Die Zukunft des Films: Narrativer Schutzraum
Serien hinterlassen oft eine große Leere. Dagegen wirken Filme in ihrer Abgeschlossenheit eher tröstlich. Sie werden auch in Zukunft gebraucht.
Im Freundeskreis kommt im Gespräch übers Kino oft die Auskunft: „Wir gucken eigentlich kaum noch Filme.“ Stattdessen würde man lieber Serien sehen. Die langen Formate böten mehr Möglichkeiten, komplexe Geschichten zu erzählen. Was selbstverständlich stimmt. Auf anderthalb, zwei oder drei Stunden, die so ein Film meist dauert, gibt es halt weniger Platz, sich den einzelnen Figuren und ihrer Entwicklung zu widmen.
Für das Kino bedeuten die Serien, die mehrheitlich daheim oder mobil, in der Regel aber nicht auf der Leinwand zu erleben sind und mit denen Streamingdienste ihre Haupteinnahmen bestreiten, inzwischen eine doppelte Konkurrenz. Schließlich produzieren Anbieter wie Netflix oder Amazon nicht bloß Serien, sondern obendrein immer mehr Spielfilme.
Wobei das Angebot im Seriensortiment allein schon mehr als beachtlich ist. Man könnte jetzt in Panik geraten, dass bei dem großen Pensum an abzuarbeitenden Pflichtserien kaum noch Kapazitäten bleiben, sich daneben Spielfilme zuzumuten. Bei Serien gibt es zudem immer diesen sozialen Druck, dass man mit den Freunden oder Kollegen ja im Gespräch bleiben muss, Stichwort: „In welcher Staffel bist du gerade?“
Hinzu kommt das seit einigen Jahren praktizierte „Speedwatching“, bei dem man online mit erhöhter Geschwindigkeit schauen kann, wohlgemerkt so, dass die Dialoge noch zu verstehen sind. Netflix erprobt diese Turbostreamvariante inzwischen als Standardoption für die Zuschauer. Eine einfache Rechnung: Dasselbe Programm plus erhöhte Guckgeschwindigkeit ist gleich mehr Zeit auf der Nutzerseite für das Gesamtstreamingangebot.
Binge-Watching-Burnout
Dass Filme nun obsolet würden, ist jedoch nicht zu befürchten. Zumal Serien Risiken und Nebenwirkungen bergen: Schon warnen Wissenschaftler, dass das sogenannte „Binge Watching“, zu deutsch Komaglotzen, bei dem man ganze Serienmarathons absolviert, der Gesundheit schaden kann. Denn die Serien haben für gewöhnlich am Ende jeder Folge den üblichen Cliffhanger. Für die Nachtruhe ist das zweifach von Nachteil: Man geht später zu Bett und das zudem so aufgebracht, dass der Schlaf darunter leidet.
Der Grund für diese Struktur: Wo ein Film meist ein Ende findet, und sei es ein offenes, will die einzelne Serienfolge oft bewusst nicht zum Schluss kommen, sie hört einfach auf. Darin unterscheidet sie sich im Zweifel auch von einem Roman, der in der Literatur am ehesten einer Serie entspricht. Ein Film hingegen erinnert mehr an eine Kurzgeschichte.
Viele Filmklassiker beruhen auch auf Kurzgeschichten, etwa Alfred Hitchcocks „Die Vögel“, Nicolas Roegs „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ oder Sergei Loznitsas „Die Sanfte“. Kein Straffen oder erzählerisches Hinterherhecheln wie bei einer Romanverfilmung: Eine Kurzgeschichte kann ein Film als Vorlage nutzen, um sie mit seinen Bildern „auszubuchstabieren“. Und genau darin seine narrative Form finden.
Die Zukunft? Zweidimensional auf Leinwand
Diese Form bietet Vorzüge im Vergleich zur Serie. Letztere könnte bei unsachgemäßem Gebrauch sogar zum Binge-Watching-Burnout führen. Aus dem Druck, den die Serien selbst erzeugen, immer weiter zu schauen, resultiert irgendwann eine große Leere.
Wer in eine solche Situation gerät, kann bei Filmen sogar Trost finden. Die „runden“ oder auch die überraschend unerwartet endenden Geschichten sind insgesamt weniger verdächtig, was Suchterscheinungen angeht. Sie bieten eine Art narrativen Schutzraum, aus dem sie ihr Publikum am Ende wieder entlassen. Und es hat durchaus seinen Reiz, wenn jemand sich kurzzufassen weiß.
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Im Übrigen steuert der sich diversifizierende Streamingmarkt zum Teil schon wieder weg vom Komplettangebot ganzer Staffeln. So will Disney sein Angebot den Kunden häppchenweise darbieten. Wie man früher im Fernsehen eine Woche auf die nächste Folge warten musste.
Dem Film stehen für die 20er dieses Jahrhunderts mithin interessante Perspektiven bevor. Ganz schlicht zweidimensional auf der Leinwand. Denn weder das 3D-Kino noch die Virtual Reality mit ihren tendenziell autistischen Kopfeinsperrbrillen konnten sich bisher als ernsthafte ästhetische Weiterentwicklung etablieren. Daher, ob gestreamt, auf DVD oder – hoffentlich – weiter im Kino: Für diese Form gibt es auf lange Sicht noch Verwendung.
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