Die SPD im Konflikt um die Groko: Erneuerung, schon wieder
Über den Koalitionsvertrag stimmt wohl bald die SPD-Basis ab. Es könnte knapp werden, auch weil die Jusos so stark sind.
Auch hinter dem Schreibtisch in Klingbeils Büro prangt ein großes, quadratisches, Schwarz-Weiß-Bild von Willy Brandt. „Das hing schon hier“, sagt er mit sonorer Stimme. In der weißen Schrankwand mit Resopalbeschichtung steht ein einsamer Aktenordner, die Zimmerpflanze hat schon bessere Tage erlebt. Klingbeil ist seit ein paar Wochen Generalsekretär der SPD. Zeit, den neuen Arbeitsplatz etwas anheimelnder zu gestalten, gab es nicht. Es ist Donnerstagnachmittag. Der neue Generalsekretär hat bis morgens um halb vier mit der Union in den Koalitionsverhandlungen über Digitalisierung gerungen. War schwierig, sagt er.
Klingbeil wirkt ziemlich frisch für den strapaziösen Job, den er derzeit hat. Er ist es, der mal wieder die SPD erneuern muss, mit der Union dealen, und, wenn der Koalitionsvertrag steht, die Abstimmung der Basis über das Bündnis mit der Union organisieren. Und er muss mit den Groko-Gegnern in der eigenen Partei streiten. Klingbeil ist dafür, mit der Union zu regieren. Die Jusos sind dagegen – auch weil sie fürchten, dass die Erneuerung der Partei stillschweigend begraben wird, wenn man wieder mit Merkel regiert.
Viel Geschichte, eine schwierige Gegenwart, und vieles, was in der Zukunft ganz anders werden muss. Das ist die SPD 2018. Herr Klingbeil, ist die SPD eine Machopartei?
Keine Macho-Politik
„Das ist eine verbreitete Kultur in der SPD, die wir ändern müssen. Wir brauchen offenere Debatten, die nicht breitbeinig und bevormundend geführt werden“, sagt er. Es werde „kein vom Willy-Brandt-Haus organisiertes Podium mehr geben, auf dem nur Männer sitzen“. Und es werde eine Gleichstellungsstelle geben. In Sachen diversity ist die SPD spät dran.
„Ich bin eher diskursiv“ sagt Klingbeil, 39, über sich selbst. So wirkt er auch – ausgleichend und besonnen. „Die Zeit der Machogeneralsekretäre ist vorbei. Mich nerven Politiker, die in Talkshows immer nur draufhauen, nur den Konflikt suchen“.
Annika Klose, Jusochefin in Berlin
Das Mantra der SPD lautet derzeit: Die Partei muss jünger, weiblicher, digitaler werden. Nicht mehr so Old School. Außerdem sei in der letzten Regierung leider „der Eindruck entstanden, dass SPD und Union die besten Freunde sind“, sagt Klingbeil. Man brauche nun einen neuen Stil. Kein „Weiter so“.
Alles soll anders werden. Die SPD nach außen selbstbewusst, nach innen modern. Diese Geschichte klingt gut. Sie wurde in der SPD schon oft erzählt. Und wieder vergessen.
Junge Neumitglieder
Berlin-Mitte, Dienstagabend. Annika Klose sitzt in einem vietnamesischen Restaurant und sagt: „Es ist nicht mehr erkennbar, wofür wir kämpfen.“ Sie ist 25 Jahre alt, Chefin der Berliner Jusos und misstraut den Erneuerungsbotschaften aus dem Willy-Brandt-Haus. „Wir sind nicht mehr glaubwürdig, wenn wir jetzt wieder vier Jahre eine Politik mittragen, die wir nicht wollen.“ Man könne nicht versprechen, dass es kein „Weiter so“ gebe, wenn wir „genauso weitermachen. Wem sollen wir das verkaufen?“
In dem Restaurant findet ausnahmsweise die Sitzung ihres Ortsvereins Berlin Mitte/Brunnenviertel statt. Sie ist Vizevorsitzende und leitet die Sitzung. Sie reicht dem Mann neben sich die Hand und sagt: „Dich kenne ich ja noch gar nicht.“ Fester Händedruck, helle, kräftige Stimme. Dann streicht sie die schulterlangen rotblonden Haare hinters Ohr, setzt sich eine Spur aufrechter und verkündet als Erstes eine Zahl: 500. So viele Jüngere sind in der letzten Woche allein in Berlin in die SPD eingetreten. Und insgesamt in der Republik schon 6.000. Die – ausschließlich männlichen – Genossen um sie herum nicken anerkennend.
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Die Jusos, mit ihrem eloquenten Chef Kevin Kühnert an der Spitze, betreiben die Kampagne „Tritt ein, sag Nein“, um den, wie sie es sehen, Todesstoß für die SPD in der nächsten Groko zu verhindern. Nicht alle sind davon begeistert. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fürchtet, dass damit „SPD-Hasser kurz eintreten, um der Partei zu schaden“. Eine grundlose Furcht, das meint auch Klingbeil: „Die allermeisten, die derzeit zur SPD kommen, haben ein echtes Interesse, bei uns mitzuarbeiten.“
Entscheiden werden am Ende die gut 440.000 SPD-Mitglieder. „Die sind eine Blackbox“, sagt Klose. Der Faktor X. Denn das Gros der Basis lässt sich nie in einem Ortsverein sehen. Nur 10 Prozent sind in der Partei aktiv. 2013 beteiligten sich fast 400.000 an dem Votum und stimmten deutlich, mit einer Dreiviertelmehrheit, für den Eintritt in die Regierung. Vor allem Ältere sind für das Regieren – weil das SPD-Durchschnittsalter bei 60 Jahren liegt, dürfte die Mehrheit wohl wieder Ja sagen.
