piwik no script img

Dialog mit Syriens AssadMit schmutzigen Händen

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Baschar al-Assad ist ein Kriegsverbrecher und Diktator. Aber unter den Sanktionen leidet vor allem sein Volk. Sollte man lieber mit Assad reden?

Mit dem Diktator reden? Der Kriegsverbrecher Baschar al-Assad Foto: Valeriy Sharifulin/rtr

J a, findet Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg, muss leider sein. Schallenberg ist der Sprecher von insgesamt acht EU-Ländern, die innerhalb der Union eine Neubewertung im Umgang mit Syrien fordern. „Wir brauchen eine Grundsatzdebatte über Syrien ohne Scheuklappen“, sagte er der Welt. Schallenberg ist gemeinsam mit seinem italienischen Kollegen Antonio Tajani Wortführer von acht konservativen bis rechten Regierungen, die vor allem eins im Sinn haben: die Rückführung syrischer Flüchtlinge.

Der Vorstoß rechter Regierungen auf EU-Ebene (Österreich, Italien, Griechenland, Zypern, Tschechien, Slowakei, Slowenien und Kroatien) ist aber nicht das einzige Indiz dafür, dass sich im Verhältnis zum syrischen Diktator Baschar al-Assad allmählich der Wind dreht.

Auch die Bundesregierung will „kriminelle Syrer“ wieder abschieben, und erstmals hat jetzt das Oberverwaltungsgericht Münster im Falle eines aus einem kurdisch kontrollierten Gebiet in Syrien stammenden Klägers geurteilt, er könne keinen Anspruch auf Schutz mehr erheben. Vor zwölf Jahren haben die EU-Regierungen ihre diplomatischen Beziehungen zum syrischen Regime auf Eis gelegt. Jetzt hat Italien angekündigt, wieder einen Botschafter nach Damaskus zu schicken.

Ein Albtraum …

Assad hatte zunächst friedliche Proteste brutal niederschlagen lassen und dadurch einen Bürgerkrieg provoziert, bei dem Hunderttausende getötet und Millionen Menschen vertrieben wurden. Assad schreckte nicht davor zurück, Giftgas gegen seine Gegner einzusetzen, er ließ gefangene Regimekritiker massenhaft foltern, und in von Rebellen kontrollierten Gebieten wurden Krankenhäuser und Schulen systematisch bombardiert. Baschar al-Assad ist ein Kriegsverbrecher. Die im Laufe des Bürgerkriegs immer stärker werdende religiöse Komponente hat aber auch dazu geführt, dass Assads Gegner vor Grausamkeiten ebenfalls nicht zurückschreckten.

Nach rund 13 Jahren Krieg ist Syrien ein zerstörtes Land, in dem der größte Teil der Menschen noch nicht einmal ausreichend zu essen hat, geschweige denn eine auskömmliche Arbeit oder die Möglichkeit einer Ausbildung. Auch wenn das Assad-Regime den wichtigsten Teil des Landes wieder unter seine Kontrolle gebracht hat, hält die Türkei zusammen mit verbündeten islamistischen Milizen Teile Nordsyriens besetzt und der Osten und Nordosten Syriens werden – mit Unterstützung der USA – weitgehend von kurdischen Milizen beherrscht. Mit anderen Worten: das Ergebnis des Krieges ist ein Albtraum.

Angesichts der jüngeren Kriege und Krisen hat die Welt die Gräuel von Syrien weitgehend vergessen. Die arabische Liga hat Baschar al-Assad im Mai letzten Jahres wieder in ihre Reihen aufgenommen, ihm wurde applaudiert, auch von Golfstaaten, die jahrelang seine Todfeinde finanziert hatten. Russland, Iran und China gehören sowieso zu seinen Freunden.

… der in Vergessenheit gerät

Im Moment ist es der Frontstaat Türkei, lange der wichtigste Unterstützer der islamistischen Gegner Assads, der sich ganz unverblümt um einen Neuanfang bemüht. Sie alle sind der Meinung, man müsse nach 13 Jahren Krieg der Realität ins Auge sehen und in der sei Assad nun einmal der Sieger.

