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Die Koalitionsverhandlungen beginnenEine lange Liste knackiger Punkte

Am Donnerstag starten die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD. Ein Großaufgebot von 256 Fachpolitikerinnen verhandelt über die Details.

Die Chefverhandler:innen: Die Parteichefs von CDU, CSU und SPD Merz, Klingbeil, Söder und Esken Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin afp/dpa/taz | Nun wird es ernst mit der Regierungsbildung: Am Donnerstagnachmittag beginnen CDU, SPD und SPD formell ihre Koalitionsverhandlungen, die zur Bildung einer neuen Regierung unter einem Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) führen sollen. Die Gespräche in der Berliner CDU-Zentrale finden unter ungewöhnlich schwierigen innen- und außenpolitischen Bedingungen statt.

Was passiert am Donnerstag?

Jetzt geht es ums Detail: In Berlin treffen sich 16 Arbeitsgruppen, um – geordnet nach Themenblöcken – den Koalitionsvertrag auszuhandeln. Ein Großaufgebot von 256 Fachpolitikerinnen und -politikern ist dabei im Einsatz. Jede Arbeitsgruppe hat 16 Mitglieder – sieben von der SPD, sechs von der CDU und drei von der CSU. Grundlage der Verhandlungen ist das Sondierungspapier, in dem die Spitzen der drei Parteien sich auf elf Seiten im Grundsatz auf gemeinsame Ziele verständigt haben.

Den Arbeitsgruppen obliegt es nun, Wege zu deren Umsetzung zu finden, wobei es in vielen Fällen vor allem um die Finanzierbarkeit gehen dürfte. Vereinbart ist absolute Vertraulichkeit, die Medien sollen nicht über den Verlauf der Gespräche informiert werden. Um die Koordinierung der Arbeitsgruppen kümmert sich eine Steuerungsgruppe, die aus den Parteispitzen besteht.

Wie lange dauern die Verhandlungen?

Union und SPD haben sich eine ungewöhnliche Eile auferlegt: In nur zehn Tagen sollen die Arbeitsgruppen Ergebnissen vorlegen. Mögliche Streitpunkte sollen schnell identifiziert und beigelegt werden. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann begründete diese Eile vor allem mit der dringlichen außen- und sicherheitspolitischen Lage.

CDU-Chef Friedrich Merz will sich bis Ostern zum Kanzler wählen lassen, das wäre etwas mehr als 50 Tage nach der Wahl. Zum Vergleich: Bei der Koalitionsbildung 2021 vergingen 73 Tage zwischen Wahl und Vereidigung, 2017 waren es sogar 171 Tage.

Was soll dabei herauskommen?

Am Ende der Verhandlungen soll ein ausformulierter Koalitionsvertrag vorliegen, der Grundlage für die Entscheidungen der künftigen Regierung sein soll. Die geltenden Gesetze machen keine Vorgaben dazu, wie eine Koalitionsregierung ihre Vereinbarungen aushandelt und festhält. Rechtlich bindend ist ein Koalitionsvertrag nicht. Das Vertragswerk soll knapp formuliert werden und sich auf die wichtigsten Punkte konzentrieren.

Wo liegen die Unsicherheitsfaktoren?

Die äußeren Umstände dieser Koalitionsverhandlungen sind beispiellos: Denn bei der Umsetzung der Koalitionsvorhaben wird es auf den finanziellen Spielraum der künftigen Regierung ankommen. Dieser Spielraum hängt aber davon ab, ob der Bundestag in der kommenden Woche das Grundgesetz ändert, um die von Union und SPD geplanten Finanzpakete zu verankern.

Dafür werden die Grünen gebraucht, die nun als eine Art informeller weiterer Koalitionspartner mit im Spiel sind: Sie stellen SPD und Union Bedingungen für ihre Zustimmung. Am Donnerstag debattiert der Bundestag zum ersten Mal über das Vorhaben. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Linke und AfD haben in Karlsruhe mehrere Verfassungsklagen gegen das Vorgehen bei der Grundgesetzänderung eingereicht.

Um welche Themen soll es gehen?

Zentrale Themen der Koalitionsverhandlungen sind die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit und die Belebung der Wirtschaft. Über die Umsetzbarkeit dieser kostenintensiven Vorhaben wird aber in den parallel stattfindenden Verhandlungen mit den Grünen über die Grundgesetzänderung mit entschieden.

