Die Kunst der Woche für Berlin: Abriss, Angriff

Schlagfertig: die Grupenausstellung „Tagesschau“ bei Mountains; Antikolonial: das Kollektiv CATPC bei KOW; Einsam: Porträts von Aubrey Levinthal.

Ein paar rote Boxhandschuhe kommen als Teil einer Installation am Boden auf, dahinter ein dunkles Gemälde mit dem Schriftzug „Ab 13 Uhr auf / Cuba Libre: 3,50€“

Schlagfertig: Die Gruppenausstellung „Tagesschau“, Installationsansicht, Mountains, Berlin, 2022 Foto: @bq_foto

Die roten Boxhandschuhe scheinen kurz davor, mit Wucht auf einen einzuschlagen, derart spannt Katja Aufleger sie mit sich biegenden Plastikrohren zwischen Decke und Boden der Galerie Mountains. „Argument“ heißt ihre Arbeit schlicht, während Eric Meier dahinter aus einer glänzenden Epoxidharzschicht die ungelenke Handschrift von der Tafel einer Eckkneipe mit „Ab 13 Uhr auf / Cuba Libre: 3,50€“ ankündigen lässt, wie solch Argument auch ausgetragen werden könnte. Cuba Libre, das ist so etwas wie FaKo in Heinz Strunks Roman „Der Goldene Handschuh“: das Gesöff für ganz unten.

Implodierende Aggressionen oder beinahe explodierende Aggressionen lassen sich aus jeder Arbeit der zehn Künst­le­r:in­nen herauslesen, die der Künstler-Kurator Eric Meier hier unter dem lakonischen Titel „Tagesschau“ versammelt hat. Da sind Ahmet Öğüts Hundeattacken aus Bronze. Im Moment des Angriffs festgehalten, könnten sie im kleinen Gartenskulptur-Format auch vor einer Manager-Villa stehen. Da sind Sebastian Jungs tolle Zeichnungen, die er in Wohnungen einer Chemnitzer Abriss-Platte installierte, um die man weiß, dass sie mittlerweile weg ist.

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Abriss, Saufen, Schlagen, Angriff: Es sind die vielen, alltäglichen Gewalttätigkeiten einer heutigen Normalität in der Bundesrepublik, auf die „Tagesschau“ anspielt. Durchaus auch mit Humor. Und diesen Part spielt der aus Chemnitz kommende Osmar Osten mit seinen sowohl feinsinnigen wie groben Malereien wunderbar aus. Schon allein für seine Arbeiten „Kein Durst ist kein Geld“ oder „Wollt ihr die totale digitale Scheiße“ kann man sich diese Ausstellung ansehen.

Kollektiv zur Restitution

Mountains: „Tagesschau“ mit Eric Meier, Katja Aufleger, Andrey Bogush & Sinaida Michalskaja, Andrea Grützner, Falk Haberkorn, Sven Johne u.a. Bis 6. März, Mi.–Sa. 13–19 Uhr, Weydinger Str. 6

KOW: „Balot“, CATPC und Renzo Martens. Bis 9. April, Di.–Sa. 12–18 Uhr, Lindenstr. 35

Haverkampf Leistenschneider: „House Weary“, Aubrey Levinthal. Bis 26. März, Mi.–Fr. 12–18 Uhr, Sa. 12–16 Uhr, Mommsenstr. 67

Man weiß gar nicht, wo einhaken in einer lang sich drehenden Wirtschaftsspirale von Kolonialismus und Kapitalanhäufung, die sich nur in die Richtung zuspitzt, allen Reichtum vom globalen Süden in den globalen Norden zu spülen bis er über das Sponsoring von Kunst wieder reingewaschen wird. Das von den kongolesischen Palmölplantagen kommende Kunstkollektiv CATPC (für Cercle d’Art des Travailleurs de Plantation Congolaise) setzt in der Galerie KOW mit einem Ghost an, und zwar als NFT, als virtuelles Original im Netz.

Es handelt sich bei diesem techno-spirituellen Kunstgriff um den Geist des belgischen Offiziers Maximilian Balot, den die auf den Plantagen arbeitenden Pende 1931 in einem Aufstand gegen seine Grausamkeiten töteten. Eine kleine Skulptur mit der Darstellung des Offiziers diente lange als Kultobjekt eines Erinnerungsritus bis die Pende, die auf den Palmölplantagen faktisch als Versklavte arbeiteten, die Figurine in den 1970er Jahren aus materieller Not an Touristen verkauften.

Eine Person geht auf einen riesiegen White Cube-Bau zu, links hat der Bau Feuer gefangen

White Cube, Renzo Martens, 2020, filmstill Foto: Courtesy the artist and KOW Berlin

Nun dreht sich der virtuelle „Balot“ als Zeichen einer zumindest digitalen Restitution auf einem Bildschirm der Galerie, während das US-amerikanische Virginia Museum of Fine Arts nicht vom tatsächlichen „Balot“ lassen will. Auf sechs weiteren Bildschirmen zeichnet das CATPC den Weg der Skulptur vom Aufstand bis zur hochklimatisierten Museumsvitrine nach. Und immer wiederholt sich auf den Flatscreens ein Bild: das eines schneeweißen Museumsbaus des Superbüros OMA inmitten der dünn-grünen Plantagenfelder im Kongogebiet, die einst der Firmengigant Unilever bestellen ließ.

Unter Vermittlung des niederländischen Künstlers Renzo Martens konnten die Plan­ta­gen­ar­bei­te­r:in­nen den ewigen Fluss von Palmöl und Geld kurz zu ihren Gunsten umkehren und dieses Gebäude in ihrem Dorf finanzieren (Renzo Martens 78-minütige, durchaus ambivalente Doku „White Cube“ in der Galerie zeigt, wie es dazu kam). Doch der modernistische White Cube – Sinnbild und Irrwitz der westlichen Kunstwelt – steht leer.

Sisyphos der Einsamkeit: Aubrey Levinthal

Zwischen Schönheit und Ernüchterung schwanken die Malereien von Aubrey Levinthal. Farblich und flächig geradezu geschmackvoll komponiert ist das eigentliche Sujet ihrer Bilder ein gesellschaftliches, das vom Zustand der Einsamkeit inmitten einer nur nach unserer Funktionsfähigkeit fragenden Lebenswelt.

In den Räumlichkeiten der Charlottenburger Galerie Haverkampf Leistenschneider reihen sich mit Farbe auf Holz die melancholischen Portraits der US-amerikanischen Künstlerin. Sie zeigen Menschen aus ihrer Umgebung und auch sie selbst in Momenten des Alltags, im Auto an der Ampel wartend, im Café aus dem Fenster schauend, zu Hause das Baby in den Schlaf wiegend.

Ihr Blick geht ins Leere, sie steigen aus und womöglich fällt da gerade eine Erkenntnis über die Portraitierten ein, die auch Albert Camus in seinem Mythos des Sisyphos so prominent ausführte: die der ziemlichen Sinnlosigkeit.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.