Die Wahrheit: Tanzende Tacos
Der Zumba-Kult in deutschen Fitnesscentern treibt immer seltsamere Blüten. Besuch in einem der führenden Power-Tanz-Schuppen der Republik.
Edison Bailar ist einer der reichsten Männer der Welt. Der ehemalige Drogenbaron aus Kolumbien hat Zumba erfunden, den Fitnesstanz, der im Nu die Welt erobert hat. „Es war purer Zufall“, erklärt der 200-Kilo-Koloss, der sich in den neunziger Jahren ein Aerobic-Studio gekauft hatte, um Drogengelder zu waschen. „Eines Abends legte ich statt des Aerobic-Gedudels irrtümlich eine CD mit Salsa-Musik auf. Und wissen sie was? Keiner hat’s bemerkt. Sie hopsten alle genauso wie immer neben dem Takt.“ Da er sich sowieso aus dem Drogengeschäft zurückziehen wollte, gründete Bailar die Marke „Zumba“, das ist präkolumbianisch für „Tanz, Greenhorn, tanz“. Und verdient seither ein Schweinegeld mit Gringos, die nicht tanzen können.
Szenenwechsel: ein beliebiger Abend in einem beliebigen Fitness-Studio in einer beliebigen Stadt irgendwo in Deutschland. Eine Gruppe von zwölf Frauen und vier Männern hüpft durcheinander, quasselt und macht Selfies.
„Und das ist also Zumba?“, fragen wir Paco, den Ausbilder. Paco heißt eigentlich Jürgen und studiert im elften Semester Germanistik. „Nein, das ist nur die Aufregung“, sagt er. „Der Kurs beginnt erst in zehn Minuten. Aber die meisten sind heute zum ersten Mal hier.“
Zumba boomt. Und der geschäftstüchtige Bailar reitet auf der Welle mit. Jedes Fitnessstudio, das Zumba-Kurse abhält, muss ihm Schutzgeld zahlen, außerdem gibt es eine unüberschaubare Palette an Zumba-Nebenprodukten: von Zumbonade, einem Powerdrink in den Geschmacksrichtungen Rot, Grün, Blau und Durchsichtig; über Zumbolade, einem Energieriegel in den Geschmacksnoten Power, Super, Fit und Fun; bis zu Zumba-Care, einer Hautpflegelotion in den drei Sorten „Bübchen“, „Mädels!“ und „Torte“. Und Zumba-Musik natürlich, wie etwa „Burn, Fat, Burn!“ von den Zumbaboys, „Low Carb Symphony“ von Zumballica, „Zumba Zumba Täterä“ von den Purzelnden Pfunden und der Tanzflächenfeger „Full Body Exercise“ von No Sugar.
Zwischenzeile! Intervall!
Nun aber geht es los. Paco drückt auf die Playtaste eines verbeulten Gettoblasters. Die Musik klingt wie Scooter mit Sombrero auf. Alle beginnen sich roboterartig zu bewegen und machen dabei Selfies oder schreiben in ihre Smartphones. Es wirkt wie Power Rangers ohne Helme. Oder Manowar ohne Instrumente.
Manchmal ruft Jürgen: „Intervall!“, und alle gefrieren sekundenlang in ihren Posen. Aber das Auffälligste: Alle grinsen. Ununterbrochen. So viele verbissen glückliche Menschen sieht man sonst nur in nordkoreanischen Propagandafilmen. Sechzehn fleischgewordene Smileys, die irgendwie … bedrohlich wirken. Wie eine Horde lächelnder Zombies, die langsam näher kommen …
„Pause“, brüllt Paco und drückt die Stoptaste. „Mehr als eine Viertelstunde halten die meisten nicht durch“, flüstert er. „Und ich will keine weiteren Toten.“
Eine rundliche Mittdreißigerin mit grüner Igelfrisur und Schmetterlingstattoo auf dem rechten Schulterblatt sackt lächelnd zu Boden, wobei sie vor sich hinlallt: „Major Calorie Burn, Major Calorie Burn, Major …“
#Zumba auf Insta
„Du musst noch viel lernen, Mädchen“, lacht Kim sie aus. Kim, eine breitschultrige Mittvierzigerin mit blonder Igelfrisur und einem Tribaltattoo am rechten Oberarm ist Zumba-Veteranin, dies ist bereits ihre siebte Stunde. In ihrem Instagram-Profil bezeichnet sich die junge Frau mit dem festgenagelten Dauergrinsen als „Running Mum of Three“. Vorigen Winter hat sie ihren ersten Sechzehntel-Marathon bestritten. Wie sie denn mit der Dreifachbelastung Zumba/Marathon/Familie zurecht kommt, wollen wir wissen. „Meine Superkinder sind superstolz auf ihre topfitte Supermummy“, grinst sie und hüpft ein paar Mal auf und ab.
Walter, ein molliger Mittdreißiger mit lila Igelfrisur und einem Einhorntattoo am dritten Doppelkinn ist in erster Linie der Fitness wegen hier, also um fitte Frauen kennenzulernen. Nach Tausenden Tinder-Enttäuschungen möchte er sich wieder an die Realität herantasten. „Es geht nicht um die perfekte Figur oder Form, sondern um Einklang mit dem Rhythmus“, keucht er und grinst verschwitzt.
„Früher dachte ich, Merengue sei etwas zu essen, heute tanze ich dazu“, lacht Gitti, eine untersetzte Mittfünfzigerin mit blauer Igelfrisur und einer tätowierten Rose auf dem rechten Fußknöchel. „Früher habe ich Tacos in Salsa getunkt, heute bin ich selbst ein Taco“, kreischt Iffy, eine gertenschlanke Zweimeterhünin mit grüner Igelfrisur und einem Pink Panther am linken Fußknöchel.
„Sehr interessant, dieses Zumba“, sagen wir. „Ein bisschen wie Luftboxen mit Salsa-Untermalung.“
Kim grinst uns böse an und stampft mit dem Füßchen auf. „Das ist kein Zumba, was wir hier machen.“
„Ja, was ist es denn dann“, fragen wir überrascht. Kim reckt ein Fäustchen und schlägt ein Luftloch: „Es ist: Strong by Zumba!!!“ – „Und Strong by Zumba ist also kein Zumba …?“ – „Es ist mehr als Zumba!“ – „Überzumba?“
BYOB!
Kim dreht sich einmal um ihre Achse und faucht uns grinsend an: „Strong by Zumba, das sind plyometrische Moves, von originaler Musik gesynced, die speziell designed wurde um jeden individuellen Move zu matchen, jeden squat, jeden lunge, jeden burpee. Be your own boss! Get strong doing it!“
„Be your own boss!“, wiederholt die ganze Klasse mechanisch. „Get strong!“
„Zumba macht frei“, brüllt Kim lachend und versetzt einer imaginären Person einen imaginären Fußtritt.
„So programmieren wir nach und nach die gesamte Persönlichkeit um und formen verzweifelte Hausfrauen und hoffnungslose Bürowürstchen zu dynamischen Erfolgsprofilen“, erklärt Paco. „Na ja, zumindest auf Facebook und Instagram.“
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