Die Wahrheit: Der jaulige Januar
Der erste Monat ist der schlimmste. Bepackt mit Geschenken, die umzutauschen sind, rennt man dann noch in so eine Demo rein.
N achdem wir die Feiertage wie üblich verbracht hatten, nämlich bis zum Hals watend durch Raclette-Käse, übrigens eine Wellnessbehandlung, die von europäischen Ureinwohnern vor Jahrhunderten als Kraftritual für hartnäckige Miesepeterinnen entwickelt wurde und die nur noch getoppt wird von der folgenden sanften Schokokugel-Massage der Mageninnenwände, kam das, was jedes Mal kommt: der jaulige Januar.
Das ist die schlimmste Zeit des Jahres, weil ich nicht wie sonst verdrängen kann, dass der ganze Scheiß wieder von vorne anfängt. Melancholisch sehe ich zu, wie die Leute alle Geschenke umtauschen in der Hoffnung, dass etwas besser wird. Dann rasen sie in die Outlets, um die letzten Kröten, die vor Weihnachten nicht draufgegangen sind, nun auch noch zu verjubeln.
Zu irgendwas muss der ganze Bumms ja schließlich gut sein, oder nicht? Spoiler: Ja, ist er, aber nicht für euch, ihr kleinen Idioten.
Viele Menschen übertönen die lärmende Leere ihres jämmerlichen Januar-Ichs auch noch mit guten Vorsätzen. Wenn die selbstverordneten Kasteiungen bis zum Frühjahr halten, haben diese Leute zumindest subjektiv gewonnen, denn dann scheint wieder die Sonne und alles ist egal. Nachfragen tut eh keiner mehr.
Dagegen
Dagegen habe ich einfach ein paar schlechte Vorsätze gefasst. Zum Beispiel plane ich, in Zukunft nicht mehr höflich und zurückhaltend zu sein. Meine erste Januartour in die Kreisstadt führte mich zufällig direkt in die Querdulli-Demo, da konnte ich das gleich in die Praxis umsetzen. Ich stolperte über den Megafon-Horst, der ein ganzes Stück entfernt von der Versammlung seiner Schwurbeljünger Quatsch in den Lautsprecher quakte. Wollte er nicht mit ihnen zusammen gesehen werden? Hatte er Angst, dass schlechtgelaunte Januaropfer ihn mit Tomaten bewerfen?
Er hatte nicht mit mir gerechnet. „Geh nach Hause und lass dich impfen!“, raunzte ich den Eso-Graubart im Vorbeigehen an. Normalerweise duze ich Fremde nicht, und ein Logikfehler in meiner Ansprache hätte auch moniert werden können – daheim würde wohl kaum ein Impfarzt auf ihn warten. Alles in allem also eine eher fragwürdige Aktion, aber sie wirkte so befreiend wie ein Work-out nach dem Gänsebraten. Toll, dachte ich, als Nächste lege ich mir ein Twitter-Account zu und schimpfe den ganzen Tag.
„Gehen Sie nach Hause und lassen Sie sich impfen!“ herrschte ich nun, eingegroovt und richtig wunderbar wütend, eine junge Demonstrantin an. Immerhin hatte ich zum „Sie“ gewechselt, doch das Anblaffen junger Frauen ist trotzdem nichts, worauf man stolz sein kann. „Aber ich bin doch geimpft!“, antwortete sie erschrocken. „Wir sind die Gegendemo. Wir stehen im Kreis um die anderen herum.“ Beschämt erwog ich, mich dazuzustellen. Meine großen Tüten mit den umgetauschten Geschenken wären beim Demonstrieren allerdings zu hinderlich gewesen.
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