer, die ihre Frau nicht mit einer anderen betrügen wollen“, sagt Schwarz. Eine andere – also eine lebendige Frau.
Die neuen Sexpuppen sind eine konsequente Weiterentwicklung. Weiche, warme Haut, biegsames Skelett, menschliches Aussehen. Und das ist erst der Anfang. Nicht mehr lange, dann werden sich die passiven Plastikkörper zu intelligenten Liebesdienern entwickeln, ausgestattet mit Sensoren und Sprachausgabe.
Schon heute arbeiten Unternehmen in aller Welt an der nächsten Generation. So etwa der Neurowissenschaftler Sergi Santos in Barcelona, der die leblosen Silikonhüllen mit künstlicher Intelligenz ausstatten will. Der Prototyp, genannt Samantha, könne bereits einfache Sätze verstehen und beantworten – und einen programmierten Orgasmus erleben. „Solche Puppen retten viele Ehen“, prahlt Santos in einem TV-Interview.
Tatsächlich scheinen die Vorbehalte gegenüber Sexrobotern zu fallen. Jeder dritte Deutsche und jeder vierte Franzose würde gerne einmal mit einem schlafen. Das zumindest legt die Studie Homo digitales nahe, an der unter anderem das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) beteiligt war. Der Zukunftsforscher Ian Petersen von der Australian National University geht noch einen Schritt weiter. Er glaubt, dass Sex mit intelligenten Robotern in Zukunft so gut sein wird, dass menschliche Intimität verschmäht wird. Das könnte sich sogar auf das Fortpflanzungsverhalten auswirken.
Können Puppen zu Kill-Robotern werden?
Dementsprechend kritisch fallen die Reaktionen auf den neuen Trend aus. Manche IT-Fachleute warnen bereits vor einer neuen Gefahr durch ferngesteuerte Sexroboter. Wenn Hacker die Internetverbindung kapern, könnten sich die willigen Liebessklaven in programmierte Killer verwandeln. In Großbritannien hat sich eine Kampagne gegen Sexroboter gegründet, angeführt von der britischen Ethik-Professorin Kathleen Richardson. Die Wissenschaftlerin warnt davor, dass Männer durch Sexroboter abstumpfen. Eine Puppe sagt nie Nein, eine Puppe lässt alles mit sich machen. Bestärkt eine solche Situation womöglich einen Vergewaltiger?
Im Bordoll kennt man solche Argumente. Evelyn Schwarz hat Kunden, die ihre Puppen auspeitschen, sie komplett in Mullbinden einwickeln oder ihnen den Kopf abschrauben. Eine Sexpuppe hält im Bordoll nur etwa ein halbes Jahr; danach muss sie wegen Beschädigungen oder Verschleißerscheinungen ausgetauscht werden. Sind solche Fetische ein Problem? Oder eine Begleiterscheinung?
Für Evelyn Schwarz ist die Sache klar: „Wir urteilen nicht über unsere Kunden“, sagt sie. Wer dunkle Fantasien in sich trage, habe diese auch ohne einen Besuch in ihrem Bordoll. „Bei uns können sich die Leute austoben“, sagt Schwarz. „Da gehört es dazu, die eigenen Bedürfnisse auch mal egoistisch auszuleben.“
Manchmal, wenn es zu wild im Schlafzimmer zugeht, müssen die menschlichen Prostituieren den Freiern zu Hilfe kommen. So wie kürzlich, als ein älterer Herr eine Puppe aus Versehen vom Bett warf. „Sie war so schwer, dass er sie alleine nicht wieder aufrichten konnte“, erzählt Schwarz. Zu solchen „Unfällen“ komme es immer mal wieder. Mal breche das Metallskelett der Puppen, ein anderes Mal komme es zu Rissen im Intimbereich. Schadenersatz verlange sie dafür aber nicht, betont Schwarz. Die Puppenmutter grinst. „Für uns ist gehört das zum Berufsrisiko.“
Puppen als Agressionsobjekte: gut oder schlecht?
