Die Wahrheit: Betäubte Trigger
Wie gelingt die erfüllende Nicht-Beziehung? Ein Erfolgsteam packt aus und gibt Tipps zur Entsexualisierung des Alltags.
Seid 27 Jahren wohnen Renate Röhner und Uwe Meinsen mit ihren Familien Tür an Tür in einer hübschen Reihenhaussiedlung in Bremen. Seit 27 Jahren sind Renate und Uwe scharf aufeinander – und haben nie etwas miteinander angefangen! Wie schaffen das die beiden nur? Gibt es da ein Erfolgsrezept? Was ist das Geheimnis ihrer jahrzehntelangen, stabilen Nicht-Beziehung? Warum gelingt es manchen Menschen und anderen wie Heiko Maas, Mutter Beimer und Donald Trump nicht?
„Viele Leute glauben, das geht einfach so, da kann man den Ball einfach laufen lassen. Dabei ist es Arbeit, Arbeit, Arbeit!“, erläutert Renate Röhner ihre Gelingformel, als wir uns zu viert zum Interview in Renates Wintergarten treffen. Und Uwe Meinsen pflichtet ihr bei: „Ja, jeden Tag muss man gemeinsam daran arbeiten, sich immer wieder neu zusammenraufen.“ Die Tasse Friesentee in der Hand, erinnert er sich: „Die Renate sah ich das erste Mal bei ihrem Umzug am Gartenzaun, da war sie einunddreißig. Wie ihre Glocken oben über die Umzugskiste lappten, der helle Wahnsinn! Und ich stand da, Speichel troff mir über den Vollbart, und dachte: Herr im Himmel, steh mir bei! Na, eigentlich denk ich das heute noch“, seufzt Uwe und lächelt Renate zu, für wenige Momente, ehe sich die Gesichtszüge des katholischen Gymnasialdirektors wieder entspannen.
Denn: Da waren die Ehepartner. Die Kinder. Und Uwes Arbeitsstelle. „All das wollten er und ich nicht aufs Spiel setzen. Deshalb haben wir uns eben zusammengerissen. Alles andere wäre kurzsichtig gewesen. Es ist ja nicht so, dass ich alles an Uwe schätze. Seine Lippen, seine Pobacken, das ja, aber seinen Charakter? Und dafür meine Ehe aufgeben? Mit Uwe eine feste Beziehung? Nee danke!“
Der Vierte am Tisch im Wintergarten ist Dr. Werner Ulfsen. „Die Menschheit hängt dem Irrglauben an, intime Beziehungen verhindert man einfach so“, umreißt der Paartherapeut aus Bremen-Schwachhausen die Sachlage. „Dabei braucht es die Einhaltung bestimmter Spielregeln. Wichtig ist, gemeinsam sogenannte Stabilisatoren zu entwickeln, die als Bollwerk gegen die Geilheit fungieren. Stichwort: Impulskontrolle! Ein Tipp: Sich beim anderen auf die Minuspunkte konzentrieren. Stärken missachten, auf Schwächen fokussieren. Hat er oder sie nicht fatalen Mundgeruch? Und woher kommt plötzlich dieses eklige Doppelkinn?“
Ein weiterer guter „Stabilisator“ sei auch, betont Dr. Ulfsen weiter, die verbale Kommunikation. Man solle ruhig gemeinsam darüber reden, so oft wie möglich, das Thema richtig schön plattwalzen, „das nimmt die Spannung aus der Sache. Das mach ich auch immer so mit meinen Patientinnen. Klappt super!“
Scholli in Shorts
Renate und Uwe schaffen es. „Aber leicht ist es nicht immer“, ächzt Erstere und linst noch einmal zu ihrem Nachbarn. „Es gibt immer wieder auch schwierige Zeiten. Zum Beispiel Mitte Juni bis August. Uwe in kurzen, engen Shorts hinterm Gartenzaun, mein lieber Scholli!“
Oder damals, vor 19 Jahren, als sie Uwes verschwitzt-geile Knubbelnase doch mal eines Vormittags durch ihren Türspion sah, als ihr Ehemann gerade auf Geschäftsreise in Patagonien war und seine Frau im Kreißsaal. „Am ganzen Leib gezittert hab ich“, denkt Renate an jenen Tag zurück, „und Bläschen hatte ich vorm Mund. Botenstoffe, Dopamin, Dopamin, überall! Puuh! Aber ich hab die Tür einfach nicht aufgemacht“, erinnert sich die 58-Jährige voller Stolz. „Ich bin ins Wohnzimmer gegangen und hab ganz laut Reinhard Mey aufgedreht. Und dann hab ich die Augen fest zugemacht und mir vorgestellt, wie Uwe gerade Durchfall hat – mitten im Lehrerzimmer.“
Wichtig sei auch, wirft Dr. Ulfsen ein, aufeinander stets Rücksicht zu nehmen. Renate Röhner tut es: „Manchmal jäte ich im Hochsommer absichtlich in Kittelschürze und kratziger Strumpfhose Unkraut, um den lieben Herrn Nachbarn nicht wuschig zu machen, jeden Trigger zu vermeiden.“
Intakte Ehen in brutaler Balance
Fast drei Jahrzehnte sind mittlerweile ins Land gezogen, in denen Renate ergraut ist und Uwes Kopf nur noch ein mickriger Haarkranz ziert. 27 Jahre, Wand an Wand, Terrasse an Terrasse, Gartenzaun an Gartenzaun. „Ein brutaler Balanceakt. Aber ich kann nur sagen, es lohnt sich!“, resümiert Uwe, und Renate nickt. Ihre Ehen sind noch immer intakt, ihre Familien happy.
„Klar finde ich sie noch immer anziehend. Na gut, ganz so anziehend auch nicht mehr“, sagt Uwe Meinsen und betrachtet Renates Mundwinkelfalten. „Renate, sag ich immer, die Zeit heilt alle Laster. Die letzten Jährchen stehen wir auch noch durch!“, ruft er und hebt seine weiß behaarte Hand, als patschte er sie jeden Moment auf Renates Oberschenkel, bremst aber in letzter Sekunde elegant ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“