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Diesel-Autos in InnenstädtenMerkel will Fahrverbote verhindern

Die Bundesregierung will Diesel-Fahrverbote erschweren. Fraglich ist jedoch, ob die geplante Gesetzesänderung praktische Folgen haben wird.

Im Wahlkampf-Visier: Autos in Hessen Foto: dpa

BERLIN taz | Die Bundesregierung will Diesel-Fahrverbote in Innenstädten per Gesetz für „unverhältnismäßig“ erklären, sofern der EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid um nicht mehr als 25 Prozent überschritten wird. Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabend angekündigt. Dadurch könnten die bevorstehenden Fahrverbote in Frankfurt ihrer Einschätzung nach noch verhindert werden, sagte Merkel. Umgesetzt werden soll das Vorhaben durch eine Änderung der Bundesimmissionsschutzverordnung.

Insgesamt haben im letzten Jahr 70 deutsche Städte den EU-Grenzwert überschritten. In 51 davon lagen die gemessenen Werte bei 41 bis 50 Mikrogramm – also maximal 25 Prozent über dem zulässigen Wert. In diesen Fällen, so argumentiert die Regierung, genügten die beschlossenen Maßnahmen, etwa eine Nachrüstung von Bussen und kommunalen Fahrzeugen, um die Grenzwerte mittelfristig zu erreichen. Fahrverbote seien dort darum unverhältnismäßig.

Gerichte hatten allerdings bisher in vielen Fällen entschieden, dass Kommunen Fahrverbote verhängen müssen, weil andere Maßnahmen nicht oder zumindest nicht schnell genug wirksam sind. Eine zwingende Nachrüstung der Diesel-Motoren, die das Problem nach Ansicht vieler Experten lösen würde, lehnt die Regierung bisher ab.

Zustimmung kam von NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU). „Der Vorschlag der Kanzlerin geht genau in die richtige Richtung“, erklärte sie. „Eine gesetzliche Klarstellung zur Verhältnismäßigkeit von Diesel-Fahrverboten würde uns helfen.“

Die Konsequenzen sind noch offen

Die Deutsche Umwelthilfe, die bereits in mehreren Fällen Fahrverbote vor Gericht durchgesetzt hat und in weiteren darauf klagt, reagierte hingegen empört auf den Vorschlag. „Was wir hier erleben, ist eine durch Panik vor einem Wahldebakel gesteuerte Pseudopolitik, die weder Hand noch Fuß hat“, sagte DUH-Chef Jürgen Resch. Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Stephan bezeichnete Merkels Vorschlag als „zynisches Spiel auf Zeit“. Der Versuch werde „zwangsläufig vor Gericht landen“.

Tatsächlich ist es sehr fraglich, ob die geplante Gesetzesänderung praktische Folgen haben wird. Untersagen könne die Bundesregierung solche Fahrverbote nicht, stellte ein Sprecher von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) klar: „Am Ende entscheidet eine Kommune selbst, ob sie ein Fahrverbot verhängt oder nicht.“

Was wir hier erleben, ist eine durch Panik vor einem Wahldebakel gesteuerte Pseudopolitik, die weder Hand noch Fuß hat

Jürgen Resch, Umwelthilfe-Chef

In vielen Fällen sind die Kommunen zudem von Gerichten zur Einführung von Fahrverboten verpflichtet worden. Und die haben in bisherigen Urteilen – bis hin zum Bundesverwaltungsgericht – klar gemacht, dass deutsche Rechtsvorschriften, die die Durchsetzung von Europarecht verhindern, nicht durchgesetzt werden können. „Ein solches Gesetz müssen Gerichte ignorieren“, meint darum DUH-Anwalt Remo Klinger.

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11 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Alle politischen Gegner sollten sich bei Frau Merkel bedanken. Und ihre FreundInnen in der Taz-Redaktion betreten schweigen.

    Welch eine Offenbarung an Demokratieverständnis. Da schlägt wohl die Sozialsisation in der Zone durch. Knorke. Biegen wir uns die Gesetze so zurecht, wie sie die Automobil-Industrie braucht. Die Anwohner zahlen schon den Preis.



    Deutschland 2018.

