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Die Kunst der WocheSichtbar versteckt

Karolina Jabłońska sucht bei Esther Schipper das ultimative Versteck. Bei Sprüth Magers stellt Sylvie Fleury Noten eines egoistischen Mackers aus.

Blick in Karolina Jabłońskas Ausstellung „How to be invisible“ Foto: © Andrea Rossetti; Courtesy the artist and Esther Schipper

V iele Gründe kann es geben, gerne mal für eine Weile oder auch für länger abtauchen zu wollen: die Laune, das Leben, die Lage. Das tatsächlich zu verwirklichen, ist jedoch leider gar nicht so einfach. Eine Anleitung hat auch die US-amerikanische Sängerin Kate Bush in ihrem 2005 veröffentlichten Song „How to be invisible“ nicht parat, aber sie beschwört darin ein Labyrinth aus Korridoren und Millionen von Türen hervor, die in die Welt des Unsichtbaren führen würden.

In Karolina Jabłońskas gleichnamiger erster Einzelausstellung bei Esther Schipper, die auf Kate Bushs Song Bezug nimmt, handelt es sich bei diesen Türen offenbar unter anderem um solche, die zu einem Kleiderschrank und einem Kühlschrank gehören. Da hinein versucht sich Jabłońskas Alter Ego – eine junge Frau mit buschigen Augenbrauen, brauner strähniger Mähne und ebensolchen riesigen braunen Augen – nämlich auf den Gemälden zu verkriechen. Auf anderen wiederum müssen ein Baum oder ein Hemd oder notfalls auch die eigenen Hände als Versteck ausreichen. Richtig gut funktioniert das alles nicht. Nicht zu übersehen, bleibt sie.

Selbst die Flucht in die Menge scheint keinen Ausweg zu liefern: Umgeben von Doppelgängerinnen findet sich die Protagonistin dort wieder. Jedes Versteck wird auf seine Weise zur Falle. Das radikalste Bild findet die Malerin, die 1991 im polnischen Niedomice geboren ist, dafür in dem Triptychon „Red Preserves“. Sechs große Einmachgläser sind darauf zu sehen, eingelegtes rotes Wurzelgemüse und Fruchtkompott, das ganz rechte davon enthält jedoch eine andere Zutat: Der mittlerweile bekannte Frauenkopf steckt drin, mit wildem Haar und ebensolchem Gesichtsausdruck.

Eingezwängt erscheint er im wörtlichen Sinne, der übertragene drängt sich gleich mit auf. Eine Allegorie für Sexismus, für Einschränkungen von Frauen in ihrer Lebensführung in patriarchal geprägten Gesellschaften wie auch der polnischen lässt sich darin lesen, die sich in strikten Rollenmustern, aber auch konkreter physischer Bedrohung äußert. Ist es möglicherweise nicht nur Rote Bete, die den Inhalt der Gläser rot einfärbt?

Die Ausstellungen

Karolina Jabłońska: How to be invisible. Esther Schipper, bis 7. März, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Potsdamer Str. 81 E

Sylvie Fleury: Égoïste. Sprüth Magers Window, bis 23. März, Oranienburger Str. 18

Kleine groteske Elemente, surreale Vergrößerungen, zarte Verzerrungen der Perspektive laden Jabłońskas Motive auch auf den anderen Bildern dramatisch auf, lassen sie fast schon abstoßend anziehend wirken. Da sind mal die Hände etwas zu grobschlächtig oder Füße und vor allem die Zehennägel etwas zu groß geraten, scheinen die Augen aus dem Gesicht herauszuquellen. Emotional verdichtet, wie sie sind, könnte einem etwa Maria Lassnig als Referenz einfallen. Nötig ist es nicht, ihre Wirkung entfaltet Jabłońskas Malerei auch für sich betrachtet.

Als Drohung oder als Versprechen?

Ganz und gar nicht unsichtbar, sondern im Gegenteil wahrscheinlich sehr gern gesehen werden und im Mittelpunkt stehen möchte der Mann, der von dem Herrenduft „Égoïste“ angezogen werden soll. Das französische Luxuslabel Chanel bewirbt diesen auf seiner Website aktuell als einen, dessen Verführungskraft auf einem starken, unabhängigen und unergründlichen Charakter beruhe und dessen Komposition mit holzig-würzig-ambrierten Noten eine einzigartige und faszinierende Persönlichkeit zum Ausdruck bringe.

In der Nase hat man den Geruch des edlen Wässerchens vielleicht nicht gleich, wenn man den Namen hört. Eingebrannt ins Gedächtnis aber hat sich zweifellos der Werbespot für den Duft aus den 1990er Jahren, in dem ein ganzer Hotelpalast voll empörter Damen nach und nach „Égoïste“ rufend die Balkontüren zuknallt. Der ungreifbare, rücksichtslose, eben egoistische Mann wird in der Kampagne als begehrenswert inszeniert, toxische Männlichkeit also geradezu zelebriert.

Schon 1991 benutzte Sylvie Fleury, die sich bekanntlich mit Vorliebe mit Luxusartikeln und deren Distinktionsversprechungen auseinandersetzt, den Schriftzug des Parfums für ihre Installationen aus Einkaufstüten, später auch für Wand- und andere Arbeiten. Sie isolierte diesen vom Produkt selbst, reduzierte ihn allein auf dessen Verpackung und Vermarktungs- wie Verführungsstrategie.

Nah an dem Werbespot ist die Version, die aktuell bei Sprüth Magers schon von draußen beim Vorbeigehen betrachtet werden kann: 13 Neonarbeiten sind im „Window“ verteilt, fast wie die Balkone im Hotel in der Reklame, und leuchten abends von dort den Pas­san­t*in­nen entgegen. Als Drohung oder als Versprechen? Es liegt im Auge der Betrachter*in.

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Beate Scheder
Kulturredakteurin
Redakteurin für Berlin Kultur, freie Kulturjournalistin und Autorin. Für die taz schreibt sie vor allem über zeitgenössische Kunst, Musik und Mode. Für den taz Plan beobachtet sie als Kunstkolumnistin das Geschehen in den Berliner Galerien und Projekträumen.
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