Ein Kernanliegen der Union ist die Verschärfung der Migrationspolitik – ein Thema mit Streitpotenzial: SPD und CDU legen die Grundsatzvereinbarung in dem Sondierungspapier unterschiedlich aus. Weitere wichtige Themen: eine Reform des Bürgergelds, die Erhöhung des Mindestlohns, die Sicherung der Rente, die Fortführung der Mietpreisbremse.

Wo liegen die Knackpunkte?

FINANZPAKET: Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Investitionen vor allem in die Infrastruktur. Das ist der große Durchbruch der Sondierungsgespräche, an dem alles hängt. Die Rechnung wurde aber ohne die Grünen gemacht, deren Zustimmung im alten Bundestag man braucht, um die nötigen Grundgesetzänderungen durchzusetzen. Im neuen Bundestag wäre das nur mit der AfD (ausgeschlossen) oder der Linken (extrem schwierig) möglich. Bisher stellen sich die Grünen quer. Gelingt bis zur geplanten Abstimmung im Bundestag am Dienstag keine Einigung, muss mit der Finanzfrage die Grundlage für die Koalitionsverhandlungen neu geklärt werden. Man könnte die ganzen Gespräche im Grunde von vorn beginnen.

MIGRATION: Auch die zweite große Grundsatzeinigung beim Thema Migration beinhaltet einen Fallstrick. Die Union hat zwar ihren Willen bekommen, dass auch Asylbewerber an den Grenzen zurückgewiesen werden sollen. Aber das soll nur „in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn“ geschehen. Bei dieser Formulierung gibt es zwei unterschiedliche Lesarten. Die Union meint, man müsse die Nachbarn lediglich konsultieren. Die SPD hält eine Zustimmung für zwingend – und Österreich hat sich schon quer gestellt. Das kann in den weiteren Verhandlungen noch für Ärger sorgen.

HAUSHALT: „Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen auch Einsparungen vornehmen“, haben Union und SPD im Sondierungspapier vereinbart. Doch sie haben bewusst offen gelassen, welche Bereiche das betreffen soll. Sparen ist immer schmerzhaft, beide Seiten werden also um ihre Kernvorhaben kämpfen. Zu erwarten ist, dass die Union Sparrunden im Sozialetat vorschlagen wird, dem größten Bereich des Bundeshaushalts. Die SPD will am liebsten gar nicht so richtig sparen – und vor allem nicht bei der sozialen Absicherung. In den Koalitionsverhandlungen muss zumindest ein Grundkompromiss gefunden werden, den der neue Finanzminister dann in den Haushaltsverhandlungen umsetzen muss.

VERTEIDIGUNG: Angesichts der zunehmenden Bedrohung aus Russland und des drohenden Rückzugs der USA aus Europa wird die Verteidigungspolitik diesmal eine größere Rolle spielen als in früheren Koalitionsverhandlungen. Zum Beispiel will die Union das Nein des scheidenden Kanzlers Olaf Scholz zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern in die Ukraine rückgängig machen. Außerdem ist CDU-Chef Friedrich Merz anders als Scholz offen für einen europäischen Nuklearschirm auf Basis französischer Atomwaffen. Die Union kann sich auch die Rückkehr zu einer echten Wehrpflicht vorstellen, während die SPD auf Freiwilligkeit setzt.

HEIZUNGSGESETZ: Was wird aus diesem hochumstrittenen Erbe der Ampel-Koalition? Die CDU hatte im Wahlkampf versprochen, es rückgängig zu machen. Eine komplette Rückabwicklung wird aber mit der SPD schwierig. Es dürfte eher um eine grundlegende Überarbeitung der auch von Verbänden kritisierten, kleinteiligen Regelungen gehen. Spannend ist, ob es Einschnitte bei der milliardenschweren staatlichen Förderung des Heizungstauschs gibt.

STEUERN: Bei der Erbschaftsteuer könnte eine Reform anstehen – doch in welche Richtung? Die Union will Freibeträge erhöhen und die Erbschaftsteuer auf Eigenheime senken. Die SPD will Unternehmensvermögen beim Erben stärker besteuern. Sie fordert auch die Einführung einer Vermögensteuer, was die Union strikt ablehnt. Auch die Zukunft des Solidaritätszuschlags ist offen: Die Union will ihn vollständig abschaffen, die SPD bisher nicht.

