piwik no script img

Die WahrheitIm ewigen Eis von San Marino

Was bitte haben Margot Honecker, Silvio Berlusconi und Eisbär Knut gemeinsam? Eine Reise an den Rand der bekannten Totenwelt.

Illustration: Anita

Es liegt Schwüle in der Luft. Der Hausherr befindet sich in den weitläufigen Untergeschossen seines Anwesens bei der beidseitigen Pediküre. Die Hausherrin sichtet im Kaminzimmer die schriftliche Korrespondenz mit Kuba. Auf die Post ist in der Republik San Marino, gleich bei Italien gelegen, seit deren Gründung am 3. September 301 nach Christus Verlass. Bis heute.

Signora Margot, der quirligen Mitneunzigerin sieht man ihre Jahre nur am leicht verwackelten Lidstrich an, nickt anerkennend mit dem lockentoupierten Kopf. „Wissen Sie, dass die Post in San Marino so gut funktioniert, das war für mich und Silvio ausschlaggebend in der Wahl unseres Altersruhesitzes.“

Die ehemalige Ministerin für Volksbildung in der ehemaligen DDR kramt aus der mit lila Cordsamt ausgeschlagenen, drehbaren Hausbar whiskyschwenkerweise Post hervor – von der Schweinebucht, aus Las Vegas und anderswo. „Man empfing uns hier mit offenen Armen; Steuern sind keine fällig, das wahre Paradies auf Erden. So etwas habe ich mir nach meinem annus horribilis 1989 nicht mehr vorstellen können.“

Sì, ja: Es ist ein offenes Geheimnis, dass es kruderweise bis heute nicht in die gesamtdeutsche Publizistik geschafft hat und das jetzt durch eine zufällige Ferienrecherche im Zwergstaat San Marino gelüftet wird: Der Norditaliener, Fußballclubinhaber, rechte Politgreis sowie Geldsack Silvio Berlusconi und die aus Halle an der Saale stammende Margot Honecker (SED), geborene Feist, sind putzmunter unter den Lebenden, vielmehr: Sie leben sogar zusammen!

Und das nicht erst seit gestern, sondern seit September 1996, allen Gerüchten zum aktuellen Ableben von Berlusconi zum Trotz. Damals feierte der frühere Staubsaugervertreter und älteste Sohn von Luigi Berlusconi und Rosa Bossi im Salesianer-Gymnasium Sant'Ambrogio in Mailand mit Campari und mehr seinen 60. Geburtstag und außerdem sein erstaunliches 40. Abiturjubiläum.

Margots Reifenpanne an der Baade152

Spontane Festrednerin: Margot Honecker, die damals auf der Durchreise von ihrem Exilstandort Santiago de Chile auf die Lofoten-Insel Austvågøya war, dem letzten Eiland des DDR-Sozialismus nach Robinson-Art. Ob einer Reifenpanne an ihrer Baade152 musste sie auf dem Flughafen Mailand-Linate zwischenlanden und sich die Reparaturzeit um die Ohren schlagen. Was lag näher, als in die Mailänder Innenstadt zu ziehen, gucken, ob noch was geht? Margot Honecker war zu dem Zeitpunkt eine nach ihren eigenen Maßstäben lustige Witwe; Erich war seit zwei Jahren tot, sie hatte den Saarländer überlebt.

„Ich war sofort Forza und Flamma für Margot“, ruft Silvio Berlusconi, der seine beidseitige Pediküre im Basement der gemeinsamen Villa Amore in San Marino Stadt beendet hat und sich jetzt zu uns ins 250 Quadratmeter große Kaminzimmer gesellt. „Wir wussten sofort: ‚Siamo fatti l'uno per l'altro‘, wir sind füreinander gemacht, Sie verstehen, keiner von uns beiden liebt andere Menschen außer sich selbst, fantastico!“ Und was passierte dann, nach Berlusconis Party bei den Salesianern in Mailand? Margot Honecker grinst gerissen: „Dann haben wir gemeinsam beschlossen, dass wir gemeinsam unsterblich werden wollen.“ Genial.

