Die Wahrheit: Schlimmer als die Grünen
Es reicht jetzt mal! Sämtliche Verbotsreligionen gehören dringend verboten. Das fordert in diesen warmen Tagen eine Freiburger Initiative.
„Verbote, Verbote, Verbote!“, ruft Christoff Lindemann erbost, während er Kisten aus dem Kleintransporter hievt und neben seinem Stand auf die Straße stapelt. „Es hängt mir so zum Hals heraus. Erst meine Eltern, dann die Schule, dann die Grünen und schon seit Urzeiten die Religionen. Aber wenigstens damit ist jetzt Schluss!“
Christoff Lindemann, seines Zeichens städtischer Sachbearbeiter, ist Initiator der Bewegung Freie Liberale, kurz FL, und heute ist der ganz große Aktionstag gegen Verbotsreligionen in Freiburg an der Dreisam. „Schreiben Sie ruhig, die irren Verbotsreligionen, ja, ja! Das sind Fanatiker. Irre Fanatiker. Die wollen doch unser aller Leben bis ins Kleinste regeln und bestimmen.“
Lindemann streicht zärtlich über sein Agitationsmaterial, ruckelt die Kisten zurecht. „Zum Beispiel, was wir anziehen dürfen: Bei den einen muss man im Gotteshaus den Hut abnehmen. Bei den anderen eine Mütze oder ein Hut aufsetzen. Und die ganz Fanatischen behaupten, Gott würde uns ständig auf den Kopf schauen, deshalb stets mit Mütze. Wieder andere wollen, dass Frauen ihr Haar nicht zeigen, dafür müssen sich Männer Bärte wachsen lassen. Alle plemplem!“
Das Gesicht des 38-Jährigen ist jetzt schon leicht rot angelaufen, zum Glück kommen gerade seine ersten Mitstreiter. Lindemann öffnet die Kisten mit den Schildern, Transparenten und Infoflyern. Blaue T-Shirts oder Hemden haben die Freien Liberalen an, dazu ein rotes Halstuch oder eine gelbe Krawatte. Lindemann selbst trägt wie an seinem Arbeitsplatz Hemd und Krawatte. An die hat er den FL-Anstecker geheftet, einen dicken, roten Pfeil mit der gelben Aufschrift „FREIHEIT“. Klein darunter steht „für Deutschland“.
Jeder der ausschließlich männlichen Aktivisten bekommt nun ein Schild, ein Transparent und ein paar Flugblätter in die Hand gedrückt. Und schon geht es auf Kommando von Lindemann los. Ziel sind die vielen Gotteshäuser in Freiburg. Gegen religiöse Verbote und vor allem für Freiheit soll dort demonstriert werden. Mit Sprüchen wie „Verbote gehören verboten“, „Verbieten lass ich mir nicht bieten“, „Lieber tot als Verbot“ – und auch der alte Sponti-Spruch „Verbieten verboten“ fehlt natürlich nicht.
Schluss mit den 10 Verboten
„Freiheit!“, spricht Lindemann den markigen FL-Gruß und klopft einem jungen, adretten Mann auf die Schulter. „Die zehn Verbote sind hier ein schönes Beispiel“, erklärt er ihm. „Du darfst nicht ehebrechen, du darfst sonntags nicht arbeiten, du darfst nicht lügen, du darfst nicht stehlen, du darfst nicht töten. Da wäre doch im Leben nie jemand drauf gekommen, wenn das nicht verboten wäre. Wenn man einem Kind sagt: Guck nicht in die Kiste und das Kind ist später allein, dann guckt es doch sofort in die Kiste. Hätte man nichts gesagt, hätte es die Kiste gar nicht bemerkt.“
Dass der Aktionstag in Freiburg stattfindet, ist kein Zufall. Die Freien Liberalen haben sich hier vor einem halben Jahr gegründet; inzwischen sind sie die zweitstärkste liberalistische Bewegung Deutschlands.
„Und dann die Essverbote!“, ereifert sich Lindemann und bindet dabei seinen linken Schnürsenkel. „Du darfst kein Schwein essen. Du darfst keine Kuh essen. Du darfst das Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen. Freitags gibt’s nur Fisch.“ Der Sachbearbeiter im Freiburger Rathaus, der sich ein mehrmonatiges Sabbatical genommen hat, ist ganz aus dem Häuschen. „Es gibt inzwischen Schulen, ja Kantinen, die dieses freitägliche Fischessen klammheimlich eingeführt haben. Da ist der grüne Veggie-Day ein Vogelschiss dagegen. Ich will am Freitag ein Schnitzel auf meinem Schnitzel!“
Gerade haben sich zum Demozug wieder ein paar Freiwillige aus dem gesamten Bundesgebiet gesellt, einige sogar mit selbst gemachten Transparenten. „Das geht natürlich gar nicht“, sagt Lindemann, während er die Spruchbänder austauscht gegen solche von der FL. Deren Texte seien schließlich im Gremium abgesegnet worden.
Verbotsreligionen verbieten
„Wir müssen natürlich darüber nachdenken“, sagt Lindemann auf Höhe einer Eisdiele, „dass wir die Verbotsreligionen selbst verbieten. Bei uns hat jeder jederzeit das Recht, alles zu essen oder sich zu kleiden, wie er will. Bei uns sind weder Bilder verboten noch Tanz oder gar Musik. Wer das nicht akzeptiert, hat in unserem abendländischen Wertesystem nichts zu suchen.“ Eine Ader an seiner Schläfe pocht, plötzlich ähnelt er einem deutschen Rocksänger.
Religionsverbote? Unwillkürlich drängt sich die Frage nach der verfassungsmäßig verbrieften Religionsfreiheit auf.
„Wir müssen dann eben das Grundgesetz ändern. Wenn wir allen erlauben, uns alles zu verbieten, was dann?“, fragt Lindemann. „Freiheit ist die Freiheit der Andersdenkenden, das sagte schon Rosa Luxemburg. Und im Moment bin ich der Andersdenkende. Wenn wir diesen irren Verbotsreligionen freie Hand lassen, sind wir irgendwann am Arsch.“
Dann zieht er los, fröhlich „Freiheit“ von Marius Müller-Westerhagen pfeifend. Christoff Lindemann muss eben noch vor einer Synagoge gegen Verbote demonstrieren.
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