piwik no script img

Die WahrheitFlughafen für Rucksackpenner

Anke Richter
Kolumne
von Anke Richter

Neues aus Neuseeland: Eine Nacht am Flughafen von Christchurch schlägt alles an Tortur und globalem Wir-Gefühl.

T ourist sein kann jeder. Aber um sich Backpacker zu nennen, muss man Initiationsriten durchstehen. Nein, nicht Bungeespringen und Kampftrinken. Sondern kostenlose Härtetests, die Insiderkenntnisse und Weltläufigkeit beweisen. Früher waren das: eine Vollmondparty auf Ko Pha Ngan, überfallen werden in New York, Amöbenruhr in Indien. Heute ist es eine Nacht am Flughafen von Christchurch. Die schlägt alles an Tortur und globalem Wir-Gefühl. Damit kommt man sogar in die Schlagzeilen.

Christchurch ist die größte Stadt der Südinsel und hat einen schick umgebauten Terminal, wo man gutes Sushi bekommt. Ein internationaler Umsteigeplatz ist der Flughafen jedoch nicht. Dagegen aber ein internationaler Einschlafplatz. Unter den Travellern hat sich herumgesprochen, wie gut man dort auf dem Boden und den Bänken ruht – und sich damit das Geld für ein teures Hotel spart.

Reihenweise rollten sich junge Reisende im Ankunftsbereich in ihre Schlafsäcke, in den Toilettenräumen wurde gar auf Campingkochern gekocht. Bis zu 200 betuchte Obdachlose pro Nacht: wunderbare Globetrotterwelt, warm und mit WiFi! Doch damit hatte es vorletzte Woche ein jähes Ende. In einer unbarmherzigen Nacht-und-Nebel-Aktion beschloss die Flughafenverwaltung, die Kampierer vor die Tür zu setzen, da zwischen Mitternacht und Morgengrauen keine Flüge mehr starten.

Übernächtigte Rucksackreisende, die für die Stunden bis zum nächsten Flug nicht eigens in ein Hostel in der Stadt fahren wollten, lernten gleich zur Ankunft den schönsten Arsch der Welt von seiner unschönen Seite kennen. Das Flughafenpersonal warf sie bei Minustemperaturen hinaus in die kalte Nacht. Auch aus der Raucherecke im Freien wurden sie vertrieben. Die Flughafen-Penner saßen ihre Nacht frierend in Bushaltestellen und auf Grünstreifen ab.

Eine mitleiderregende Odyssee hatten vier Deutsche hinter sich, die mit dem letzten Flug am Abend gelandet waren und früh morgens um acht als Erstes ihr Wohnmobil abholen wollten. Erst verkrochen sie sich unter die Treppe des Parkhauses, wurden aber auch dort aufgestöbert. Dann wanderten sie schlaftrunken zum nächsten McDonald’s. Da wollte man sie am Drive-in-Schalter nicht bedienen, weil sie kein Auto hatten.

Als das gesittete Christchurch die Bilder der herumirrenden Karawane in der Tageszeitung sah, war es geschockt. Nichts trifft einen Kiwi schlimmer, als wenn man ihn für nicht gastfreundlich hält. Der erste Eindruck von Aotearoa – ein Fußtritt in die Kälte? Die Empörung war groß. Die Stadt fürchtet, noch mehr Touristen zu verlieren, wenn sich diese Art der Begrüßung herumspricht.

„Wir sind keine Herberge“, verteidigt sich Flughafenchef Jim Boult und behauptet, manche Rucksackreisende würden ihren Zwischenstopp dreist auf mehrere Tage ausdehnen. Damit hat es jetzt ein Ende. Wer landet, darf zwar auch nachts im Terminal bleiben – aber nur mit einem Abflugticket für den nächsten Morgen. Insider-Tipp: McDonald’s gilt es weiterhin zu meiden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anke Richter
Anke Richter ist Wahrheit-Kolumnistin, Buch-Autorin und Mitglied von Weltreporter.net in Neuseeland. Zuletzt erschien von ihr die Auswanderersatire "Was scheren mich die Schafe. Unter Neuseeländern - Eine Verwandlung" (Kiepenheuer & Witsch).
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!