Letzter Doppelgänger seit Montag tot

„Ich kam anschließend auf die Idee mit den Doppelgängern, das hatte ich mal in einer Werbebroschüre gelesen“, berichtet Berlusconi und krault sich am Kopf. „Margot und ich mieteten uns also ab Ende 1996 unbefristet mehrere baugleiche Doppelgänger von uns beiden. Und das im Schichtsystem, sodass wir immer frei hatten. Niemand wusste, dass wir die Originale sind! Alle dachten, dass wir nur eine schlechte Kopie von uns selbst seien, ist das nicht bellissime? Der letzte Doppelgänger von mir ist jetzt allerdings am Montag verstorben, Gott hab ihn selig! Margots Doppelgängerinnen sind bereits allesamt hinüber.“

Die ehemalige DDR-Ministerin für Volksbildung seufzt. „Ja, für uns als Paar war es eine wundervolle Zeit – bis jetzt! Silvio jagt immerzu Enten rund um die Villa Amore, und ich, ich mache gar nichts, außer mit Kuba zu korrespondieren. Hin und wieder rufe ich nach Chile durch.“ Margot Honecker zieht ihre Stirn sorgenvoll nach oben. „Ob wir ab nun noch so unerkannt als Doppelgänger von uns beiden durchgehen? Ich bezweifle es. Jetzt müssen wir doch wohl wieder ran!“

Berlusconi kramt eine Tube Haargel aus seinem großkarierten Sakko hervor und bearbeitet großflächig sein Gemächt damit, das ihm auf dem Kopf sitzt. „Completamente pazzo das alles, völlig irre!“ Der 17-fache italienische Ministerpräsident lacht schallend, dann fällt er kurzfristig vom Stuhl. Mit ihm gleitet eine Husse zu Boden, die das Wappen von San Marino ziert.

Honecker erklärt beflissen: „In blauem Schild drei grüne Berge mit drei silbernen Türmen, jeder anstelle einer Wetterfahne mit einer silbernen Straußenfeder geschmückt. Die Türme symbolisieren die drei Kastelle San Marinos, die Hügel die drei Gipfel des Monte Titano.“

Wir danken für die Erklärung und schielen auf unseren Notizblock mit den investigativen Fragen, als es an der Tapetentür im Kaminzimmer klingelt. Ein livrierter Diener mit Eiswürfeln tritt ein, schlagartig sinkt die Temperatur im Raum um mindestens 55 Längen- und 66 Breitengrade. Gut, dass wir stets im Gepäck ein Vlies und ein Instant-Igluzelt dabeihaben!

Neues Zuhause nach Fahrt durch den geheimen Eiskanal

Als wir es uns darin kuschelig gemacht haben, staunen wir nicht schlecht: Eisbär Knut, ja, der Eisbär Knut aus Berlin, der angeblich am 19. März 2011 im Zoologischen Garten vor den Augen der Besucher verstorben ist, baut sich vor uns auf, winkt freundlich mit einer Vordertatze. Das müssen wir erst mal verdauen. Ein Ursus maritimus in San Marino? Der Knut, Sohn von Eisbärin Tosca aus dem Staatszirkus der DDR, die zur Eisbärengruppe der einst legendären Dompteuse Ursula Böttcher, geborene Blütchen, gehörte?