KLIMAGELD: Als Ausgleich zu einer steigenden CO2-Bepreisung beim Tanken und Heizen mit fossilen Energien ist seit langem ein Klimageld in der politischen Debatte – im Sondierungspapier von Union und SPD ist davon aber nichts zu lesen. Ein Klimageld dürfte viel Geld kosten und Union und SPD haben Entlastungen bei den Energiekosten angekündigt.

BAHN: Die Union will mit dem Ziel mehr Wettbewerb den bundeseigenen Bahn-Konzern umkrempeln und den Infrastruktur- und Transportbereich voneinander trennen. Die SPD lehnt das bisher ab. Vor allem die CSU kritisiert zudem das Konzept einer milliardenteuren Generalsanierung hoch belasteter Strecken – auch weil kleinere Strecken davon nicht erfasst seien.

DEUTSCHLANDTICKET: Die Finanzierung des bundesweit gültigen Deutschlandtickets im Nah- und Regionalverkehr durch Bund und Länder ist nur noch bis Ende des Jahres gesichert, weil nur bis dahin ein Bundeszuschuss festgesetzt ist. Vor allem die CSU sieht Bundesmittel kritisch. Falls es zu einer Fortführung des Tickets käme, droht eine Erhöhung des Monatspreises von aktuell 58 Euro.

Wer hat das letzte Wort?

Bei CDU und CSU dürfte es schnell gehen: Über den Koalitionsvertrag wird bei der CDU der Bundesausschuss entscheiden, dem die Parteiführung sowie Delegierte aus den Landesverbänden angehören. Der Ausschuss hat rund 160 Mitglieder. Bei der CSU entscheiden in der Regel Vorstand und Landesgruppe über einen Koalitionsvertrag.

Die SPD will sich für den Koalitionsvertrag die Zustimmung der Basis geben lassen, per Mitgliederbefragung. Das könnte erfahrungsgemäß etwa zwei Wochen dauern.

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8 Kommentare

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  • Alle reden nur über neue Schulden. Was ist aber mit der stärkeren oder angemesseneren Beteiligung der sehr vermögenden Personen in Deutschland? Von mehr Landesverteidigung profitiert dieser Personenkreis überdurchschnittlich. Es müsste die Vermögenssteuer wieder erhoben werden. Dadurch kann auch die ungleiche und damit ungerechte Besteuerung von Grund und Boden (Grundsteuer zahlt nahezu jeder der wohnt) und Vermögen (Vermögenssteuer zahlt keiner) beseitigt werden.



    Und wie stärkt man die Wirtschaft? Noch nie wurde ernsthaft über eine Reform der Sozialversicherungen debattiert. Wenn die Beitragsbemessungsgrenzen abgeschafft und die entsprechenden Beitragssätze auf alle Einnahmen angewendet werden sinken diese Beitragssätze und Beiträge. Umso stärker mit entsprechenden Obergrenzen für die Leistungen. Die Unternehmen wären wieder wettbewerbsfähiger auf dem Weltmarkt und der Faktor Arbeit entlastet. Belastet würden lediglich diejenigen Personen die ohnehin mehr Geld haben oder verdienen als zum Leben nötig ist.



    Es wären weniger neue Schulden erforderlich, Demokratie gestärkt, Unzufriedenheit bei der Mehrheit der Wähler reduziert und die AfD geschwächt. Bitte umsetzen!

  • > Die Rechnung wurde aber ohne die Grünen gemacht, deren Zustimmung im alten Bundestag man braucht, um die nötigen Grundgesetzänderungen durchzusetzen.

    Wie sagte Joschka Fischer am gestrigen 12.03. bei Maischberger so treffend? "Erst haut Söder den Grünen permanent in die Fresse um ihnen dann zu sagen: und jetzt brauchen wir euch, um unsere Pakete durchzubringen."

    Und dann im Nachgang die Frechheit zu besitzen, an die staatspolitische Verantwortung der Grünen zu appelieren...

  • Einer fehlt bei den Verhandlungen als auch bei der Entscheidung.



    Der Wähler.



    Also du und ich und Müller Kuh ... die schauen wieder einmal zu.

    Bzw. noch nicht mal das.



    Sie bleiben aussen vor.

