Die Wahrheit: WG in schmucker Gruft

Berlin ist die Hauptstadt der Wohnungslosigkeit. Doch endlich geht sie das Riesenproblem an: Schöner Wohnen im Totenreich.

Totenkopf auf Grabstein

Ruhe in Frieden, wohne gemütlich unterirdisch Foto: Stefanie Loos

Die angeregt schnatternde Trauergruppe wendet sich unter der Führung des Pfarrers von der Grabstätte ab. Auf der Suche nach einem zünftigen Leichenschmaus wird in trotziger Feierlaune das nächstbeste Café angepeilt. Für Astrid Kowalski eine gute Nachricht, kann sie doch nach 30-minütiger Wartezeit endlich wieder zurück in ihre Wohngruft. In Absprache mit Bauaufsichtsamt und Friedhofsverwaltung darf die 56-Jährige uns ihr schmuckes Heim als Beispiel für eine mustergültige Wohneinheit auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde zeigen.

„Hier entlang, bitte!“ Die Ex-Wohnungssuchende ist vorausgeeilt und hält uns die verwitterte Eisentür in ihr modriges Domizil auf. In der geräumigen Krypta fällt uns zuerst der auf einem Steinsockel ruhende und mit bunten Blumenkränzen drapierte Mahagoni-Sarg von Frau Kowalskis neuem Mitbewohner auf. Der Rest ist eher spartanisch eingerichtet. Eine Matratze, ein paar Regale mit Büchern, zwei Aluminium-Stühle und einen klappbaren Garten-Holztisch darf Frau Kowalski ihr Eigen nennen. Auf einen Kühlschrank kann sie angesichts der ohnehin schattigen Souterrain-Lage erst mal verzichten.

Für die gut 30 Quadratmeter große Grabkammer zahlt die gebürtige Marzahnerin eine unschlagbar günstige Kaltmiete von 1.900 Euro monatlich. Und das in der von Wohnungsnot schwer gebeutelten Hauptstadt, die sich auf der Suche nach neuen Wohnkonzepten ein Beispiel an der ägyptischen Hauptstadt Kairo nimmt, wo Wohnen auf dem Friedhof schon lange das neue Must-have ist.

Tiefenentspannter Gesamteindruck

Dass sich Frau Kowalskis Zimmergenosse an den Kosten beteiligt und obendrein einen so tiefenentspannten Gesamteindruck macht, könnte sich für die gelernte Heilerziehungspflegerin noch als Segen entpuppen. „Nach einem anstrengenden Arbeitstag möchte ich zu Hause einfach nur meinen Frieden haben. Da ergänzen Wilhelm Graf Freiherr von Machwitz und ich uns natürlich perfekt“, ruft sie begeistert.

Bedenken, Seite an Seite mit einem kürzlich Verstorbenen in einer WG zu wohnen, hat die Frohnatur bisher nicht. „Es ist ja nicht so, als würde der Graf mitten in der Nacht von innen den Sargdeckel zur Seite schieben und herauskriechen“, lacht sie. „Oder etwa doch?“

Vor der Gruft erwartet uns Stadtentwickler Gernot Wilke in der sonnendurchfluteten Parklandschaft, um uns zu einem kurzen Rundgang über den urbanen Gottesacker mitzunehmen. Der findige Baudezernent hat das unter der Grasnarbe schlummernde Potenzial der insgesamt 224 Berliner Friedhöfe früh erkannt. Die Ausweisung der Begräbnisstätte in Friedrichsfelde als „Allgemeines Siedlungsgebiet“ wurde von Wilke angesichts des Mangels an Wohnungen im Eilverfahren durchgeboxt. Mit großem Erfolg.

„Neunzig Prozent der Plätze in Einzel- und Gemeinschaftsgrabstätten waren bereits nach zwei Wochen vergeben“, erzählt Wilke, während wir durch die paradiesische Anlage schlendern. Dabei winkt er einem Anwohner, der im Gemüsegarten vor seiner denkmalgeschützten Katakombe leise summend Tomatensträucher wässert. „Für die übrigen zehn Prozent gibt es so viele Anfragen, dass wahrscheinlich das Los darüber entscheidet, wer in die Gruft geht“, freut sich der Beamte über die wachsende Beliebtheit der trendigen Wohnform. Allerdings nicht uneingeschränkt.

Superschnelles Internet

„Für die derzeit 672 Einlieger des Friedhofs gibt es gerade mal zwei funktionierende Toiletten. Die wenigen Waschgelegenheiten befinden sich in der Regel nur dort, wo die Gießkannen für die Grabpflege befüllt werden können“, weiß der 54-jährige um die Baustellen der noch jungen Mischwohnanlage. Doch Hilfe naht. „Spätestens ab Frühsommer 2032 sollen alle Ruhekammern an die örtliche Strom- und Wasserversorgung an­geschlossen werden und deren Mieter in den Genuss von Erdwärmepumpen und superschnellem Internet kommen“, legt sich der sympathische Amtsträger fest.

Das vorübergehende Problem des wildes Defäkierens und die aus den Gräbern strömenden Gerüche nach Schweiß und Käsefüßen würde er als Beisitzer nur zu gern zum Tagesordnungspunkt der heutigen Mieterversammlung machen. Debattiert werden soll in der nahen Friedhofskapelle aber hauptsächlich über die Gefahr eines drohenden Übernahmeversuchs durch neureiche Protzer. CDU-Politiker Jens Spahn und sein Ehemann wollen einen nicht unwesentlichen Teil des Friedhofs plattwalzen lassen und für sich an selber Stelle ein luxuriöses Mausoleum nach Art des Tadsch Mahal errichten. Der Rest soll in todschicke Eigentumsgruften für Parteifreunde umgewandelt werden.

Ein Vorhaben, das bei Bauamtsleiter Wilke am Ende unserer morbiden Rundtour bloß müdes Kopfschütteln hervorruft. „Wissen Sie was?“, sagt er, während wir aus Frau Kowalskis Gruft einen horrorfilmwürdigen Schreckensschrei hören können, „nur über meine Leiche!“

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.