Die Wahrheit: „Alien hat mich unsittlich berührt“
Das große Wahrheit-Interview mit Dichter Thomas Gsella dreht sich detailliert um Beziehungskonflikte zwischen Menschen und Außerirdischen.
taz: Herr Gsella, man hört in letzter Zeit immer öfter von außerirdischen Reptilien, die sich an Menschen vergreifen. Auf Ihrer Homepage haben Sie angedeutet, dass auch Ihnen etwas in dieser Richtung widerfahren ist. Was ist da denn konkret vorgefallen?
Thomas Gsella: An alles kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß aber noch genau, dass ich am Dienstag vorvergangener Woche gegen halb elf Uhr vormittags von einer Stimme aus meiner Badezimmersteckdose angesprochen und für meine, ich zitiere, „zwar schon etwas reifere, aber immer noch rosige und verblüffend geschmeidige Haut“ gelobt worden bin. Anschließend ist aus den Steckdosenlöchern ein grünliches Lebewesen gequollen, das sich nach und nach zu einem Volumen von ungefähr sieben Kubikmetern aufgebläht und mich mehrmals unsittlich berührt hat.
Womit?
Mit seinen Tentakeln.
Können Sie das Wesen näher beschreiben?
Leider sind mir schnell die Sinne geschwunden. In Erinnerung geblieben ist mir jedoch, dass es Hornschuppen gehabt hat. Und zehn oder zwölf Augen.
Und dann?
Als ich wieder zu mir gekommen bin, war es weg.
Wie haben Sie sich gefühlt?
Irgendwie erfrischt und wie neugeboren, würde ich sagen.
Gibt es irgendwelche Beweise für Ihre Geschichte?
Allerdings! (öffnet behände sein Hemd) Sehen Sie hier die Druckstellen auf meinem Oberbauch?
Nein.
Ich aber schon. Die stammen von Andromalius!
Ist das der Name des Wesens?
Ja. Den hat es mir bei seinem zweiten Besuch verraten. Inzwischen ist es so an die dreißig-, vierzigmal bereits bei mir gewesen. Das geht auch aus einer Zählung hervor, die Vertreter des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in meinem Badezimmer durchgeführt haben. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen das entsprechende Zertifikat vorlegen.
Existieren auch Foto- oder Videobeweise?
Nein. Andromalius ist sehr scheu. Er besteht auf absoluter Diskretion.
Es ist also ein „Er“?
Schwer zu sagen. Ich falle jedes Mal ziemlich bald in Ohnmacht, wenn Andromalius aus der Steckdose quillt, und mir ist nicht völlig klar, was er dann mit mir anstellt. Er macht aber hinterher immer alles gut sauber. Da gibt’s nichts zu meckern! Letzten Freitag hat er sogar den Müll runtergebracht und meinen Backofen geputzt.
Und wenn er mit Ihnen fertig ist, verschwindet er wieder in der Steckdose?
Das nehme ich an.
Haben Sie mal versucht, ihm zu folgen?
Ja, aber dabei habe ich einen gewischt gekriegt.
Nach einer Partnerschaft auf Augenhöhe klingt das alles ja nun nicht.
Sehe ich auch so. Ich habe deswegen bereits das Team von Doktor Sommer aus der Bravo angeschrieben, aber noch keine Antwort erhalten.
Sie hätten doch auch die Möglichkeit, sich an einen Paartherapeuten in Ihrem Wohnort zu wenden …
Können vor Lachen! Bis vor kurzem hat’s hier gerade mal zwei von denen gegeben, aber der eine hat sich vorige Woche umgebracht, und der andere steht seit gestern in Frankfurt vor Gericht, weil er seine Frau vergiftet hat.
Was ist mit Selbsthilfegruppen? Sie sind ja nicht der einzige Mensch, der Beziehungsprobleme mit Aliens hat.
Einmal und nie wieder. Die Leute, die da hinkommen, sind bloß darauf aus, die Kontaktdaten abzuschöpfen, um sich dann mit den außerirdischen Partnern der anderen Gruppenmitglieder in die Büsche zu schlagen.
Haben Sie in dieser Hinsicht persönlich schlechte Erfahrungen gesammelt?
Ein Stück weit schon. Ich habe vorgestern den Fehler gemacht, einem meiner Nachbarn – dem alten Herrn Specht, der zwei Häuser weiter wohnt und an Hüftgelenksarthrose leidet –, von meinem außerirdischen Liebhaber zu erzählen, und seither ist Andromalius ausgeblieben, während Herr Specht auf einmal vierzig Jahre jünger wirkt und seine Weidenrindekapseln und alle möglichen anderen Medikamente bei Ebay zu versteigern versucht. Man braucht nicht Sherlock Holmes zu sein, um zu begreifen, dass da ein Zusammenhang besteht.
Fühlen Sie sich hintergangen?
Ja und nein. Andromalius hat mir ja keinen Rosengarten versprochen. Emotional bin ich aber trotzdem angespannt, und ich vermisse auch das Körperliche.
Vielleicht sind Sie ja für Ihren Freund aus dem Weltall eben nur ein schönes Abenteuer gewesen.
Das würde ich so nicht unterschreiben. Ich war zwar meist bewusstlos, wenn er Liebe mit mir gemacht hat, aber irgendwo habe ich das Gefühl, dass wir dabei auch auf einer spirituellen Ebene zusammengekommen sind. Die Tentakel sind das eine, und das andere sind die feinstofflichen Energien, durch die sich manche blockierenden Muster auflösen lassen, und die heilenden Ströme der Gnade, die sich zu der höchsten Ursprungsweisheit aufsummieren, falls Sie mir folgen können.
Nur teilweise.
Es geht da, kurz gesagt, um Schwingungen aus Jupiter- und Sonnenenergie, die sich im Ultraviolettbereich des Lichts mit den menschlichen Akupunkturpunkten überschneiden. Genaueres können Sie in den Werken des chinesisch-philippinischen Großmeisters Choa Kuk Sui nachlesen, wenn Sie sich für die Resonanzfelder des inneren Seelenraums interessieren sollten. Für mich persönlich resultiert daraus die Erkenntnis, dass sich in Andromalius meine gegengeschlechtliche Dualseele verkörpert hat – mein kosmischer Sphärenbruder, der mich in der Kunst des Loslassens unterweisen möchte.
Aber jetzt treibt er’s mit Herrn Specht von nebenan …
Mag sein. Doch das wird den beiden noch leidtun.
Wieso? Was haben Sie vor?
Das werden Sie übermorgen aus dem Aschaffenburger Lokalteil der Tageszeitung Main-Echo erfahren. Vielleicht schaff ich’s aber auch in die Tagesschau.
Na, dann gute Verrichtung, Herr Gsella!
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