Aber diesmal wird es knapper. Denn 2013 kam die SPD aus der Opposition, hatte bei der Wahl 3 Prozent gewonnen und mit dem Mindestlohn ein einleuchtendes Projekt. 2018 ist das anders. Und der Schlingerkurs des Martin Schulz – erst Nein, dann Ja – hat viele irritiert. Deshalb kann die Juso-Kampagne, die erfolgreich Neinsager akquiriert, durchaus Einfluss haben. Klose wirbt eifrig dafür, einzutreten und Nein zu sagen – auch bei eigentlich unpolitischen Freunden.
Kampf zwischen jung und alt
Beim Parteitag in Bonn hat sie direkt nach SPD-Chef Schulz geredet. Und leidenschaftlich appelliert, nicht in die Große Koalition zu gehen. Einmal hat sie sich in der Rede verhaspelt. Der Chefredakteur der Welt am Sonntag, Peter Huth, schrieb in einem Tweet: „Sehr aufgeregtes Mädchen von den Jusos bekommt mehr Applaus als Schulz“. Klose reagierte sofort: „Mit dem Mädchen bin übrigens ich gemeint. 25 Jahre alt, voll berufstätig und seit 2,5 Jahren Vorsitzende des größten politischen Jugendverbands Berlins.“ Auch deswegen gibt es den Hashtag #diesejungenleute, ein Zeichen des Protests, weil Jüngere im professionellen Politikbetrieb nicht ernst genommen werden. Kevin Kühnert, 28, wurde in einer Talkshow geduzt. Unvorstellbar, dass so etwas älteren Genossen passieren würde.
Der Kampf in der SPD um die Große Koalition ist einer zwischen jung und alt. Hier die Jusos, ein paar Parteilinke, dort die Parteispitze, der mächtige Seeheimer Kreis und die meisten Bundestagsabgeordneten, die keine Neuwahlen wollen.
Wenn Klose über die SPD redet, klingt sie bedächtig, sachlich. Ohne persönlich anzugreifen. Doch es ärgert sie, dass die Parteispitze fast unisono für die Große Koalition wirbt, obwohl doch auch weite Teile der Basis die Zusammenarbeit mit der Union kritisch sehen. „Warum“, fragt sie, „bildet der Vorstand nicht auch diese Meinung ab? Wieso gibt es da nur die eisernen BefürworterInnen?“
Als Juso links
Lars Klingbeil schaut aus dem Panoramafenster seines Büros auf den Himmel über Kreuzberg. Er wirkt ziemlich entspannt, was angesichts seines stressigen Jobs nicht selbstverständlich ist. Er hat, das sagen viele über ihn, überhaupt meist gute Laune. Das ist in einer Partei, die oft miesepetrig wirkt, nicht das Schlechteste.
Vor zehn Jahren war er Vizevorsitzender der Jusos. Klingbeil hatte schon immer Antennen für verschiedene Richtungen. Er war bei Attac – und arbeitete im Wahlkreisbüro von Gerhard Schröder. Er war mal im Vorstand der Zentralstelle der Kriegsdienstverweigerer – im Bundestag ist er im Verteidigungsausschuss. Als Juso links, als Erwachsener Seeheimer: Das ist noch immer das role model für SPD-Karrieren.
Beim Parteitag im Dezember versprach Klingbeil in seiner Bewerbungsrede die Öffnung der Partei. Jünger, weiblicher, digitaler. Doch nur 70 Prozent haben ihn gewählt. Weil es ein Widerspruch ist, dass die SPD anders werden soll – aber das einzig neue Gesicht an der SPD-Spitze das des freundlich lächelnden Lars Klingbeil ist.
Wäre er als Juso genauso resolut aufgetreten wie Kühnert und Klose? Klingbeil lobt etwas onkelhaft, dass es „toll ist, dass wir so eine lebendige Jugendorganisation haben“. Und sagt: „Ich hätte mich darauf konzentriert, sozialdemokratische Forderungen im Koalitionsvertrag durchzusetzen.“
Nicht unbedingt harmonisch
Falls es den Koalitionsvertrag gibt, beginnt in der SPD ab nächster Woche noch mal der Kampf um die Basis. Vor vier Jahren schaltete die SPD-Spitze in der Bild-Zeitung eine ganzseitige Anzeige für die Große Koalition, um die GenossInnen günstig zu stimmen. Kosten: ein paar Hunderttausend Euro, Geld aus Mitgliedsbeiträgen. Die Jusos waren sauer. „Das ging gar nicht. Wir brauchen Waffengleichheit für eine faire Debatte“. fordert Klose. Generalsekretär Klingbeil verspricht, dass sich dies 2018 nicht wiederholt. So eine Anzeige „passe nicht zu dem neuen Diskussionsstil der SPD“.
Also alles harmonisch? Nicht ganz. Die Jusos fürchten, dass die SPD-Führung den gesamten Apparat einsetzt, um die passive Basis zu bearbeiten. Wie 2013 wird den Wahlunterlagen Werbung der Parteispitze für den Koalitionsvertrag beiliegen. Und keine Argumente der Gegner. Klingbeil hält das für selbstverständlich. „Die SPD-Führung muss Orientierung geben. Dafür ist sie gewählt“, sagt er.
Die Jusos sind von diesem Verfahren nicht angetan. „Das ist“, sagt Klose, „ein grobes Foulspiel des Parteivorstands.“
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