piwik no script img

Die Kunst der WocheSpiel mit den (Bild-)Räumen

Michael Ackerman präsentiert seinen eigentümlichen fotografischen Stil in Berlin. Pia Lanzinger und der KreisverChor besingen den Moritzplatz.

Performance der Straßenkehrer:innen: Pias Lanzingers Projekt „Tres piezas para barrenderos“ (2010) in Mexico-City

S eit 10 Jahren schon ist das Verwalterhaus Ausstellungsort. „Raum für aktuelle Kunst und Kultur“ wie es auf der Homepage heißt. Wer den Ort noch nicht kennt, sollte spätestens jetzt hingehen. Denn mit den Bildern von Michael Ackerman wird dort die derzeit ziemlich spannendste Fotoausstellung Berlins gezeigt.

Das Verwalterhaus war tatsächlich einmal das Haus des Verwalters des 1802 eröffneten und inzwischen aufgelassenen Friedhofs St. Marien und St. Nikolai, der verwildert und so zu einem herrlichen Stück Natur gleich hinter den Hotel- und Bürohochhäusern am Alexanderplatz mutiert ist. Hier arbeitet unter Leitung von Niels Beugeling, dem Kurator des Jahresprogramms, ein Team aus Künstler:innen, Grafiker:innen, Fotograf:innen, Schrift­stel­le­r:in­nen und Kunst­lieb­ha­be­r:in­nen zusammen, um Ausstellungen, Konzerten Lesungen und Workshops zu organisieren.

Michael Ackerman (*1967), lebt und arbeitet in New York und zuletzt auch in Berlin. Vor allem wegen zwei französischen Druckexperten in Berlin, die in der Lage sind, auf dem richtigen Papier die verwunschenen Abzüge seiner Fotos zu machen, die ihm vorschweben. Es schwebte ihm auch immer vor, Arbeiten aus seiner 40jährigen Tätigkeit als Fotograf einmal im Verwalterhaus auszustellen, bevor er nach New York zurückkehrt.

Die Bedeutung der Printer wird sofort klar, wenn man vor den Abzügen steht. Die Bilder sehen dann ganz anders aus als man sie aus Zeitschriften, Zeitungen oder dem Internet kennt. Da sehen seine Aufnahmen oft wie sozialdokumentarische Fotografie der 1970er Jahre aus, mit ihrem harten Schwarzweißkontrast und der Unschärfe, die sich damals als Code für Authentizität etablierte. Das lag an der Kriegsfotografie aus Vietnam, wo jede Aufnahme zählen konnte, weshalb man die technischen Belange hintanstellte.

Ackermans Fotos sind jedoch das ganze Gegenteil von vielen schnellen Aufnahmen. Sie haben, möchte man sagen, alle Zeit der Welt. Und sie haben diese Zeit durchaus für die Verletzlichen und die Verletzten, für die Geschwächten und die Schwachen, für die Außenseiter, denen sich Ackerman zugehörig fühlt. Und weil sie seine ganze Aufmerksamkeit haben, sehen wir auf den Fotos statt Elend und Anklage eine Staunen machende, fragile Schönheit der Welt, der Menschen, Tiere und Dinge.

tazplan

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Wie der Affe auf den Stromkabeln. Das Bild gehört zu Ackermans 1995 entstandener Serie über Benares, die älteste durchgängig besiedelte Stadt der Welt. Das Motiv ist in eine runde Schwärze gebettet. Man fragt sich, ob das einfach passiert ist oder in der Dunkelkammer produziert wurde. Es ist dann einfach passiert, weil Ackerman eine billige chinesische Plastikkamera benutzte. Da die jedoch für diese Art der Vignettierung berühmt ist, ist es auch gewollt. Auch auf diese unkomplizierte Art und Weise entsteht Ackermans eigentümlich faszinierender Stil.

Michael Ackerman, New York, 1924 Foto: Courtesy the artist and Verwalterhaus

Der Gang durch das Verwalterhaus entpuppt sich dann als eine Erzählung mit mehreren Kapiteln. Nach Benares, Porträts und Stillleben ist die Begegnung mit Benjamin – eigentlich Robert Dickerson, dem Frontman der Band Snow – ein weiteres Kapitel. Es folgt der „New Yorker“ Treppenaufgang – wegen dem nebelverhangenen Blick auf das Empire State Building, der aus den vielen kleinen und ganz kleinen Fotografien hervorsticht. Ein Kapitel mit Vögeln im Obergeschoß ist allein schon den Weg wert. Vor allem findet sich dort aber die beeindruckende Serie vom jüdischen Friedhof in Warschau und der Raum, der seiner Familie gewidmet ist.