    Doch Obacht: der Gegenwind bläst bereits. Eine erste Kostprobe wird Volker Buffjeh am Sonntag nehmen dürfen. Ich sehe mit Zuversicht der Hessenwahl entgegen. Und freue mich mit Anderen zusammen auf "winds of change".

    Mein Kreuz habe ich als Briefwähler bereits an der richtigen Stelle gemacht. Und der Crémant ist schon kaltgelegt. Mann gönnt sich ja sonst nichts. Dafür faste ich gerne einige Tage.

  • Panik ist wohl die richtige Diagnose. Merkels Fehler werden gravierender. Die Klimakanzlerin und Vorzeige-Europäerin will zum Vorteil der deutschen Automobilindustrie europäisches Recht brechen.

  • Das nennt die Kanzlerin "Markt konforme Demokratie", was einer Delegation des Regierens an die Märkte (Industrie und Banken) entspricht. Zur Unterstützung hat sie die "INSM Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" erfunden? Ich empfehle jedem hin zu schauen (u.a. GOOGLE) und zeigt welche Rolle die Lobbyisten, Medien, Werbung, als Ersatz führ humanistische Bildung an Schulen uns zumutet wird.

  • Yay, Klimakanzlerin! Vielleicht schafft sie ja auch den Braunkohleausstieg bis 2050 ... ;/

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Uranus:

      NEIN. Wir schaffen sie!!!

  • Finde ich sehr vernünftig. Es ist absurd, dass jahrelang deutlich höhere Werte kein Hindernis waren und jetzt auf den letzten Drücker müssen auf einmal Fahrverbote her, wo die Grenzwerte fast eingehalten werden (und mit jedem verschrotteten alten Auto und neu gekauften modernen Auto weiter sinken werden).

    Soweit ich weiß, muss auch nicht der Bundesrat zustimmen, so dass die Grünen nix dagegen machen können.

  • Die Diskussion um die Gesundheitsgefährdung durch Stickoxide ist eine Farce. Es gibt keinerlei Hinweise, dass NOx in den genannten Konzentrationsbereichen schädlich sind. Es sind insbesondere die Feinstaub-Emissionen durch den Verkehr, die krank machen. Dagegen hilft kein Ad Blue, sondern nur gute Filter, die Diesel mehr haben als Benziner, und weniger motorisierter Verkehr insgesamt.



    Diese Umrüstungs- bzw Umtauschdebatte ist ein Hoax. Aber Fakten interessieren auch hier nicht.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Ignaz Wrobel:

      ...stimmt, Fakten interessieren hier nicht. Autoabgase fördern die Gesundheit und wer das Gegenteil behauptet, der lügt.

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Frau Merkel benimmt sich inzwischen so armselig und gesetzeswidrig, daß man sich frägt, ob sie polnische, ungarische, italienische Verhältnisse hier einführen will. Nur weil sie eine so heillose Angst hat, diese erneute Luftnummer des CSU-Verkehrsministers zu feuern. Sie könnte wissen, daß sie aus Bayern an Ministerpersonal nur noch Ramschware 3. Wahl bekommt, die entweder im 12-Stundentakt Veitstänze vollführen oder wo die jeweilige Ministerattrappe nur noch Luftballons aufbläst, denen bereits nach 2 Sekunden die Luft ausgeht. Dobrindt war schon ein einzigartiges Exemplar, aber Scheuer schlägt ihn meilenweit.



    Das ist das Hauptproblem von Merkel und der CDU, daß sie nur noch Ausschuß aus Bayern bekommt.

    • @91672 (Profil gelöscht):

      Bekäme Sie Seehofer, Söder oder jemensch andere, dann wäre alles besser? Ist es nicht eher ein Ideologie (Neoliberalismus) bzw. Herrschaftsproblem (Einfluss der Kapitalseite)?

      • 9G
        91672 (Profil gelöscht)
        @Uranus:

        Nein, Sie haben mich nicht verstanden. Aus Bayern kommen nur noch solche 3. Wahl-Typen wie Seehofer, Dobrindt, Schmidt, Scheuer. Ausschuss, der sich nur noch die Taschen vollfüllen läßt mit Schmiergeldern aus der bayerischen Rüstungs- und Autoindustrie und alles, nur kein Interesse an dem Wohlergehen von Deutschland hat.