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Die DDR ein Unrechtsstaat?Streit um Deutungshoheit

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow wollen die DDR nicht Unrechtsstaat nennen.

Abriss der Mauer an der Bernauer Straße im Wedding Foto: Hans Peter Stiebing

BERLIN taz | Als sich Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am Montag dafür aussprach, die DDR nicht als „Unrechtsstaat“ zu bezeichnen, klang das in vielen Ohren nach: „Es war ja nicht alles schlecht.“ Die Widerrede kam prompt, unter anderem von Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und Roland Jahn an, Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, der in der DDR selbst als Oppositioneller in Haft saß.

Nun ist es nicht so, dass Schwesig den SED-Staat verharmlost hat. Im Wortlaut sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Die DDR war eine Diktatur. Es fehlte alles, was eine Demokratie ausmacht: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, freie Wahlen, das Recht auf Opposition.“ Die Diktatur als gewaltsame Herrschaft der Wenigen erscheint ihr sprachlich angemessener als der Begriff „Unrechtsstaat“. Obwohl der darauf abzielt, die Staatsform der DDR als ungerecht zu charakterisieren, nicht etwa Individuen, fühlten sich gemäß Schwesigs Logik viele ehemalige DDR-BürgerInnen durch ihn herabgesetzt, sprachlich unsichtbar gemacht in ihrer Lebensleistung – und Rechtschaffenheit.

Vor allem in Abgrenzung zum „Rechtsstaat“ auf der anderen Seite Deutschlands, in dem ja nun bekanntlich auch nicht alles mit „rechten Dingen“ zuging. Schwesigs Thüringer Kollege Bodo Ramelow (Linke) führte noch ein anderes Argument ins Feld: Für ihn sei der Begriff „mit der Zeit der Naziherrschaft und dem mutigen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und seiner Verwendung des Rechtsbegriffs ,Unrechtsstaat' in den Auschwitz-Prozessen verbunden“.

Thema für Historikerinnen

Wie man den ehemaligen SED-Staat nun nennen soll, ist in erster Linie ein Thema für Historikerinnen und Demokratietheoretiker. Spannend ist vor allem die Frage, warum nur alle so scharf darauf sind, die DDR einen „Unrechtsstaat“ nennen zu dürfen.

Woher kommt die Obsession mit dem Begriff, wenn die „Diktatur“ (die, das wird Bodo Ramelow einwenden müssen, durchaus auch die Zeit von 1933 bis 1945 bezeichnet) es ebenso tun würde? Woher kommt die semantische Sensibilität in einem Land, in dem man sich um geschichtsbewusstes Vokabular an anderer Stelle so wenig schert, dass Zeitungen immer noch dann und wann die Pogromnacht zur „Reichskristallnacht“ aufhübschen?

Der Kampf um den Begriff ist ein Streit um Deutungshoheit, in dem sich Defizite bei der Aufarbeitung des DDR-Erbes zeigen – auf Ost- wie auf Westseite. Denn einerseits ist es verständlich, dass sich Ostdeutsche nicht zum dutzendsten Mal erklären lassen mögen, wie frei oder unfrei ihr Leben in der DDR ablief. Andererseits darf man sich schon fragen, ob Debatten um die politische Organisation eines Staats, der vieles war, aber keine „demokratische Republik“, wirklich der richtige Ort sind, um über persönliche Abwertungserfahrungen nachzudenken.

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14 Kommentare

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  • Eine Diktatur kann per Definition wohl kaum ein Rechtsstaat sein.

    Also was ist sie dann?

    • @Poseidon:

      "Unrechtsstaat" ist ein polemische Negation von §Rechtsstaat§. Der Staatsanwalt Fritz Bauer mag als Jurist Grund zu diese polemischen Negation des Rechtswesens in der nationalsozialistischen Diktatur gehabt haben. Doch was soll ein sog. "Un-Rechtsstaat" (DDR) in Abgrenzung zum "Rechtsstaat" (Bonner BRD) eigentlich sein? Die Bonner BRD war genauso ein Rechtsstaat, in dem ständig, auch legislatorische, gerichtliche und exekutive Gesetzes-, Grundgesetzes- und Rechtsverletzungen stattgefunden haben - nehme man nur die . Es gab dazu die Flick-Affäre, die RAF-Rechtssprechung und -justiz etc.: aus je oppositioneller Perspektive handelt es sich klar um ein Un-Rechts-Regime, das da in Bonn an der Macht war. Auch mit den Menschenrechten war es nicht so furchtbar weit her: Prügelnde Polizisten verstießen in 1000-den von Fällen gegen das Demonstrationsrecht, gegen das Menschenrecht der Unversehrtheit der Person etc. Allein die Möglichkeit, Revisionen und BVG-Urteile zu erzwingen, sind ein in der DDR nicht existierendes Rechtsmittel gewesen. Aber das Unrecht war und ist in der Bonner und Berliner BRD genauso alltäglich und ubiquitär wie in der damaligen DDR.



      Weg mit dieser Worthülse, die niemandem nützt und nur einen weiteren Keil zwischen Ost- und West-Denke treibt! Insbesondere eine deutsche Bundeskanzlerin sollte einen solch untauglichen Begriff nicht polemisch oder parteipolitisch verwenden. Ein bißchen Demokratie-Theorie würde übrigens auch einer Kanzlerin auf Abruf noch nicht schaden.

  • Ein richtig guter Artikel zum Thema.

  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    Ehemalige DDR- Bürger sollten sich weder von links noch von rechts einreden lassen Bürger 2.Klasse zu sein.



    Bürger 2.Klasse waren DDR'ler die keinen Reisepass, kein Westgeld und z. B kein Spiegelabo wie Gregor Gysi hatten.



    Die meisten DDR-Bürger haben ein anständiges Leben in einem falschen System gelebt.



    DDR- war eine Lüge in drei Buchstaben. Ein Staat der eine Verfassung hatte, sie aber nicht eingehalten hat.

    DEMAGOGISCHES DIKTATUR REGIME



    UNRECHTSSTAAT

    Wende war ein Begriff von Gysi und Modrow die ihre Haut retten wollten. Ist gelungen!



    Es war eine friedliche Revolution.



    Die Ablehnung d. B. Unrechtsstaat z.B. von Frau Schwesig und Herrn Ramelow dient dem heranschleimen an enttäuschte Ost'ler(s. Wahl)



    (Artikel frei nach Werner Schulze)

  • Was ist am Begriff "Reichskristallnacht" falsch? Die allseits geschätzte und erst kürzlich verstorbene KZ-Überlebende Margot Friedländer benutzte stets diesen Begriff.

    Wir sollten diesen Begrgriff in weiter nutzen und den damit einhergehenden Euphemismus stets bewusst machen.

    Diese Wortumdeutungen von Reichskristallnacht zu Progromnacht, von Nationalsozialist zu Faschist und von Unrechtsstaat (und das war die DDr nunmahl) zu "Was-auch-immer" und der damit einhergehende Versuch der Ergreifung der Deutungshoheit nervt.

  • Sie können die DDR ja rot verhängte Diktatur nennen. Kampf um die Deutungshoheit? Haben wohl nichts besseres zu tun?!

  • Und wieder einmal geht es um Worte und die damit verbundene Deutungshoheit und damit um Macht. Und die aktuelle Diskussion wäre in ihrer Vehemenz völlig unverständlich, wenn es sich nicht um Macht handeln würde, die auch jetzt noch wirkt.



    Die Fakten sind ja eigentlich völlig klar. Zunächst einmal war die DDR natürlich ein Rechtsstaat, leider war ein wesentlicher Teil des Rechts aber Unrecht, so dass die DDR insoweit eben ein Unrechtsstaat war. Wirklich selten ist das ja nicht. Nicht nur der Nazi- Staat hat eben auch als Rechtsstaat funktioniert, man könnte andersherum auch zum Beispiel die Bundesrepublik mindestens bis 1969 dahingehend als Unrechtsstaat bezeichnen, als dass Homosexualität entgegen des universellen Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung kriminalisiert wurde. "Unrechtsstaat" ist folglich keine absolute Qualifizierung und wir könnten uns die Diskussion auf dieser Ebene eigentlich sparen. Aber da gibt es ja eben noch den Kampf um die Deutungshoheit, und dabei nicht nur die Frage was war, sondern auch die Frage, wer was sagen darf. Angefangen mit dem Unsinn haben eindeutig die (leider reichlich westlich dominierten) Befürworter des Begriffs, die Reflexe der Gegner sind von daher nachvollziehbar aber auch unsinnig. Man lässt sich auf eine Wortklauberei ein, die Differenzierungen eher erschwert als befördert. Wenn dann noch die Medien (mit dieser rühmlichen Ausnahme) die Diskussion extrem verkürzen, dann wäre es klüger nicht mehr über die Zeit vor 89, sondern über die fortwirkenden Machtstrukturen und Besitzverhältnisse zu diskutieren.

  • Alles schön und gut, aber was soll die Bemerkung, dass im Westen "bekanntlich auch nicht alles mit „rechten Dingen“ zuging" ?? Natürlich kommt es auch in einem Rechtsstaat mal zu Unregelmässigkeiten. Aber es ist ja gerade die Natur des Rechtsstaat, dass er mehrere Instanzen der Justiz und eine demokratische Gewaltenteilung hat, um sich selbst wieder zu korrigieren. Genau diese Mechanismen fehlten in der "DDR", so dass im Namen des Staates über Jahrzehnte Willkür ausgeübt wurde, ohne Kontrolle durch Recht und Gesetz. Da gibt es einfach nichts zu relativieren.

  • Es ist schon traurig, dass es - auch 30 Jahre danach - noch nicht zu einer tatsächlichen Analyse des Phänomens stalinistischer Staaten gekommen ist.

    Anders als rechte Diktaturen, die von Anfang an darauf ausgelegt sind den - ihrer Gesinnung immanenten - Hass der Rechten auf Andere zum System zu erheben, haben ja linke Systeme alle zunächst die Absicht eine bessere Welt zu bauen.

