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Die WahrheitHitlers Mikroaggressionen

Für eine entschärfte Neuausgabe haben Sensitivity Reader den deutschen Longseller „Mein Kampf“ gelesen – mit erstaunlichen Resultaten.

Leicht wie eine Pusteblume ist nun die neue Version des alten Hate-Klassikers „Mein Kampf“ Foto: dpa

„Es war eine echte Challenge. Der gute Mann hat ja nun wirklich kein Blatt vor den Mund genommen. Vieles in dem Buch ist heute so nicht mehr sagbar“, erklärt Herausgeber Rainer Knabe, der für den renommierten Verlag Schimmelbauer & Schicht Adolf Hitlers politische Autobiografie „Mein Kampf“ überarbeitet hat, damit das umstrittene, aber gut verkäufliche Werk der gesteigerten Sensibilität moderner Leser Rechnung trägt.

Das Verlagshaus hat für diese delikate Aufgabe eine ganze Division von Sensivity Readern angeheuert. Diese geschulten Testleser sollen problematische Aspekte in Büchern aufzeigen und Mikroaggressionen des Autors identifizieren.

„Ein ganzes Jahr lang“, so Knabe, „war eine Armee von Sensiblen aus aller Welt für uns im Einsatz. Wir haben keine Kosten und Mühen gescheut, das Werk einem geharnischten Sensitivity Reading zu unterziehen. Immerhin ist Hitler, neben Hermann Hesse, der weltweit meistgelesene deutschsprachige Autor. Vor allem in Indien, aber auch in der arabischen Welt und Südamerika scheinen seine Ideen eine ganz bestimmte Saite in Schwingung zu bringen.“

Der Verlag sieht es als seinen Auftrag an, den internationalen Longseller „Mein Kampf“ auch einer empfindsamen Leserschaft zur Verfügung zu stellen, aber eben in einer zeitgemäßen Edition. Doch auf dem Weg zur Veröffentlichung erlebte der Herausgeber zahlreiche Rückschläge.

Reizworte unersetzbar

„Mit herkömmlichen Sensitivity Tools ist Hitler nicht beizukommen. Einfach ein paar Reizworte durch weniger verletzende Ausdrücke ersetzen, die Spitzen ein wenig abfeilen, das funktionierte hier nicht“, erinnert sich Knabe.

„Mit dem burschikosen Ansatz zum Beispiel kamen auch wir nicht weit“, sagt der Literatur-Profi, erntet damit aber bloß Unverständnis bei uns. „Die Burschen sind unser Untergang“, zitiert er daraufhin aus einschlägigen Schriften, „oder ‚Die Weltverschwörung des Burschentums‘. Das klingt natürlich sehr viel harmloser als das Original …“

„Sogar harmloser als harmlos“, nicken wir überzeugt. „Leider finden sich in Hitlers Prosa dermaßen viele anstößige Ausdrücke, dass uns schnell die Alternativen ausgingen. Und alles bloß durchzugendern in Jüd*innen, Arier*innen, Pa­ra­sit*innen … Nun ja, das hat ebenfalls keine zufriedenstellenden Ergebnisse gebracht.“

„Irgendwann versuchten wir es deswegen mit der Schlumpfmethode“, doziert der Ausnahme-Germanist und erntet bei uns Laien erneut Unverständnis.

„Mein Schlumpf!“, skandiert Knabe. „Die Schlümpfe sind der Unterschlumpf des Schlumpfenlandes.“

„Wollt ihr den totalen Schlumpf?“, fallen wir ein, doch der Hitler-Kenner wehrt ab. „Das stammt vom Propaganda-Schlumpf.“

„Das war jedenfalls ein Heureka-Moment“, sagt Knabe. „Schlumpfen tut niemandem weh und nutzt sich nie ab.“ Leider machte ein unerwartet vehementer Protest die schlumpfige Idee zunichte. „Uns erreichten erboste Mails von Vertretern der Smurf Nation, und man untersagte uns per Anwaltsschreiben, Schlumpfsprache in ‚Mein Kampf‘ zu verwenden.“ Außerdem campierten massenhaft protestierende Schlümpfe vor dem Verlagsgebäude. „In kleinen pilzförmigen Zelten“, erinnert sich Knabe. „Hätten wir gewusst, dass Schlümpfe wirklich existieren, hätten wir die Schlumpfmethode nie in Erwägung gezogen.“

