Die Wahrheit: Kafka, echt jetzt!
Der lesemüde Nachwuchs soll an die Literatur herangeführt werden. So mancher Klassiker wird dafür sprachlich auf Vordermann gebracht.
„Ganz am Anfang schöpfte Gott den Himmel und auch die Erde. Und diese Erde war noch voll die Wüste und echt ziemlich leer. Und dann war es auch irre finster, und der Geist von Gott schwebte dabei total easy über dem Wasser. Dann sagte Gott: Macht doch mal Licht. Da wurde es auch gleich richtig hell. Gott fand, dass dieses Licht supercool war, und nannte es von daher Tag. Und das Dunkle, das nannte er einfach mal Nacht. Na ja, und so wurde halt aus Morgen und Abend der erste Tag oder so, Wahnsinn!“
Walburga Marklstein von der Ökumenischen Bibelgesellschaft hält inne. „Das ist das erste Kapitel der Genesis, Vers eins bis fünf“, sagt sie und erklärt: „Nur mit einer zeitgemäßen Übersetzung können wir uns der Jugend verständlich machen!“ Die Cheflektorin des gesellschaftseigenen Verlags legt die Druckfahnen beiseite und ergänzt: „Selbstredend modernisieren wir für die Kids auch das Vaterunser!“
Sie denkt kurz nach, faltet erst die Hände, dann entfaltet sie sie nach einem Blick auf den Besucher wieder und referiert trocken: „Statt ,Vater unser, der du bist im Himmel' heißt es jetzt ,O my god, du bist im Himmel‘, dann: ,Was du willst, das soll wegen mir auch gern passieren. Nicht nur im Himmel, sondern arschklar auch hier bei uns. Unsere täglichen Pommes Schranke gib uns heute … und so weiter.“
Was hier geschieht, ist kein Einzelfall, sondern ein Trend. Verlage, Autoren und Buchhandel kämpfen ums Überleben und müssen wie verrückt den Nachwuchs zum Lesen verführen. Das wird auch bei unserem Besuch der Company Lesefutter Unlimited deutlich. Dort hält Marketingchef Johannes „John“ Meier das erste, noch druckfrische Exemplar eines Heinrich-Heine-Sammelbands in der Hand und liest dem Gast nun vor: „,Ich weiß überhaupt nicht, / was das alles bedeuten / soll. Eine Story aus überkommenen Zeiten, / die geht mir definitiv auf den Sack, aber echt.' Klasse, was?“, wendet sich der Mann mit dem Basecap an uns Reporter. Wir sind allerdings schon ein klein wenig erschüttert.
Literatur häppchenweise
Ob die anderen Strophen genauso seien?, fragen wir vorsichtig. „O no!“, wehrt Meier ab. „Den Restmüll lassen wir immer weg! Extrem viel wichtiger ist, dass wir mit solchen tollen Lesehäppchen das Interesse der jungen Menschen an der Klassik irgendwie wecken.“ Was er denn sonst bisher publiziert habe? „Kafka! Echt ein Meister der Sprache, Mann! Den Anfang von dem ,Prozess‘ kann ich sogar noch: ,Irgendjemand hatte den total unschuldigen Herrn K. absolut zu Unrecht verraten. Dabei hatte der wirklich nichts Schlimmes oder so verbrochen. Trotzdem wurde jener an einem beliebigen Morgen einfach so von zwei Typen verhaftet.' Haut echt rein, was?“
Freudestrahlend reicht er uns einen Verlagsprospekt. „Hier. Schaun Sie mal, was wir wieder als Nächstes rausschwuchteln! ,Total verlorene Illusionen‘ von Balzac und „Die voll durchgeknallten Karamasow-Brothers“ von Old Dostojewski. Und alles vom Shakespeare!“
Maximilian von Piskow, Direx
Meier fährt mit dem Finger über eine Seite und liest laut Titel vor: „Viel Lärm um absolut nichts“, „Was wollt ihr denn?“, „Die Zähmung von den Widerspenstigen“ und „Verlore’ne Liebesmüh, Scheiße!“.
Wir bedanken uns ganz herzlich für die Einführung, weil der nächste Termin schon drängt: ein Besuch der Benjamin-Lebert-Gesamtschule. Über dem Tor hängt ein Transparent, auf dem in bunten krakeligen Lettern die crazy Maxime der Bildungseinrichtung steht: „Wir lernen hier absolut nicht für die Schule, sondern wir machen Learning für das real life. Echt jetzt!“
Abbau von Hemmschwellen
„Wir müssen den Schülern und Schülerinnen schon auch auf Augenhöhe begegnen“, erläutert der Direx, Maximilian von Piskow, „weil nur so können wir von ihnen lernen. Zu wissen, wie die Schüler ticken, das ist wahnsinnig wichtig für eine moderne Schule! Ich unterrichte ja auch Deutsch“, gesteht von Piskow, und er ergänzt: „In der Abiturklasse nehmen wir gerade Ernst Jandls berühmtes Gedicht durch: ,Manche sagen doch glatt, rechts und links kann man immer nicht verwechseln. Welch ein abgefuckter Irrtum, Leute!'“
Aber das verfälsche doch die Aussage, oder? „Es geht definitiv darum, ultimativ Hemmschwellen vor Literatur abzubauen“, belehrt uns der Direx. „Ja klar, früher habe ich das auch mal ganz anders gesehen! Aber Sie wissen ja: Die schärfsten Kritiker von den Elchen werden schließlich selber mal so welche.“
Uns fällt dabei ein irgendwie klassisches Wort ein: „Der Stil, der ist der Mensch.“ Aber dann sagen wir doch: „Man kann doch aber nicht alles in diesem Deutsch bringen, finde ich!“
„Never!“, stimmt uns der Direx auch absolut zu. „Aber worüber man nicht so reden kann, darüber muss man von daher dann jeweils schweigen.“
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