Die Grünen und ihr Dauertief: In der Zehn-Prozent-Nische
Die Ökopartei buhlt seit gut zwei Jahren um die Gunst konservativer Wähler. Trotzdem stagniert sie in den Umfragen. Warum ist das so?
Die Grünen sind unglücklich verliebt. Sie werben um die Gunst des konservativen Bürgertums, sie flirten auf Teufel komm raus, aber die Gutbürgerlichen zeigen ihnen die kalte Schulter.
Nur 9 bis 10 Prozent der Deutschen würden die Grünen wählen. Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, würden die Grünen fast so schlecht abschneiden wie bei ihrem Wahldebakel 2013, das vom Veggieday, der Pädophilie-Debatte und linksgrüner Steuerpolitik geprägt war. Die Umfragewerte der Bundesgrünen wirken seither wie festgefroren, die Partei sitzt seit zwei Jahren in der 10-Prozent-Nische. In der Politik ist das eine halbe Ewigkeit.
Die Stagnation ist bemerkenswert, weil sie eine beliebte Theorie widerlegt: Die Grünen könnten stark wachsen, vielleicht eine kleine Volkspartei werden, wenn sie in CDU-Milieus ausgreifen. Die dominierenden Figuren der Grünen im Bund, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, haben sich diesem Ziel verschrieben.
Auch Winfried Kretschmann, der Baden-Württemberger, ist davon überzeugt – und sehr erfolgreich. Wie passt das zusammen? Warum funktioniert grüner Konservatismus in Stuttgart, aber nicht im Bund? Haben Angela Merkels Wähler einfach nicht verstanden, dass die Grünen den Kommunismus nicht einführen werden, ja nicht mal das vorgestrige Ehegattensplitting abschaffen würden?
Schweigen für die Wiederwahl
Was haben die Grünen seit 2013 nicht alles versucht, um neue WählerInnen zu locken. Sie sagten sich per Parteitagsbeschluss vom Veggieday los, einem Nonsens-Thema, das seinerzeit die Bild-Zeitung hochgezogen hatte, die Springer-Leute dürften sehr gelacht haben. Die Grünen zettelten Metadebatten über Freiheit an, um in der Erbmasse der FDP zu wildern. Sie wollten die neue Wirtschaftspartei Deutschlands werden, wahlweise auch die neue Mittelstandspartei.
Inhaltlich zoomten die Grünen an die Interessen des gut situierten Bürgertums heran, indem sie sich auf gutes Essen, faire Landwirtschaft und eine okaye Work-Life-Balance konzentrierten. Auf alles also, was den gut verdienenden Rechtsanwalt in Freiburg interessiert. Fragen, die den Grünen bis 2013 wichtig waren, tauchen bei Kretschmann, Özdemir und Göring-Eckardt nicht mehr auf.
Ob der Staat Reiche stärker belasten muss, um die sozialökologische Wende zu bezahlen, zum Beispiel. Oder ob Grüne einen Gesellschaftsentwurf vertreten sollten, der die Bedürfnisse Unterprivilegierter mitdenkt. Die neuen Grünen ersparen sich solche Debatten, weil sie vermuten, dass das Interesse der Mittelschicht an ehrlichen Antworten überschaubar ist. Sie schweigen, weil sie die Wiederwahl von Kretschmann im März nicht gefährden wollen. Jede linke Konturierung im Bund, so die Befürchtung, könnte dem Regierungschef in Stuttgart schaden.
Rückhaltlose Bewunderung statt Widerspruch
Wenn einer Oppositionspartei die Angriffslust abhandenkommt, tut ihr das meist nicht gut. Der Auftritt der Grünen hat etwas beflissen Konturloses. Sie wirken wie ein Mensch, der es sich mit keinem verscherzen will, was oft nicht besonders sympathisch ist. Interessanter aber ist die Frage, warum ihnen die Umarmung der Mitte keine Prozentpunkte beschert. Viele von Merkels Wählern pflegen ja längst einen grünen Lebensstil mit Biofood, Ökostromvertrag oder Lastenfahrrad.
Ein Grund für das 10-Prozent-Dilemma ist, dass urgrüne Themen im Moment keine Rolle spielen. Der Klimawandel, die Energiewende oder Bioessen, ja, alles wichtig. Aber angesichts von Großkrisen in Europa und der Welt, angesichts von Millionen Flüchtlingen und anstehenden Verteilungsfragen wirkt das doch arg nebensächlich. Wenn das Elend vor der Haustür steht, denkt die bürgerliche Mitte pragmatisch. Darum soll sich jemand kümmern, bitte schnell. Im Bund sind die Volksparteien die Kümmerer, aber sicher nicht die Grünen.
Das Dauertief liefert auch einen Hinweis darauf, dass die rückhaltlose Bewunderung der Kanzlerin, die die Grünen gerade kultivieren, nicht funktioniert. Özdemir und Kretschmann loben Merkel bei jeder Gelegenheit für ihre Haltung in der Flüchtlingskrise.
Sie tun das in der Hoffnung, auf der richtigen, weil: weltoffenen Seite zu stehen. Dabei löst Merkel das Problem längst auf ihre eigene, dialektische Art. Ihre Wir-schaffen-das-Rhetorik klingt liberal, aber faktisch gibt sich die Kanzlerin Mühe, Europas Außengrenzen abzuschotten. Es wäre die Aufgabe der Opposition, diesen Widerspruch offenzulegen. Stattdessen machen sich die Grünen zu Kronzeugen von Merkels Scheinliberalität.
Die Nähe zur Kanzlerin
Und die Wähler? Die, die Merkels Willkommenskultur für echt halten, wählen Merkel. Die, die ihre Dialektik gut finden, wählen Merkel. Und die, die sich einen ganz anderen Ansatz wünschen, finden ihn jedenfalls nicht mehr bei den Grünen. Winfried Kretschmann kopiert Merkels Politikstil in Baden-Württemberg übrigens sehr erfolgreich, indem er regiert, wie es ein moderner Christdemokrat tun würde.
Er setzt auf eine behutsame Modernisierung des Landes, vor allem aber auf den Erhalt des Status quo. Kretschmann kämpft für die Interessen von Konzernen wie Daimler, er schützt die Finanzeliten bei der Erbschaftsteuer. Er lässt die Finger von Tabus für die Mittelschicht, siehe Gymnasium. Und er hat verstanden, dass das Bürgertum bei allem Wohlwollen auch Angst vor zu vielen Flüchtlingen hat.
Diese Strategie geht auf – in einem konservativ grundierten, reichen Bundesland und gegen eine gestrig wirkende CDU mit einem blassen Kandidaten. Manch Bundesgrüner würde dieses Modell gerne auf Berlin übertragen, erste Versuche sind zu besichtigen. Doch hier sieht das Setting völlig anders aus.
Die Grünen sind in der Opposition, ihre Wählermilieus unterscheiden sich stärker voneinander, die Inhalte müssen fürs ganze Bundesgebiet taugen. Vor allem aber ist der Platz der modern wirkenden Konservativen schon lange besetzt. Merkel macht in der Hinsicht keiner was vor.
Anders gesagt kann Kretschmann Merkel gut finden, weil das auf seinem Konto einzahlt. Die Bundesgrünen aber dürfen sich bei ihrem Werben um die Mitte nicht in den Schatten der Kanzlerin ducken. Sie laufen Gefahr, links Wähler zu verlieren, während Merkels Wähler dann doch lieber beim Original bleiben. Die 10 Prozent belegen, wie groß dieses Risiko ist.
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