Nun standen die Herausgeber wieder ganz am Anfang. Die rettende Idee kam von Professor Wendell Chieftain, Dozent für mittelhochdeutsche Literatur in Princeton, der als Vertreter des Navajo-Volkes im Sensitivity-Team saß. „Codieren heißt das Zauberwort!“, ruft Knabe.

„Lautverschiebung. Und voilà!“ Er hält uns ein dickes Buch vor die Nase, in hellblauem Einband, mit kleinen lila und rosa Herzchen verziert: „Ödulf Hätlir – Miän Kömpf“

„Nun war die Schlacht gewonnen“, erinnert sich Knabe. „Nach der von Professor Chieftain ausgearbeiteten Methode tauschten wir alle Vokale im Buch aus.“ Knabe zieht einen Zettel mit dem komplizierten Dechiffrier-Code hervor: „e – i, i – ä, a – ö, u – o, o – u“, steht darauf. „So kodierten wir offensive Triggerworte um: Mörxäsmos ond Jodintom, Jodäschi Wiltvirschwörong, Dulchstuß, Öräschi Rössi“, kauderwelscht der Herausgeber. „Diotschis Wisin, Bulschiwäsmos, Nötäunölsuzäöläsmos, Kummonäsmos …“

Wir blättern im Buch und schlagen „Köpätil 11: Vulk ond Rössi“ auf. „Das hat tatsächlich ein bisschen was von seinem ursprünglichen Sound“, finden wir.

„Genau, und wenn der Sound erst mal stimmt, ergibt der Sinn sich von selbst. Dazu sind die vielen Umlaute ein echter Gewinn in Sachen Stimmung und Atmosphäre.“

Mann seiner Zeit

In einigen Aspekten fanden die Sensitivity Reader den übel beleumundeten Autor Hitler übrigens erstaunlich wenig anstößig. „Explizit misogyne Stellen gibt es kaum“, gibt Sensitivity Readerin Ilse Orlowski zu, die sich auf eine feministische Lesart spezialisiert hat. „Von Frauen in Führerpositionen ist zwar keine Rede, aber er war halt ein Mann seiner Zeit, der Hitler. Und Antisemitismus fällt nicht in mein Ressort, darüber müssen andere urteilen.“

„Der Fat-Shaming-Faktor tendiert ebenfalls gegen null“, freut sich Knabe. „Das haben uns siebzehn enorm sensible Enorme bestätigt. Auch von Victim Shaming kann man nicht im eigentlichen Sinne reden. Zum Zeitpunkt der Niederschrift waren die Juden ja bloß Hitlers Obsession und noch gar nicht seine Opfer. Das muss man im historischen Kontext sehen.“

Zur Veröffentlichung im Herbst wird es eine Lesetour zum Buch geben, für die zwei bekannte Fernsehpersönlichkeiten rekrutiert wurden, nachdem der langjährige Hitler-Interpret Serdar Somuncu abgelehnt hatte. „Klarnamen kann ich zu diesem Zeitpunkt noch keine nennen“, meint der Herausgeber, „aber ich sage nur: Däitir Nohr …“

„Und Läsö Ickhört!“, hitlern wir begeistert. Knabe nickt zufrieden. „Man lernt es schnell, das Verschieben, nicht wahr?“

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3 Kommentare

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  • Genial. Schlimm allerdings, dass ich 2 Absätze lang nicht gemerkt habe, dass es ein "Wahrheit" Artikel ist.

  • Danke, hab gut gelacht. Wenn man den Wald noch sehen kann, hat man zuwenig Bäume gepflanzt.







    Musste dann auch hier dran denken:

    www.titanic-magazi...tisemit-0702-2116/

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