Die Fronten sind klar. Befürworter von Sexpuppen sehen sie als Ventil, als Möglichkeit für Männer (und manchmal auch Frauen), aufgestaute Fantasien und Aggressionen rauszulassen. Lieber eine Puppe als ein echter Mensch – so die Argumentation. Die Gegner argumentieren genau anders herum: Wer eine Puppe misshandelt, macht das irgendwann auch mit einer echten Frau. Nur: Beide Sichtweisen sind zunächst einmal Behauptungen, emotional aufgeladene noch dazu. Bislang gibt es keine Studien, die die langfristige Wirkung von Sexpuppen ergründen.
Die Psychologin Ulrike Plogstieß vertritt eine differenzierte Position „Ich kann solche Puppen weder befürworten noch ablehnen“, sagt die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft. Jeder Mensch sei anders, eine „normale Sexualität“ gebe es ohnehin nicht. Insofern seien Sexpuppen und -roboter nur eine weitere Spielart der Sexualität. „Die Digitalisierung ist im Sexleben längst angekommen“, sagt Plogstieß. 98 Prozent aller jungen Männer bis 30 konsumierten Internetpornografie. „Das hat mannigfaltige Auswirkungen: Manche integrieren diese Dinge in ihre Partnerschaft, andere haben gar kein Interesse mehr, durch ihre Partnerin erregt zu werden.“
Haben Sexpuppen also negative Folgen? Enthemmen sie gar? Auch da gibt sich die Expertin zurückhaltend. „Menschen können immer zu potenziellen Tätern werden“, sagt Plogstieß. „Die Gewaltfantasien sind dann schon vorhanden; dafür braucht es keine Puppe.“ Dass sexuelle Gewalt durch solche Puppen „getriggert“ wird, könne aber trotzdem vorkommen. „Diese Fälle wird es geben.“
Vielleicht sind die Sorgen um eine Allmacht der Roboter, um Konkurrenz im Sexgewerbe und abstumpfende Freier aber auch übertrieben. Simone Wiegratz, Leiterin der Prostituiertenberatungsstelle Hydra in Berlin, hält solche Gedankenspiele jedenfalls für weit hergeholt. „Im Alltag spielt diese Diskussion so gut wie keine Rolle“, sagt Wiegratz. „Dass der Sex bald automatisiert wird, kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen“, meint sie. „Auch in der Pflege wollen manche die Menschen durch Roboter ersetzen. Da habe ich meine Zweifel, ob das funktioniert.“ Natürlich gebe es auch in der Prostitution einen Personalmangel. „Da gibt es schon den Fall, dass manche Bordellbetreiber sich Puppen anschaffen, um das auszugleichen“, sagt Wiegratz. „Aber ich glaube nicht, dass das insgesamt ein großes Thema ist. Wir sind eben nicht Japan.“
Belastbare Statistiken, wie verbreitet die künstlichen Sexarbeiterinnen in Deutschland sind, gibt es nicht. Schon die Zahl der Menschen, die in der Sexindustrie arbeiten, ist umstritten, weil trotz aller Bemühungen ein Teil der Prostitution in der Illegalität stattfindet. Die Beratungsstelle Hydra geht von etwa 400.000 Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern in Deutschland aus – andere Schätzungen liegen weit darüber und darunter. Wo und wie viele „dolls“ zum Einsatz kommen, weiß erst recht niemand.
Die Scham ist groß
Das Rotlichtmilieu ist, wie so vieles, ein Spiegelbild der Gesellschaft. Da wundert es nicht, dass auch dort die Digitalisierung voranschreitet. Aber: „Trends kommen und gehen“, sagt Beraterin Simone Wiegratz. „Vor ein paar Jahren gab es eine große Diskussion über Flatrate-Bordelle. Heute spricht kaum noch jemand darüber.“ Ob das aber auch für Sexpuppen zutrifft? „Das werden wir sehen.“
Eine einfache Antwort scheint es nicht zu geben, so wie beim Thema Prostitution insgesamt: Das Gewerbe boomt, allen Verboten und Debatten zum Trotz. Im Dortmunder Bordoll sind die Kunden vorsichtig, um nicht von Nachbarn oder Kollegen gesehen zu werden. „Die Scham ist groß“, sagt Betreiberin Evelyn Schwarz. „Viele denken, wer mit einer Puppe schläft, muss krank sein.“ Dabei habe es schon immer Männer gegeben, die für Sex bezahlten, und es werde sie immer geben. Ob mit einer Frau oder einem Roboter, spiele für sie keine Rolle.
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