Die Wahrheit: Sechzehn Jahr, blondes Hirn
Heerscharen ihrer Jünger pilgern zur Heimstätte der neuen schwedischen Heiligen Sancta Greta Thunberg in Stockholm. Eine Wallfahrtsreportage.
Ein wolkenloser, bis hinten transparenter Sommerhimmel spannt sich über Stockholm, mittendrin strahlt die Sonne über beide Backen: Wie ein eingeborenes Symbol Schwedens begleiten die Farben Blau und Gelb die Wallfahrer. Schulkinder, Studenten, aber auch richtige Erwachsene – von überall her sind sie gekommen, aus Dänemark, aus Frankreich, aus Deutschland und wie die Länder weiter unten heißen, und sie alle haben ein Ziel: Greta Thunbergs Elternhaus, in dem die kleine Klimakämpferin als Tochter der Opernsängerin Malena Ernman und des Schauspielers Svante Thunberg gemeinsam mit ihrer noch kleineren Schwester Beata wohnt und lebt.
Zugestanden: Es war keine fleckenlose Jungfrauengeburt, und ihr Vater war kein handelsüblicher Zimmermann; auch reicht der Stammbaum nicht bis König David hinab. Doch zu ihren erblichen Vorfahren zählt der Prophet Svante Arrhenius, der 1903 den Chemie-Nobelpreis eintütete, als Erster eine globale Erhitzung auf die Menschheit zurollen sah und warnend den Stift hob.
Ein Pilger nach dem anderen legt an dem sauberen, wie aus dem Ei gepellten Haus an, in dessen Vorgarten eine lebensgroße kleine Statue von Greta aufgestellt ist. Nicht wenige fallen auf die Hände, falten die Knie und rutschen Stück für Stück ins Haus, das sie gegen einen Obolus – „för klimatet“ – aufrecht betreten dürfen.
Überall hängen im Dickformat Fotos an den geraden Wänden, die schmalen goldenen Rahmen mit Myrrhe umrankt; für kurzes Geld liegen Kopien aus. Die Aufnahmen zeigen Greta, von Weltbankdirektorin Christine Lagarde mit einem bis unten gelungenen Knicks begrüßt, oder Greta, von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit einem Diener von metertiefem Schauwert willkommen geheißen, und weitere Höhepunkte aus Gretas Leben im Kreis der Großen, die – das haben ihr alle ins Gesicht versprochen – alles tun werden, um die Welt mit eigenen Händen zu retten.
Zöpfchen und Wollmützen
Auf einem zum Altar hochgezüchteten kapitalen Tisch im Wohnzimmer sind sie denn auch ausgestellt: die deutschsprachige Goldene Kamera für die Umweltaktivistin, die sogenannte Bibelnummer des Time-Magazins vom März 2019, in dem sie zusammen mit Gott zu einer der 100 einflussreichsten Personen des Universums erhöht wurde, die reine Ehrendoktorwürde der Universität Mons, die sogar älter als sechzehn ist, das offizielle Weltdiplom als ungekrönte Frau des Jahres und die Ehrung als wichtigste Greta 2019, sodann die Regenmachermedaille des Landfrauenverbandes Mecklenburg-Vorpommern und Hunderte weiterer Auszeichnungen und Ehrerweisungen, darunter die Meldung, dass sie für den Friedensnobelpreis von 2019 bis 2099 vorgeschlagen ist. Gegen eine kleine Spende dürfen Besucher – viele tragen obenrum Zöpfchen und Wollmütze – Fotos von dem Altar machen.
