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Die WahrheitDer Gefahrschalter

Kolumne
von Eugen Egner

Ein Schalter mit seltsamer Aufschrift, ein Handy, das es noch nicht gibt und ein Radio mit mysteriösen Stimmen: zu Besuch in einem Elektroladen.

M it meinem siebzig Jahre alten Wohnzimmerradio, aus dessen Lautsprecher neuerdings nichtmenschliche Stimmen zu hören waren, suchte ich einen Elektro- und Rundfunktechniker in der Nähe auf. Ich hatte den Apparat kaum auf die Theke gestellt und begonnen, über das schier unglaubliche Problem zu sprechen, da stürmte eine Frau in den Laden und rief dem Inhaber zu: „Führen Sie auch Reparaturen an elektrischen Vorrichtungen durch, die nichts mit Radio- oder Fernsehtechnik zu tun haben?“

„Kommt darauf an“, sagte der Gefragte. „Erlauben Sie, dass ich zuerst der Dame helfe?“, fragte er mich. Ich nickte schicksalsergeben.

„Worum geht es denn?“, wollte der Techniker sodann wissen. Sie präsentierte ihm einen „Spezialschalter“, der, wie sie behauptete, infolge häufigen Gebrauchs defekt sei. Der Schalter trug die Beschriftung: „Bei Gefahr diesen Schalter drücken!“

„Ich habe ihn von meinen Eltern geerbt“, erklärte die Kundin, „und er ist mir immer eine große Hilfe gewesen. Doch die Gefahren haben seither ständig zugenommen, sodass ich den Schalter immer öfter drücken musste. Das hat ihn abgenutzt, irgendetwas scheint abgebrochen zu sein.“

„Ich kann mich der Sache gern annehmen“, sagte der Elektrotechniker, „als seriöser Geschäftsmann muss ich Sie allerdings darauf hinweisen, dass ich dann die Möglichkeit habe, die Bauweise des Schalters zu kopieren. Das liegt in der Natur der Umstände. Wären Sie damit einverstanden?“

Die Frau zog ein Mobiltelefon, das es damals noch gar nicht gab, aus der Tasche. „Das kann ich nicht allein entscheiden. Ich werde meine Eltern fragen.“ Der Radiotechniker und ich sahen staunend zu, wie sie einige winzige Tasten drückte, um dann ein Gespräch zu führen. Aus dem kleinen Fernsprecher war eine leise Stimme zu vernehmen, zu leise für uns, um etwas verstehen zu können. Das Telefonat dauerte nicht lange. Anschließend verkündete die Kundin: „Meine Eltern willigen ein, weil eh alles egal ist.“

„Könnte ich mir vielleicht auch die Schaltung Ihres Telefons kopieren?“, fragte der Ladeninhaber. Auch das erlaubte ihm die Frau, indem sie hinzufügte: „Bitte reparieren Sie es bei dieser Gelegenheit doch gleich. Es ruft eigenmächtig Menschen an, und außerdem ist der Lautsprecher defekt. Ich kann nicht hören, was die andere Partei sagt.“

Der Techniker versprach, er werde es sich ansehen, und die Frau legte das Mobiltelefon neben ihren Spezialschalter und mein Radio. Ohne ein weiteres Wort verließ sie das Geschäft. Nun wandte sich der Mann hinter der Ladentheke endlich meinem Radio zu. Er schloss es an eine Steckdose an und schaltete es ein. Sobald die Röhren warm waren, ertönten die nichtmenschlichen Stimmen. Der Techniker wurde blass. Es war deutlich erkennbar, dass er jetzt der Aufmunterung bedurfte.

„Wenn Sie wollen, können Sie sich gern die Schaltung kopieren“, bot ich ihm an.

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