Die Döner-Dialektik: Preiskampf an der Imbissbude
In einer Straße in Hamburg-Ottensen gibt es Döner zu Dumping-Preisen. Ein Experte sieht darin erste Anzeichen einer neuen Wirtschaftskrise.

Zur Mittag- und Abendessenszeit sieht es hier anders aus. Da stehen Kund*innen Schlange bis vor die Tür. Wenn es allzu lange dauert, bleibt aber niemand. Denn es gibt um die Ecke in derselben Straße noch drei Läden mit ähnlich günstigen Angeboten: Hähnchendöner für 3,99 Euro bei „Döner Company“ an der Ecke, 4,99 Euro bei „Bey Kebab“ gegenüber und genauso viel bei „LeGosht“ ein paar Hundert Meter weiter.
Das ist saugünstig. Der Hamburger-Durchschnittsdöner kostet etwa doppelt so viel: 8,57 Euro. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 8,03 Euro, laut Lieferdienst Lieferando, Stand: März 2025.
Döner-Dumping als lokales Phänomen?
Warum ist der Döner in dieser Straße in Ottensen so billig? Rechnet sich das? Ist dieses Döner-Dumping ein lokales Phänomen?
Die Erkundung beginnt, wo alles angefangen hat: bei „Döner Company“. Die haben im Februar 2025 als erster Laden in der Straße den Döner für 3,99 Euro angeboten. An einem gut besuchten Montagabend spricht die taz an der Theke über das Handy einer Mitarbeiterin mit dem Sohn des Chefs, Betül Dicle.
„Es ist Krieg“, ist das Erste, das er zu den Döner-Preisen in der Straße sagt. Eigentlich, sagt er, war das Sonderangebot als Aktion für eine Woche geplant. Aber dann haben die anderen nachgezogen. Jetzt kämpfe jeder gegen jeden. „Wer zuerst einknickt, hat verloren.“
Seit 2022 Preise verdoppelt
Eigentlich kennen Döner-Preise in Deutschland seit einigen Jahren nur eine Richtung: steil nach oben. Seit 2022 haben sich die Preise für einen Döner fast verdoppelt. Seit im August in Süddeutschland der erste Tarifvertrag der Döner-Produktionsbranche erkämpft wurde, grassiert die Sorge, dass das beliebteste Fastfood des Landes jetzt noch teurer wird. „Olaf, mach Döner drei Euro“, forderten schon vor knapp zwei Jahren Menschen vom damaligen Bundeskanzler Scholz zwar öffentlichkeitswirksam auf Social Media, aber vergeblich.
Für den Preisanstieg gibt es unterschiedliche Gründe. Steigende Mieten, steigende Energiekosten, steigender Mindestlohn, Inflation und steigende Lebensmittelpreise. Seit 2020 sind fast alle Döner-Zutaten teurer geworden: Öl um 63 Prozent, Kopfsalat um 49 Prozent und Rinderhack um 42 Prozent. Auch Weißbrot und Joghurt kosten über 30 Prozent mehr als vor fünf Jahren.
Zwar sind die Großmarktpreise relevanter, aber auch Verbraucherpreise zeigen den Trend. Bereits 2022 sagte Gürsel Ülber, Vorstandschef des Vereins türkischer Döner-Hersteller in Europa, ein Döner müsste eigentlich 7,30 Euro kosten.
Günstige Döner locken Kundschaft an
Wie können sich die 3,99-Döner in Ottensen dann über ein halbes Jahr lang rechnen? „Gar nicht“, sagt Dicle von der „Döner Company“, sie finanzierten das Angebot mit anderen Produkten quer. Günstigere Döner locken mehr Kund*innen an, die vielleicht auch was anderes kaufen. Dürüm, Falafel und Börek kosten zum Beispiel so viel wie vorher. Das ist bei den drei anderen Läden auch so.
Yakup Öcalan, der „East Kebab 2“ betreibt, finanziere das Sonderangebot auch quer, sagt er der taz. Öcalan hat den Laden erst im Frühjahr übernommen. „Es ist ein extremer Druck“, sagt er am Telefon über den Preiskampf in der Straße. „Ich weiß ganz genau, wenn ich jetzt die Preise erhöhe, werden ganz viele Kunden zu den anderen gehen und ich mache automatisch zu.“
Yakup Öcalan, Döner-Laden-Betreiber in Hamburg-Ottensen
Trotzdem sei es mit dem Döner-Angebot besser als vorher. Es sorge dafür, dass viel mehr Kund*innen kommen. Das seien vor allem Jugendliche und Kinder, die sich Döner woanders nicht mehr leisten könnten. „Eltern können ihren Kindern kein Geld mehr geben. Viele Menschen können nicht mehr draußen essen“, sagt Öcalan, „Es ist nicht nur bei Döner so, es gibt überall Probleme.“
Der erhöhte Umsatz erleichtere ihm die Bezahlung laufender Kosten und den Einkauf neuer Zutaten, sagt Öcalan. Lange sei es aber nicht zu finanzieren. Der Preis decke einfach nicht die Kosten.
Der Chef von „Bey Kebab“ sagte der Hamburger Morgenpost im Juni, er zahle bei jedem Aktions-Döner zwei Euro drauf. Bei „LeGosht“ konnte die taz vor Redaktionsschluss niemanden sprechen.
Kulturgeschichte des Döners
Nachgefragt bei einem, der die Döner-Preisentwicklung seit Jahren beobachtet: der Journalist und taz-Autor Eberhard Seidel. Er hat zwei Bücher über die Kulturgeschichte des Döners geschrieben. Kampfpreise von unter fünf Euro wie in Hamburg-Ottensen gebe es seit mehreren Monaten überall, sagt Seidel der taz. „Es ist ein bundesweites Phänomen.“
Schon im Oktober schrieb Seidel auf Instagram: „Wenn die Döner-Preise fallen, ist das ein erstes Anzeichen für eine Wirtschaftskrise.“ Döner ist nicht nur ein Essen für Menschen mit wenig Zeit, sondern auch mit wenig Geld. „Die Döner-Kundschaft reagiert am sensibelsten auf Krisen“, sagt Seidel. Aktionspreise seien der verzweifelte Versuch, Kundschaft zurückzugewinnen, die man verloren hat.
Gleichzeitig kostet der Döner auch in Hamburg-Ottensen in Parallelstraßen weiterhin sieben, acht oder neun Euro – und wird auch gekauft, besonders von treuen Stammkund*innen, etwa bei Salman in der Ottenser Hauptstraße.
Finanziert über Selbstausbeutung
„Es ist eine widersprüchliche Entwicklung“, sagt Döner-Experte Seidel. Jahrzehnte habe die Branche den Döner viel zu billig angeboten, oft finanziert über die Selbstausbeutung von Ladenbetreiber*innen. „Wenn man so will, sind acht Euro der faire Preis“, sagt Seidel. Die Döner-Dialektik: Er erwartet, dass trotzdem überall weiter 3,99-Angebote aufploppen.
In der Bahrenfelder Straße in Ottensen bekommt man dafür einen mittelgroßen Hähnchen-Döner ohne Schnickschnack. Er kommt in allen vier Läden im gleichen Brot daher und schmeckt überall ähnlich (und zwar gut). Wie lange er hier noch so günstig zu kriegen ist, kann in der Straße niemand sagen.
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