Die Verständnisfrage: Ich rauche ja, weil ich süchtig bin
Warum liegen eure Kippen überall rum, fragt ein Leser. Weil mir die Mülleimer in Berlin zu eklig sind, antwortet ein Student.
In der Verständnisfrage geht es jede Woche um eine Gruppe, für deren Verhalten der Fragesteller_in das Verständnis fehlt. Wir suchen eine Person, die antwortet.
Peter Pütz, 37, Tischler aus Berlin, fragt:
Liebe Raucher*innen, woher kommt die Selbstverständlichkeit, eure Zigarettenstummel auf den Boden zu werfen?
***
Matthäus L., 27 Jahre, Student aus Berlin, antwortet:
Seit neun Jahren rauche ich, und genau so lange schmeiße ich meine Kippen auf die Straße. Eigentlich bin ich ein umweltbewusster, sauberer Typ. Anderen Müll von mir, außer Kronkorken, entsorge ich ganz normal. Aufgerauchte Zigaretten sind für mich aber etwas anderes.
Ab und zu, wenn ein Mülleimer in der Nähe ist, entsorge ich meine Kippe da – aber davon gibt es, gerade in Berlin, viel zu wenige. Und ich will nicht mehrere Hundert Meter mit meiner gerauchten Kippe durch die Stadt laufen, bevor ich endlich so einen ekelhaften orangenen Mülleimer von der BSR finde, nur um meinen noch viel ekelhafteren Zigarettenrest in ein viel zu kleines, unhygienisches und meistens überfülltes Loch zu drücken.
Ich rauche ja auch nicht aus purer Freude, sondern vor allem, weil ich süchtig bin. Sobald der Suchtdruck befriedigt ist, fühle ich mich teilweise schuldig und will damit einfach nichts mehr zu tun haben. Dann werfe ich die Kippe halt schnell auf den Boden und gehe weiter.
Es ist eine Gewohnheit, mit der schwer zu brechen ist. Ich habe schon versucht, einen Taschenaschenbecher zu benutzen. Aber die stinken, outen einen direkt als Raucher, und – am allerschlimmsten – sie zeigen einem am Ende des Tages, wie viele Zigaretten man genau geraucht hat. Furchtbar.
Deswegen haben sich die Taschenascher bei mir – und übrigens auch bei meinen rauchenden Freunden – nie durchgesetzt. Dass ungefähr die Hälfte meiner engen Freunde raucht und es mit den aufgerauchten Kippen so handhabt wie ich, macht es natürlich nicht einfacher, sich das abzugewöhnen. Erst ein einziges Mal hat mich eine Freundin recht unfreundlich gefragt, was das eigentlich soll, meine Kippen einfach irgendwo hinzuschmeißen.
Aber in der Regel bekommt man kein Contra. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist einfach da, zumal in die Raucherhauptstadt Berlin. Sauber ist es hier sowieso nicht, da machen meine paar Kippenstummel den Braten auch nicht mehr fett, und in meinem Alter raucht hier gefühlt eh jede Sau.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Als ich mal in Zürich war, fiel es mir viel schwerer, meine Kippen einfach runterfallen zu lassen. Die Stadt ist so sauber, und generell rauchen dort viel weniger Leute, da fällt man als Raucher mehr auf und will das nicht noch verschlimmern. Da gibt es allerdings auch mehr vernünftige Mülleimer und viel mehr Aschenbecher vor Gebäuden oder am Bahnhof.
Wieder in Berlin bin ich in alte Muster verfallen, Kippe geraucht und weggeschnipst. Ich finde, es sollte nicht mehr so getan werden, als würde es keine Raucher mehr geben – sondern uns sollten attraktivere Möglichkeiten gegeben werden, unsere Stummel richtig zu entsorgen. Das würde mehr bringen, als sich nur darüber aufzuregen, dass wir unsere Kippen zu Boden fallen lassen.
Protokoll: Tim Kemmerling
Häh? Haben Sie manchmal auch diese Momente, wo Sie sich fragen: Warum, um alles in der Welt, sind andere Leute so? Wir helfen bei der Antwort. Wenn Sie eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, dann schicken Sie Ihre Frage an verstaendnis@taz.de.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Nichtwähler*innen
Ohne Stimme