Die Kunst der Woche: Was die U6 uns anspült
Kunst an der Endstation: Auf dem U-Bahnhof Alt-Mariendorf hat mit „Halt 21/7“ ein neuer Projektraum eröffnet. Das hätte auch Sokrates gefallen.
Einundzwanzig mal sieben. Das sind 7 x 21 Stunden pro Woche, an denen am U-Bahnhof Alt-Mariendorf die U6 fährt. Und an denen man dort nun Kunst gucken kann. Ende Januar hing hier bereits der „Moderator“ in der Schaufenstervitrine, ein dramatische Falten werfender Vorhang, der nur bedeuten konnte, dass hier bald etwas losgeht.
Zur zweiten Ausstellung „Vorbei Schauen“, die den Projektraum „Halt 21/7“ jetzt offiziell eröffnet hat, hat das kuratorische Team aus Anna Koppmann, Helene Peters, Max Bilger und Tiziana Krüger nun 21 Positionen eingeladen, auf dem in kräftigem Lila unterlegten Platz hinter der Scheibe zusammenzukommen. Tatsächlich kommen die Arbeiten miteinander ins Gespräch. Die Idee, sich bei der Auswahl der Arbeiten von Paul Valérys „Eupalinos oder der Architekt“ inspirieren zu lassen, ging also auf. Valéry lässt Sokrates und Phaidros im Totenreich über Natur, Idee und Form sprechen.
Die Pappmachéskulptur „Apotropäische Gesichter oder beste Freunde“ von Laurent Pellissier thront hier als Doppelgesicht, das mit sich selbst im Zwiegespräch ist, auf ihrem Sockel. Oder besser: auf ihrer Säule, denn diese ist selbst eine Skulptur. So freundlich, aber bestimmt lässt sich der böse Blick abwehren.
„Vorbei Schauen“. Gruppenausstellung, Halt 21/7, bis 25. 3., U-Bahnhof Alt-Mariendorf, auf der Endstation der U6 in Fahrtrichtung zum Ausgang C-G/Mariendorfer Damm gelegen, 7 Tage die Woche von 4 bis 1 Uhr einsehbar
Und wo Sokrates am Meer ein Gebilde vor die Füße schwappt, bei dem er sich nicht sicher ist, ob es natur- oder menschengemacht ist, scheint hier stattdessen die U-Bahn mit ihren Tunneln und Konstruktionen allerlei angespült zu haben. Eines der Poster zu den „Tracks in a Box“-Touren von 2019, bei denen Künstler:innen zu Stadtwalks einluden, schleicht sich hier unmittelbar ins Gedächtnis: Die Meeresfluten schossen auf dem Bild nur so durch den U-Bahnhof Hermannplatz und trotzdem erschien es auf eine Art sanft, wie sie den abgebildeten U-Bahnwaggon mit sich trugen.
Auf dem Bahnsteig Alt-Mariendorf sind heute zwei Wandarbeiten aus Metall von Tobias Groot zu sehen, auf denen sich Prozesse der Korrosion ihre Wege bahnen. Links ganz zart und subtil, rechts in vollem Schwung in alle Richtungen.
Ein Pilz von Aline Schwörer wächst hier ebenfalls die Wand hoch, dahinter lässt Helene Peters ihre vier „Bodies of Ansence“ an Haken vor der Wand balancieren. Zu ihrem umsichtig gesammeltes Fundgut zählen drei kleine Figuren, aber euch ein Stück Material, das sich nicht so einfach identifizieren lässt.
Passend zu Sokrates’ Überlegungen, ob es sich bei dem dem Meer entsprungenen Objekt, das er in den Händen hält, nun um ein Kunstwerk, einen Tierpanzer oder ein Stück Marmorgestein handelt, halten auch die Werkangaben zur Ausstellung die Frage des Materials offen.
Bei Peters nimmt das Vierte im Bunde nun scheinbar die Form einer Heuschrecke mit weit ausgebreiteten Ärmchen an. Ähnlich organisch schnörkelt sich Annalena Machs Gebilde aus Leder scheinbar um sich selbst, wie sie hier im Kontrapost lässig auf ihrem Platz steht. Die Nähte sichtbar, die Ruhe weg.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Einfach nur zum Verlieben ist schließlich Anaïs Edelys Blob, der sich rechts am Boden über einen kleinen Holzklotz schmiegt und ein Bein baumeln lässt.
Und damit seien nur einige der gezeigten Arbeiten genannt. Die Ausstellungen im „Halt 21/7“ eröffnen in der Regel an einem Montag im Monat und laufen immer drei Wochen lang. Da ist sie also wieder, die magische 21.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml