Die Türkei und die IS: Grenzgeschäfte mit dem Terror

Die Türkei gilt als Unterstützer der IS-Terroristen. Vor denen hat Erdogan nun aber selbst Angst und gräbt eine alte Idee aus: die Flugverbotszone.

Wen oder was lassen die türkischen Soldaten wirklich rein oder raus? Kurden oder Waffen? Bild: reuters

ISTANBUL taz | Das Foto ist verstörend und löste in Ankara helle Empörung aus. Es zeigt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seinen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu beim Besuch der Haci-Bayram-Moschee in Ankara. Auf den ersten Blick völlig unspektakulär, ist das Foto im Kontext ein Skandal. Die New York Times stellte das Foto am Mittwoch zu einem Artikel, in dem es darum geht, dass just aus dem Umfeld dieser Moschee etliche Jugendliche sich den islamischen Terroristen des IS in Syrien angeschlossen hätten. Erdogan als Terrorpate?

Der Präsident war empört. In einer Rede am selben Tag nannte er die Unterstellung der NYT „schamlos, schäbig und niveaulos“. Seit zuerst US-Verteidigungsminister Hagel und dann sein Kollege Außenminister Kerry sich nach dem Nato-Gipfel in Wales bei Gesprächen über die Zusammenarbeit gegen den IS in Ankara einen Korb holten, hagelt es in den USA kritische Berichte über die Türkei.

Bereits einige Tage vor der Fotoaffäre veröffentlichte die NYT eine lange Recherche darüber, dass Angehörige des IS Tanklaster mit Öl, das sie auf ihren besetzten Ölfeldern fördern, illegal in der Türkei verkaufen. Die Los Angeles Times hatte einen IS-Kommandanten auf türkischem Boden interviewt, und der letzte US-Botschafter in der Türkei, Francis J. Ricciardone, beschrieb im Wall Street Journal, wie er in Ankara vergeblich versucht, die türkische Regierung von der Unterstützung und Aufrüstung islamischer Fundamentalisten in Syrien abzuhalten. Das Editorial fragte provokativ: „Ist das Nato-Land Türkei überhaupt noch ein Alliierter?“

Aus Sicht der USA und damit auch der EU stell sich diese Frage in der Tat. Seit Erdogan den jetzigen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu zu seinem Außenminister gemacht hatte, wurden die Bemühungen, EU-Mitglied zu werden, mehr oder weniger eingestellt. Stattdessen wird nun auf eine historisch begründete Machtposition im Nahen Osten gesetzt.

Erdogan unterstützte die Muslimbrüder

Während des Arabischen Frühlings unterstützte Erdogans Regierung die in Tunesien, Libyen, Ägypten und Syrien aktiven Muslimbrüder, mit deren Hilfe Erdogan der Türkei wieder die dominante Rolle im Nahen Osten verschaffen wollte, die das Osmanische Reich einmal hatte. Die Strategie scheiterte. In Ägypten putschte das Militär die Muslimbrüder von der Macht, in Tunesien mussten sie daraufhin zurückstecken, und in Syrien scheiterten sie bei dem Versuch, Assad mit Waffengewalt zu verjagen.

Jahrelang tat der Westen wenig, um die Opposition gegen Assad zu unterstützen. Erdogan ließ deshalb den Transfer von Geld, Kämpfern und Waffen auch dann noch über die türkische Grenzen rollen, als in Syrien längst Gruppen wie die mit al-Qaida verbundene Al-Nusra-Front oder der Islamische Staat die Opposition dominierten. Außerdem glaubte der türkische Geheimdienst, IS-Kämpfer in Syrien gegen die dortigen, von der PKK unterstützten Kurden instrumentalisieren zu können.

Nie war die Gesellschaft freier, die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung größer. Doch viele macht das nicht glücklich, sondern panisch. Im Job und in der Liebe. Der Soziologe Heinz Bude in der taz.am wochenende vom 20./21. September 2014. Außerdem: Eine Reportage über verschleppte Kinder im Bürgerkrieg in El Salvador, die als Erwachsene ihre Eltern wiederfinden. Und: Wie eine Initiative in Peru Elektroschrott umweltverträglich entsorgt. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Die Konsequenzen dieser ideologisch motivierten, halsbrecherischen Politik fallen Erdogan und der Türkei jetzt auf die Füße.

Als Kämpfer des IS vor drei Monaten Mossul überrannten, zeigten sie Erdogan ihre Dankbarkeit und nahmen den dortigen türkischen Konsul, seine Familie und alle übrigen Konsularbeamten als Geiseln – 49 von ihnen befinden sich nach wie vor in der Hand des IS. Unter den 1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen, aber auch innerhalb der türkischen Bevölkerung gibt es offenbar genug IS-Sympathisanten, dass die Gotteskrieger glaubhaft mit Terroranschlägen in der Türkei drohen können, sollte Erdogans Regierung sich gegen sie stellen.

Erdogan ist Gefangener seiner eigenen Politik

Wie US-Präsident Obama Erdogan in Wales mitteilte, haben NSA und CIA Erkenntnisse, dass es in allen großen türkischen Städten Schläferzellen des IS gibt, die das ganze Land mit Attentaten überziehen könnten.

Erdogan ist damit zum Gefangenen seiner eigenen Politik geworden. Aus Angst um die türkischen Geiseln und vor Attentaten in der Türkei, vor allem aber, weil er eine indirekte Hilfe für Assad fürchtet, will er den USA keine militärische Unterstützung gegen den IS zukommen lassen. Um die Geister, die man einst rief, jetzt wieder loswerden zu können, wurde im türkischen Sicherheitsrat vor zwei Tagen eine alte Idee ausgegraben.

Erdogan beauftragte seine Militärführung, die Errichtung einer Pufferzone auf der syrischen Seite der 950 Kilometer langen Grenze durchzuspielen, und will auf der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates am Samstag die alte Forderung nach einer vom Westen überwachten Flugverbotszone in den syrischen Provinzen entlang der türkischen Grenze wieder auf die Tagesordnung setzen lassen. So hoffen die türkischen Sicherheitsexperten sich vielleicht doch noch vom IS-Terror abschotten zu können, ohne Assad einen Vorteil zu verschaffen.

Gefahr der „Pakistanisierung“

Die größte Gefahr für die Türkei ist es, dass die gesamte Region entlang der südlichen Grenze „pakistanisiert“ wird, also zu einem Gebiet vergleichbar dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, das seit Jahrzehnten von islamistische Milizen kontrolliert wird.

Ob der Plan einer Pufferzone jetzt eher realisierbar ist als vor zwei Jahren und ob sich jetzt eine multinationale Truppe findet, die diese Pufferzone schützen und überwachen soll, ist mehr als fraglich. Die einzigen Bodentruppen vor Ort sind die syrischen Kurden von der PYD, die eng mit der türkisch-kurdischen PKK zusammenarbeiten und die dort ihr Autonomiegebiet Rojava verteidigen. Just in diesen Tagen hat der IS eine neuerliche Offensive gegen die Kurden gestartet. Sie vertrieben die Kurden aus 15 Dörfern, 3.000 Flüchtlinge saßen vor der türkischen Grenze und wurden nicht reingelassen. Erst seit Freitagmittag lassen die Soldaten sie die Grenze passieren.

Ein Sprecher der Kurden sagte der Zeitung Radikal, dass erst vor wenigen Tagen erneut Waffen zur Unterstützung des IS über die türkische Grenze gekommen seien. Eine unabhängige Bestätigung dafür gibt es nicht, aber die Beteuerungen der türkischen Regierung, den IS nicht zu unterstützen, klingen nicht glaubwürdiger.

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