Michael Ackerman wurde in Tel Aviv geboren, wuchs aber in New York auf. Für ihn und seine Geschwister war der Umzug vom sonnigen Tel Aviv in den hässlichen Wohnblock des New Yorker Vororts ein Schock, für die Mutter eine Katastrophe, wie Ackerman auf seiner Website schreibt. Es war sein 1933 in Czernowice geborener Vater, den es fortzog. Er hatte den Zweiten Weltkrieg in verschiedenen Lagern überlebt, bevor er 1948 nach Israel kam und dort zur Armee eingezogen wurde, wo er einen Zusammenbuch hatte. Deshalb wollte er nicht, dass seine Söhne Soldaten werden und die gleichen Traumata durchmachten.

Mitmischen am Ort

Pia Lanzingers Kunst ist aktivistisch und bezieht daher Interessierte wie Halb-Interessierte mit ein. Man sollte sich also von ihr verführen lassen und sich gleich am Samstag (5. Juli) um 17 Uhr auf dem Moritzplatz einfinden, für die musikalische Parade des KreisverChors. Der Chor der Statistik von Bernadette La Hengst sowie Sän­ge­r*in­nen und Beteiligte aus der Nachbarschaft kommen zusammen und besingen die vor aller Augen offen liegende, vertane Chance einer lebenswerten Platzgestaltung. Die musikalische Ebene bietet sich laut Künstlerin an, um soziale und emotionale Barrieren zu überwinden. Nicht ohne Grund kann man von manchem Leid ein Lied singen.

Wie das aussehen könnte, erfährt man in der Ausstellung „Little Big Cha(lle)nges“ im CLB im Aufbau Haus am Moritzplatz. Denn dort stellt Pia Lanzinger ihre jahrzehntelange künstlerische Praxis, in der sie große gesellschaftliche Konflikte im Kleinen aufgreift – und zwar in vielen Regionen der Welt –, beispielhaft in Videos, Fotos und Gesprächen vor.

Die Ausstellungen

Michael Ackerman: Time Moving & Storage, Verwalterhaus, bis 13. Juli, Do.–So. 14–18 Uhr, Prenzlauer Allee 1

Pia Lanzinger: Little Big Cha(lle)nges. CLB, bis 27. September, Prinzessinnenstr. 84.2 (Eingang Oranienstr.); KreisverChor am 5. Juli, 17–19.30 Uhr auf dem Moritzplatz, weitere Veranstaltungen und Aktionen: clb-berlin.de/exhibitions/turning-the-point-2

Da geht es 1999 um die Stadt und ihr Geschlecht, weshalb die Künstlerin in München spezielle Bustouren organisierte, um an sechs ausgewählten Orten „weniger offensichtliche (Un-)Zusammenhänge im Leben der Geschlechter zu erfahren“. 2001 konnte sich die Künstlerin dann wieder in München sehr produktiv in die Neubesiedlung des Flughafenareals Riem einmischen – entsprechend ihrem Credo, dass Kunst die Mitgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse ernst nimmt. Sie entwickelte also die Zeitschrift „Schönes Wohnen in der Messestadt Riem“ und organisierte „Wohnwanderungen“, was den Austausch der Neuankömmlinge untereinander und die Artikulation ihrer Anliegen förderte.

Ob in Wien, Algier, Mexiko-Stadt, Petze in Niedersachsen oder Geraldton in Australien: Überall bringt Lanzingers künstlerischer Einfallsreichtum neue Sichtweisen ins Spiel der allzu stabilen, wenn nicht verhärteten Zustände, die glücklich zu nennen gelogen wäre. Es ist ein Vergnügen in die einzelnen Projekte einzutauchen, den Beteiligten zuzuhören, zu beobachten, was da Wundersames und Unerwartetes passiert und über dessen heilsame, befreiende Wirkung zu staunen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Brigitte Werneburg
war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!