    Deshalb tun wir uns auch so schwer damit - oder zumindest einige - auch hier die Systemfrage zu stellen: "Führen bestimmte sozialistische Modelle - allein durch ihre Struktur - in die Diktatur - und warum?"

    Denn wir können und sollten künftig sicher vermeiden, dass es den Rechten wieder gelingt ihre Herrschaftsformen zu etablieren - aber wir können nicht aufhören zu versuchen eine solidarischere und kooperativere Gesellschaft herzustellen - für die es keine positiven Muster gibt.

    Und für diese Diskussion ist die Betrachtung der stalinistischen Staaten sinnvoll - aber auch die klare Distanz.

    Wenn jemand etwas schlechtes tut, weil er etwas gutes will, macht es das nicht besser!

  • Am Begriff Unrechtsstaat entlang, werden in Ost- wie Westdeutschland Defizite der seit 3.10.1990 gemeinsamen Aufarbeitung gesamtdeutsch europäischen Erbes deutlich. Gemessen am angelsächsischen Verständnis braucht es Gewaltenteilung um als Rechtsstaat zu gelten. Das war formal in der DDR nach ersten freien Wahlen 18.3.1990 vielleicht einmalig gegeben. In der Weimarer Republik bis 1933, der Bundesrepublik seit 1949, angesichts politischer Weisungsgebundenheit von Staatsanwaltschaften, Generalbundesanwalt, BKA, BND, MAD, gegenüber Kanzleramt, Fachministern*nnen in Bund, Ländern bis heute dagegen nicht, trotz wiederholten Anmahnungen durch Brüssel, diese Praxis einzustellen, trotz Aussetzen der Zusammenarbeit internationaler Organisationen von Polizei, Interpol, internationalem Haftbefehl, Sicherheitsorganen mit Deutschland.

    Warum Manuela Schwesig, Bodo Rameloh als ostdeutsche Ministerpräsidenten*nnen mit diesem Pfund der DDR zwischen März- Oktober 1990 bis zum Beitritt der DDR zum Geltungsgereich des Grundgesetzes (GG) der Bundesrepublik Deutschland nach § 23 GG statt nach $ 146 GG über eine verfassungsgebende Versammlung nicht wuchern, stattdessen den Begriff Unrechtsstaat aufleben lassen, die ganze DDR seit 1949 bis zu ersten freien Wahlen unterschiedslos vor dem Begriff Unrechtsstaat zu schützen, gilt n. m, E. dem dunklen Grund, eine Verdeckungsdebatte zu führen, die Deutschland insgesamt seit 1949 als Rechtsstaat erscheinen lässt, obgleich Deutschland aus angeführten Maßstäben, Anlässen international nicht als solcher gilt, ohne bisher Unrechtssaat genannt zu werden.

    Der Begriff Unrechtsstaat erscheint mir darüber hinaus als Minenfeld, weil sich damit Juristen, anders als es der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger 1978 mit Hinweis auf den Tatirrtum § tat, der nach 1945 nur für Juristen galt, was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein, s. Rolf Hochhuths Drama „Die Juristen“, sich selber andersherum zu System Opfern zu stilisieren.

  • Ponzischema zum Verrat an der Arbeiterschaft trifft es eher!



    Ich wäre für gemäßigten Totalitarismus als Bezeichnung.

    • @marxscheEffizienz:

      @marx... Bis weit in die sechziger Jahre hinein war dieser rot verhängte Totalirismus keineswegs gemäßigt. Geschichte besser kennen ist besser als Begriffe würfeln.

      • @Bernardo Markowsky:

        Stimmt, allerdings ist es schwierig ökonomische Entwicklungen und daraus folgende soziologische Phasen punktgenau zu beschreiben.

  • Sehr geehrte Frau Lorenz,



    zuerst: danke, dass Sie Frau Schwesigs Aussage komplett wiedergeben. Ich bin entsetzt darüber, dass von mir (bisher meistens) für seriös gehaltene Medien wie u.a. der Deutschlandfunk - wahrscheinlich, um die Debatte anzuheizen - ihr Statement auf das zumindest irreführende "DDR war kein Unrechtsstaat" verkürzen.



    Bei Herrn Ramelow sehe ich das etwas anders: dass ihm bzw. der thüringer Linken bei der letzten Koalitionsrunde die politische Abgrenzung von immer noch aktiven ApologetInnen des DDR-Regimes abgerungen wurde - selbst, wenn die Formulierung Unrechtsstaat nicht besonders glücklich erscheint - finde ich völlig richtig. Für mein Gefühl will sich Herr Ramelow mit seinem - konstruiert wirkenden - Einwand, Unrechtsstaat sei durch den mutigen Staatsanwalt Bauer allein für den deutschen Nazi-Staat 33-45 als angemessen definiert worden, nun wieder diesen ApologetInnen als WählerInnen empfehlen.



    Zuletzt: "Andererseits darf man sich schon fragen, ob Debatten um die politische Organisation eines Staats, der vieles war, aber keine „demokratische Republik“, wirklich der richtige Ort sind, um über persönliche Abwertungserfahrungen nachzudenken."



    Dem stimme ich vorbehaltlos zu.