Honecker nickt. „Ursula war eine gute Bekannte von mir. Als sie im März 2010 starb, sorgten Silvio und ich über bestehende geheime Eiskanäle dafür, dass ihr letzter Wunsch erfüllt wurde. Knut schlitterte zu uns nach San Marino. Im Zoologischen Garten verschied dann ein Jahr später ein Doppelgänger.“

Jetzt wird es uns aber nun langsam wirklich zu bunt! Schließlich haben wir heute um 9.15 Uhr einen Zahnarzttermin und uns noch nicht einmal die Zähne geputzt! Endlich, endlich klingelt der Wecker und befreit uns so aus diesem kruden Traum, live aus San Marino, der ältesten Republik der Welt, gleich bei Italien gelegen. RIP, Eisbär Knut! Und was das Powerpaar Margot Honecker und Silvio Berlusconi angeht: Gestrichen von jeglicher Besetzungsliste aller Alpträume dieser Welt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Eine Reise an den Rand der bekannten Totenwelt.“ Ein kruder Traum.



    Die Totenwelt ist interessant. Es ist nicht nur der Rand bekannt. Träumen Sie mal was Schönes:



    www.youtube.com/watch?v=ZeVEYUZH4rE

  • Doppelgänger, Wiedergänger, Zombies. Seid ihr alle da?

    In Nordkorea imitiert ein fetter Diktator der dritten Generation dem Volk gefällig seinen Großpapa bis zur Kenntlichkeit. In Deutschland brüllen die neuen alten Nazis: „Adolf Hitler steig hernieder und regiere Deutschland wieder.“ Im Ernst. Geh nicht zu tief in den Teutoburger Buchenwald. Sonst bist du dort allein mit *Björn*, der dich das Raunen der Ahnen hören lehrt. Schon findest du nicht mehr von dort heraus. Aber die eine lebendige Mumie, tief unterm Kyffhäuser, die kann doch nicht gar nicht wieder kommen, wie erhofft? Geht nicht, der Bart ist ihr schon verwachsen mit der Tischplatte an der sie tausend Jahre sitzt. Gut so. Unsere Alt-Altvorderen, die verehrten ihre Ahnen und legten doch schwere Steine und Bannzauber über ihre Gräber. Besser für ihre Verehrung, wenn sie selbst in den Anderswelten verblieben. Dann konnte man sie leichter beschwören, „die guten alten Zeiten“. Denn damals, „damals da seien sie sogar geflogen und zwar gut“. Doch wie nur? „Niemand fand je abgebrochne Flügel unterm Schutt.“ Franz Josef Degenhardt, „In den guten alten Zeiten“:

    www.youtube.com/watch?v=Jz4s3ZeFwqI

  • Ähh, die Baade 152 fand ich gut, hat natürlich nicht funktioniert.

  • Alle 🌍. Hoffe doch sehr - daß noch sonn Untoter - Margots Halbbruder - Wolf als Knut verkleidet!



    Wie immer so aufdringlich - die Gitarre dabei - ordentlich einen geklampft hat! Newahr.



    Normal Schonn.

    unterm—— servíce —- Zu viel der Ehre —



    blogs.taz.de/schro...uer-wolf-biermann/



    Ausriß -



    “…Jakob Moneta, dem alten Trotzkisten und ehemaligen Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung der IG Metall verdankt Wolf Biermann die Einladung zu seinem Kölner Konzert. Dieser Massenveranstaltung folgte Biermanns Ausbürgerung aus der DDR. Moneta berichtete später auch über das »Liebesverhältnis« Wolf Biermanns zu seiner älteren Stiefschwester Margot: »Als er eines Abends erzählte, wie sehr er sich vor den Falten am Hals von Margot geekelt habe, die inzwischen die Ehefrau des Staatsratsvorsitzenden Honecker war, wollte Sigi (Monetas Lebenspartnerin d.V.) ihn, angewidert von seinem Machismus, hinaus schmeißen.«

    Moneta beendete seinen Aufsatz mit dem schönsten Satz, den wir im Zusammenhang mit Wolf Biermann je gelesen oder gehört haben: »Zum Schluss kann ich es mir nicht verkneifen, Wolf Biermann einen Spruch aus meiner jiddischen Muttersprache auf den Weg zu geben: ›Nicht gedacht soll seiner werden.‹«“



    … - gilt fürs Trio - anschließe mich - wa.



    Scheunen Sündach ook