  • Inzwischen sind diese 'Verhandlungen' zu einem Überlebenskampf der Herren Klingbeil und Merz, aber auch von Frau Esken geworden, es wäre angesichts der Aufforderung 'friß oder stirb' dieses Koalitionsversuchs ein Weg in eine Sackgasse, in die gerade die Fundamentalopposition des Friedrich Merz geführt hatte. SPD und CDU machen inzwischen Politik für diejenigen, die diesen Parlamentarismus ablehnen, insofern geht es mit wirklich um eine 'historische Entscheidung' dahingehend, ob mit diesen Parteien noch eine Politik zugunsten einer Mehrheit möglich ist. SPD und CDU machen aus dem Bundestag ein Mauschelparlament und die AfD lacht dazu.

  • FachpolitikerInnen sind „PolitikerInnen, die sich mit einem Themengebiet besonders gut auskennen“. Das ist eine nette Umschreibung dafür, dass sie weder vom Fach sind, noch sich im Fachgebiet auskennen. Es sind PolitikerInnen, denen innerhalb der Parteien die Zuständigkeit für ein Themengebiet zugeteilt wurde und die meistens in der zweiten, dritten oder andere hinteren Reihe der parteiinternen Hierarchie stehen. Ihre Aufgabe besteht nun gerade nicht darin, die fachlich optimale Lösung zu einer Frage zu finden, sondern darin, einen machtpolitischen Kompromiss zu finden, indem die Position der eigenen Partei noch erkennbar bleibt bzw. der den eigenen Parteimitgliedern als Verhandlungserfolg oder Kompromiss noch verkauft werden kann.

    Es wäre schön, wenn kritische Medien, zu denen sich die taz-Redaktion wohl zählt, ihren Sprachschatz von Euphemismen und anderen semantischen Fehlgriffen befreit und deren Verwendung und irreführenden Verwendungszweck aufdeckt.

  • 》Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Linke und AfD haben in Karlsruhe mehrere Verfassungsklagen gegen das Vorgehen bei der Grundgesetzänderung eingereicht.《



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    Kommt noch einer dazu, bzw. andersrum: Koalitionsverhandlungen können auch scheitern.



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    Sollten also die "Finanzpakete" bewilligt werden, es aber trotzdem zu Neuwahlen kommen, stünden sie womöglich ganz anderen Akteuren zur Verfügung - bisher weitgehend übersehen, übernimmt die Schuldengrenze gegenwärtig die Funktion einer "Brandmauer" - der neue Bundestag könnte, nach einer Regierungsbildung, erforderliche Kreditaufnahmen Schritt für Schritt nach sorgfältigen und detaillierten Debatten mit demokratischer ⅔ Mehrheit auch bewilligen.



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    Sowieso ein Unding, eine Verfassungsänderung, finanzielle Freifahrscheine in der Dimension von Bundeshaushalten zu verlangen, bevor wan überhaupt Koalitionsverhandlungen aufnimmt.



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    P.s. die Grünen wären bei einer Zustimmung auch nicht "informelle Koalitionspartner" - sie hätten danach gar keine Bedeutung mehr.

  • Demokratietheoretisch ist diese Verhandlung und was beide Seiten noch im alten Bundestag wollen eine komplette Katastrophe.



    SPD und Union gehen sehr leichtfertig in gemeinsame Regierungen.



    Die SPD hat gerade eine kalte Dusche für die Ampel-Regierung bekommen, ich weiß nicht, was sie für diese Regierung erhalten werden. Die Politikverdroßenheit dürfte drastisch steigen, wenn das so weitergeht. Und bisher haben alle Regierungen am Ende der Mittelschicht höhere Lasten aufgebürdet, sprich die Menschen, die zwischen €2.500 und €5.000 im Monat verdienen, zahlen mehr oder weniger für alles. Und es klafft ja noch eine große Finanzierungslücke auf, noch ist nicht klar, was wie und von wem bezahlt werden soll. Eine Reform der Schuldenbremse erleichtert nur das Verschulden, zahlen muss am Ende immer noch jemand.

  • Absurd.

    In den 1970ern gab es manchmal überhaupt kein offizielles Schriftstück zu den Vereinbarungen der Koalition, schon gar keinen "Vertrag". Stattdessen gab's damals z.B. einen zweisteitigen Artikel im "Vorwärts", mit dem die SPD-Spitze den Parteimitgliedern berichtete, was so besprochen worden war. Niemandem wäre es eingefallen, hunderte(!) Politiker damit zu befassen, jedes denkbare Detail zu besprechen und gar noch zu verschriftlichen.