Im Allerheiligsten schließlich, Gretas Jugendzimmer, wartet eine wandfüllende Pinnwand, an der wie bedrohte Schmetterlinge Myriaden von Zetteln Zuflucht gefunden haben. „Greta, lehre uns!“, steht da in vielen dazu nützlichen Sprachen, „Greta, sprich – wir hören!“ und „Greta, errette uns!“; auch „Eine Menschheit, eine Welt, eine Greta!“ ist zu lesen, und auf einem Hafti heißt es sogar, naturgemäß auf Deutsch: „Greta befiehl, wir folgen!“
Ehrfürchtig betrachten die Pilger den mit echten Schulbüchern belasteten Schreibtisch und Gretas Jugendbett, beide unter kratzfestem Plexiglas mannshoch verwahrt. „Greta ist seit den Kinderschuhen gesegnet mit dem Asperger-Syndrom“, murmelt eine Pilgerin und lässt ihr Gesicht leuchten: „Sie sieht, was wir nicht sehen!“ – „Wahrlich“, raunt ein anderer Pilger, „sie sieht die leibhaftigen Kohlendioxidmoleküle in der Luft!“
Beide haben sich offensichtlich vor ihrer Pilgerschaft Malena Ernmans Buch „Szenen aus dem Herzen. Unser Leben für das Klima“ einverleibt, in dem die reizende Mutter das wundertätige Wirken ihrer Tochter seit ihren Anfängen vor sechzehn Jahren offenbart. Für alle anderen Hadschis liegt auf der Besuchertoilette ein Leseexemplar aus. Einige Seiten fehlen zwar, doch gegen eine vollständige Schutzgebühr kann das ganze Buch im Shop erworben werden.
Für die Warteschlange vor der Toilettentür läuft auf einem Monitor in Endlosschleife ein Filmchen. Es zeigt, wie Greta Thunberg umweltfreundlich mit der Bahn zum Klimagipfel der Vereinten Nationen nach Kattowitz, zum Weltwirtschaftsforum nach Davos und zur Europäischen Kommission in Brüssel reiste, um Politiker, Ökonomen und Konzernvorstände wachzuboxen.
Papst als Prediger
„Greta hat erkannt, dass der Klimawandel uns alle zum Schmelzen bringen wird“, flüstert ein Pilger und nickt noch mehr. „Greta hat bewiesen, dass unser kleiner Globus verkochen tut, wenn wir nicht superviel anders machen“, wirft ein Mädchen mit gedämpfter Stimme ein. „Greta lehrt, dass wir unsere Zukunft nicht gegen die Wand schmettern dürfen“, steuert ein alter Mann ganz piano bei. „Greta hat sogar den Papst empfangen und ihn ermuntert, gegen das Kohlendioxid zu predigen!“, weiß eine Frau in Zeichensprache.
Sie alle sind fest darüber im Bild, dass schon die Zwölfjährige ihren Eltern den Weg keines Fleisches wies gleich dem Knaben Jesus, der die Priester im Tempel von Jerusalem nach Strich und Faden lehrte. Und gleich dem Erlöser schilt sie die verbockten Pharisäer und Sadduzäer in den Medien, weist die erwachsenen Heuchler zurecht, die kein Gehirnschmalz an das glühende Morgen verschwenden, und wäscht sich die Füße, sintemal wir alle Sünder sind.
Gut anderthalb Millionen Menschen nahmen zuletzt an den weltweiten „Freitage für Zukunft“-Demos teil. Jetzt, in den Ferien, trocknet die Bewegung scheinbar aus. Doch tatsächlich nutzen viele die schul- und vorlesungsarme Zeit für die Wallfahrt, die man einmal im Leben machen soll. Manche sind sogar, weil sie es nicht mehr halten konnten, mit Auto oder Flugzeug angereist; der Zweck heiligt die Mittel, das gilt auch im Klimaschutz mit seinen manchmal unpopulären Maßnahmen.
Langsam rutscht die Sonne zum Horizont, und bei dem einen oder anderen Pilgrim beginnt nun doch Enttäuschung still zu keimen. Greta ist nicht zu Hause – dabei hätte jeder gern mit seinen Fingern ihr Gewand betastet, ihre Gloriole befühlt, die Wollmütze, oder sich von ihr die Hand oben auflegen lassen. Und warum wurde das Haus und alles darin so herausgeputzt, dass es wie neugeboren aussieht?
Mutter Malena indes ist zufrieden und verabschiedet die letzten Besucher für ein paar Kronen mit einem freundlich hingeschenkten „Tak för besöket“. Dann dankt sie dem Personal, schließt die Tür zum Schrein hinter sich und fährt zu ihren Lieben nach Hause.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann