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Die EU zwischen Brexit und Italien-Krise„Aufbruch für Europa“ ist anderswo

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Brüssel hat diese Woche Härte bewiesen. Trotzdem muss die EU den Verlust gleich zweier Staaten betrauern. Bei der Europawahl droht ein Desaster.

Aufbruch? Horizonte? Dazu ist nix zu sehen in der EU Foto: dpa

A uf den ersten Blick war es eine starke Vorstellung, die die Europäische Kommission in dieser Woche hingelegt hat. Gleich zweimal hat die sonst so halbherzige Brüsseler Behörde energisch durchgegriffen: Im Budgetstreit mit Italien und beim Brexit-Deal mit Großbritannien.

Italien wurde wegen seiner Schulden in die Schranken gewiesen. Die populistische Regierung muss mit einem Defizitverfahren rechnen, das mit hohen Geldstrafen enden kann. Für den starken Mann in Rom, Matteo Salvini, läuft es nicht rund. Er steht unter Druck – nicht nur aus Brüssel, sondern auch an den Finanzmärkten.

Auch London muss zurückstecken: Der Brexit-Deal trägt zu 99 Prozent die europäische Handschrift. Die britische Premierministerin Theresa May konnte sich nur auf dem Papier durchsetzen, in der Praxis gibt die EU die Linie vor.

Doch die Freude über das harte Durchgreifen hat einen bitteren Beigeschmack. Wenn Großbritannien am 29. März 2019 wie geplant austritt, rutscht Europa über Nacht im Ranking der größten Wirtschaftsmächte ab – auf Platz drei hinter den USA und China. Auch in Italien verliert die Union. In keinem anderen Land ist die Zustimmung zur EU so stark gefallen, war das Wachstum so schwach und die soziale Krise so verheerend. Dabei haben sich die letzten Regierungen an die Vorgaben aus Brüssel gehalten.

Schlafende Hunde an der Börse

Der nun eingeschlagene harte Kurs wird an diesem traurigen Befund nichts ändern, im Gegenteil: Die Rezepte der EU-Kommission dürften die Krisen noch verschärfen. Brüssel bietet nur rote Linien, aber keine neuen Perspektiven, wie sie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron 2017 in seiner Sorbonne-Rede gefordert hatte.

Besonders krass zeigt sich das am Beispiel Italiens. Das Land steht nun vor zwei unmöglichen Alternativen: einlenken und den gescheiterten EU-Sparkurs fortsetzen, was die Misere verlängern dürfte – oder aufrecht untergehen.

Wo sind die neuen Horizonte, die Emmanuel Macron so leidenschaftlich beschwor? Sie sind nicht mehr zu erkennen

Wenn die „Stabilitätswächter“ aus Brüssel die schlafenden Hunde an den Börsen wecken, ist das Schlimmste zu befürchten. Selbst wenn nicht gleich die ganz große Eurokrise ausbricht, riskiert die EU in Italien mit einem Defizitverfahren einen gefährlichen politischen Flurschaden. Die EU-Gegner wie Salvini reiben sich die Hände, bei der Europawahl droht ein Desaster.

Auch für Großbritannien hat die EU keine guten Perspektiven. Der Entwurf für einen „Zukunftspakt“ enthält zwar viele schöne Worte. Und der Austrittsvertrag könnte den „Worst Case“ verhindern – einen ungeordneten Brexit mit riesigen ökonomischen und sozialen Verwerfungen.

Nichts zu feiern

Doch Brüssel entlässt London nicht etwa in die ersehnte Freiheit, sondern in ein dubioses Zwischenreich. In der Übergangsphase nach dem Brexit, die bis 2022 dauern könnte, muss London alle EU-Regeln einhalten und seine Beiträge zahlen, ohne in Brüssel mitreden zu dürfen. Selbst danach bleibt das Land an die EU gebunden.

Wochenendkasten 24./25. 11 2018

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Großbritannien wird deshalb nicht gleich zum „Vasallenstaat“, wie die Brexit-Hardliner schreien. Doch glücklich dürfte das Land mit dem neuen Status auch nicht werden. „Reisende soll man nicht aufhalten“, heißt eine Binse. Die EU macht das Gegenteil – und kettet die Briten an sich. So gleicht sie einem Club, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Es gibt also nichts zu feiern in dieser Woche, in der die EU ihre Muskeln spielen ließ. Eher gibt es Grund zu trauern: Über die Scheidung von Großbritannien, die nun besiegelt wird. Über den Verlust Italiens, das die innere Kündigung vollzogen hat und auf Konfrontationskurs geht. Und über das völlige Versagen bei einer Aufgabe, die einmal als „Aufbruch für Europa“ bezeichnet wurde.

Was ist denn aus diesem Aufbruch geworden, den Kanzlerin Angela Merkel versprochen hat? Wo sind die neuen Horizonte, die Emmanuel Macron so leidenschaftlich beschwor? Sie sind nicht mehr zu erkennen. Sechs Monate vor der Europawahl geht es nur noch darum, das Schlimmste zu verhindern.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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16 Kommentare

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  • "Für den starken Mann in Rom, Matteo Salvini, läuft es nicht rund."

    Im Gegenteil. Er wird immer stärker.

  • "In keinem anderen Land ist die ... die soziale Krise so verheerend." Griechenland zählt wohl nicht mehr als EU Staat? 40 % der Bevölkerung leidet inzwischen unter Nahrungsmittelmangel, das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen, die Arbeitslosigkeit so hoch wie in keinem anderen EU Land. Stammtischparolen gehören nicht in die TAZ!

    • @Reinhard Muth:

      Mit Griechenland ist man schon "fertig"...

  • Jean Claude Junkers hat sich am Anfang diesen Jahres in seiner Rede über die Zukunft der Administration der Europäischen Union klar und deutlich dafür ausgesprochen, dass er die Gründung einer "Zweiten Kammer" für das Parlament wie es sie in einigen EU Mitgliedsstaaten gibt, nicht nur begrüßen sondern auch unterstützen werden.

    Diese Meldung war in allen deutschen Nachrichten zu lesen, zu sehen und zu hören. Wo ist also eigentlich das vermeintliche Problem einen "EU Bürger Senat" wenigstens für die Umwelt-, Sozial-, Arbeit-, Kultur- und Bildungspolitik einzuberufen?

    Solange und das gilt auch für unser Land, die gemeinnützigen Initiativen sich nicht von ihren eigenen Ressentiment verabschieden und sich zu einem Lobbyverbund vereinen, wird sich wohl auch nichts ändern.

    Es steht uns doch frei alle juristischen, rechtsstaatlichen Mittel auszuschöpfen um einen demokratisch gewaltfreien Wandel herbeizuführen. Eine ganz einfache Idee aus dem Land der Dichter und Denker und eine Pflicht den nachfolgenden Generationen gegenüber, um deren kulturelles Verständnis von sozialer Demokratie wieder zu beleben.

    Wenn wir uns wirklich und wahrhaftig von dem alten Mief der Politischen Eliten der Parteiideologien unter der Käseglocke des Reichstag trennen wollen müssen wir lüften und uns auch von der gefährlichen sozialpolitischen Geschwätzigkeit der in unserem Parlament vertretenen Parteien ein für alle mal konsequent verabschieden und auch in unserem Land eine parlamentarische "Zweite Kammer" eines "Bundes Bürger Senat" gründen.

  • Ich denke, die 700.000 Demonstranten in London haben großes Verständnis für die Haltung der EU. Was ja keine Union von Sparkommissaren sein muss.



    Oder soll etwa dem rechtsextremen Salvini in Italien freie Bahn gegeben werden, genau jenem Typ, der die Ertrinkenden im Mittelmeer noch mit einem letzten Fußtritt begleitet?







    "Brüssel entlässt ... London in ein dubioses Zwischenreich".

    Das ist ziemlicher Quatsch. Die 27 EU-Mitglieder - nicht "Brüssel" oder "der Kreml" - haben eine klare Haltung bezogen, während der große Aussteiger zwei Jahre lang wie ein taumelnder Boxer in der Ringecke mit glasigen Augen unzusammenhängende Sätze gebrummelt hat, bei denen nur erkennbar war, dass sie viel Geld wollten, aber Menschen eher nicht.







    Der Brexit-Minister Davies hat unterdessen sowieso lieber Golf gespielt. Raab, sein Nachfolger, hat gestern zugegeben, dass ein Verbleib in der EU für das Gespaltene Königreich sowieso die bessere Option sei als das, was er verhandeln sollte (aber nicht konnte).



    Die Konfusion und heillose Zerstrittenheit der Tories haben der ehemaligen Innenministerin Theresa May ihre Aufgabe unmöglich gemacht. May war eine Remainerin, die umgekippt ist, als ihr der Einzug in Downing Street gewiss war ("the people have decided"...sagt sie heute, ja, das stimmt: zu knapp 52% nach einer beispiellos oberflächlichen Kampagne, bei der die genaue Bedeutung des Referendums nebulös blieb)



    Noch dazu musste diese Minderheitsregierung den orange order in Gestalt der DUP mit Milliarden Pfund bestechen.



    Der Dank folgt vermutlich im Dezember, wenn obiger Vertrag mit der EU von einer Koalition von Labour, Liberalen, Grünen, Plaid Cymru und SNP abgelehnt wird.

  • Die EU ist nur noch ein stramm organisierter und reglementierter Binnenmarkt, der seine Bürger marktkonform gegeneinander ausspielt, verwertet und den Vermögenden, üppige Pfründe in den Steueroasen am Alpen- und Nordseerand gewährt. Ist nicht ihr oberster Herr, der glorreiche ehemalige Finanzminister einer solchen? Für mich ist der Laden tot, ich bin nur marktgerechte Verfügungsmasse, bis ein billigerer, von Sparbeschlüssen gedungener EU Bürger kommt. Das ist nicht mehr das Europa der Bürger.

  • Die größten Feinde der EU sind ihre Apologeten. Klingt paradox. Ist aber so.



    Und worüber denken Merkel, Macron u. Co nach? Über eine Militarisierung der EU. Unfassbar.



    Solange die Neoliberalen die Rechtspopulisten als Ursache allen Übels propagieren, wird es keine Einsicht geben für einen demokratischen Kurswechsel.



    Italien hat sich viele Jahre pingelig an die erzwungene Haushaltsdisziplin gehalten. Es hat NICHTS gebracht. Im Gegenteil. Irrsinn dieser Bürokratenmoloch.

  • 9G
    97684 (Profil gelöscht)

    Die Rechten kriegen das Sagen also Kriminelle. Der nächste Krieg in Europa nur noch eine Frage der Zeit.



    Wie erreicht man die Rechten, die Populisten, die ihnen folgenden tumben Massen? Garnicht.



    Was tun? Um es mit T.C.Boyle zu sagen: " Wir werden sterben, wir werden alle sterben. Genau das werden wir tun.

  • 8G
    87233 (Profil gelöscht)

    "Besonders krass zeigt sich das am Beispiel Italiens. Das Land steht nun vor zwei unmöglichen Alternativen: einlenken und den gescheiterten EU-Sparkurs fortsetzen, was die Misere verlängern dürfte – oder aufrecht untergehen."

    Herr Bonse, das hat mit seriöse Berichterstattung nur gar nichts zu tun.

    Italiens Probleme sind hausgemacht. Dazu haben über die letzten 40 Jahren die gleichen Politiker das Land regiert und die Mafia zum unangefochtene Numero Uno entwickeln lassen.

    Das hat mit Europa nichts zu tun, und wenn Sie jtzt auch - wie Salvini - die Schuldigen in Brüssel suchen, hilfen Sie nur bei eins: das selbstmitleid die Italiener zu pflegen.

    Ich bin Halb-Italiener, mit vielen Familienmitglieder in Italien. Die haben all, wider besseres Wissen für Berlusconi DREI MAL gestimmt, die halten die Mafia für einen altruistischen Verein, Autoren wie Saviano für Verräter usw.

    Und, diese Meinung teilen die mit all deren Bekannten. Das sind für mich nichts anders als der feste Beweis das Dummheit nicht korrigiert werden kann.

    Aber, die bekommen von mir null komma nichts. Die können ihre eigene Probleme endlich anpacken und lösen.

    • @87233 (Profil gelöscht):

      die wirtschaftlichen Probleme Italiens sind mitnichten hausgemacht. Italien ist ein G7 Land, eine Wirtschaftsnation, keine Bananenrepublik. Durch den Euro wurde Italien an ein Finanzsystem gebunden, in dem keine Korrekturen zu Gunsten Italiens möglich sind, im Gegensatz zu Deutschland.



      Mafia, Korruption alles richtig und bekämpfenswert, aber Italien war vor dem Euro auch mit all dem eine Industrienation.



      Wenn ihre Familie so denkt, gut, aber es finden sich in jedem Land Menschen mit solchen Ansichten, das ist nicht repräsentativ.

      • 8G
        87233 (Profil gelöscht)
        @nutzer:

        Nutzer, Sie liegen so was von falsch. Ich bin seit 1974 regelmassig in Italien. Die Probleme sind ohne Ausnahme hausgemacht. Die haben seit 1974 keinen einziges Mal sich mit die Strukturelle Probleme auseinandergesetzt.



        Und zum allen Überfluss, haben die Italiener IMMER noch nach Schuldigen ausserhalb Italien gesucht.



        Es gab einen erfolgreiche Maschinenbau-Sektor aber auch die haben selber die Chancen verpasst.

      • @nutzer:

        Ich wiederspreche mal: das historische Gefälle zwischen Norden und Süden, eine überbordende Bürokratie, ein erstarrtes Justizsystem, fehlende Impulse in der Ausbildung, kleptokratisch-mafiöse Verflechtungen und gefühlt alle 1,5 Jahre eine neue Regierung sind schon Hausgemacht! Ich ziehe den Hut vor den Italienern, die in solchen Rahmenbedingungen innovative Produkte entwickeln. Aber der EU hier die Schuld zu geben, halte ich für eine sehr kurzweilige Argumentation!



        PS: Persönlich halte ich eine Ausdehnung der Defizitgrenzen für Investitionen für Sinnvoll! Gleichzeitig muss aber die Kostenstruktur verringert werden und gleichzeitig die Qualität der Verwaltung, Soziale Leistungen,... ggü. den Bürgern verbessert werden (s. skandinavische Länder).

        • @Andi S:

          Es gibt an den Verhältnissen in Italien nichts zu beschönigen, der Punkt ist einfach, das Italien auch schon vor dem Euro mit all diesen Problemen eine führende Industrienation war.



          Eine Wirtschaft kann ohne Investitionen nicht wachsen und ganau das verhindert die EU seit Jahren.

    • 9G
      97684 (Profil gelöscht)
      @87233 (Profil gelöscht):

      Aber genau das was sie korrekt beschreiben, kritisiert der Autor ja

      • 8G
        87233 (Profil gelöscht)
        @97684 (Profil gelöscht):

        Na Ja Bernd, meine Interpretation ist dass der Autor die EU für alles verantwortlich macht.



        Aber, wenn ich falsch liege, korrigiere ich mich sehr gerne.