Die USA drängen noch auf Distanz zu Assad, doch seit es Russland gelungen ist, über den sogenannten Astana-Prozess die UN-Friedensverhandlungen ins Leere laufen zu lassen, haben die USA in Syrien nicht mehr viel zu melden. Ihr Interesse besteht hauptsächlich darin, gemeinsam mit Israel dafür zu sorgen, dass in Syrien der iranische Nachschub für die schiitische Hisbollah im Libanon unterbunden wird. Eine Idee für eine Nachkriegsordnung haben sie jedenfalls nicht.

Bleibt Europa – das neben den direkten Nachbarn Syriens die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat und nach den arabischen Staaten auch das größte Interesse an der Zukunft in Syrien haben müsste. Man muss dem Vorstoß der Schallenbergs und Melonis keine Sympathie entgegenbringen. Aber nur auf dem Standpunkt zu beharren, der Kriegsverbrecher Assad und sein Regime müssten weiterhin geächtet und sanktioniert werden, reicht auf Dauer auch nicht. Damit schreibt man einen Status quo fest, der die Verelendung des größten Teils der syrischen Bevölkerung zur Folge hat.

Bestraft werden die Falschen

Der Assad-Clan und seine Günstlinge leben vom illegalen Handel mit synthetischen Drogen und anderen Schmuggelgeschichten, die Sanktionen betreffen sie nicht und ihre Häuser sind nicht zerstört oder längst wieder instand gesetzt. Für die übergroße Mehrheit aber sind Sanktionen, Handelsbeschränkungen und die Weigerung, in den Wiederaufbau Syriens zu investieren, die Garantie dafür, dass sie im Elend bleiben. In einer solchen Situation kehrt kein Flüchtling „freiwillig und in Würde zurück“, wie Schallenberg und Meloni uns glauben machen wollen.

Der Dialog muss auf Verbesse­rungen für die Bevölkerung zielen und darf nicht den Rechten überlassen werden

Wer es diesen rechten Regierungen überlässt, mit Assad zu reden, riskiert, dass Deals zur Rückführung von Flüchtlingen gemacht werden, die deren Sicherheit nicht berücksichtigen. Diese wären das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Eine freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen ist nur denkbar, wenn sich die Lebensverhältnisse in Syrien verbessern. Dafür, so schmerzlich es ist, muss man wohl tatsächlich auch mit Assad reden.

Assad wird keinen Prozess zulassen, der seine Macht infrage stellen könnte. Aber wenn man bereit ist, sich die Hände schmutzig zu machen, sind vielleicht unterhalb dieser Ebene schrittweise Verbesserungen für die Bevölkerung möglich. Ein Neuanfang ist mit Assad nicht möglich. Aber diejenigen Staaten in der EU, denen es nicht nur darum geht, syrische Flüchtlinge loszuwerden, sollten sich auf Dauer nicht der Notwendigkeit verschließen, mitzuhelfen, in Syrien wenigstens die schlimmsten Wunden zu heilen. Das ist auch mittelfristig der einzige Weg, etwas gegen die Flucht aus Verzweiflung zu unternehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Ohne Diplomatie kein Austausch, ohne Austausch keine Wahrung der Eigeninteressen. Nennt sich Realpolitik die nicht notwendigerweise in einer Rehabilitierung des Assad Regimes münden muss.

    Die Motivation dahinter scheint aber eher fraglich zu sein. Den Focus auf eine möglichst hohe Zahl von Rückführungen zu richten, mag zwar die "Volksseele" kurzfristig zufriedenstellen, ist aber nicht zielführend. Es würden "Abhängigkeitsstrukturen" entstehen, wie es sie ähnlich gelagert derzeit mit der Türkei gibt.

    In der Politik und der breiten Bevölkerung sollte sich langsam die Erkenntnis durchsetzen, dass zumindest die Syrer, welche mit den ersten "Flüchtlingswellen" in Deutschland eintrafen "gekommen sind um zu bleiben".

    Diese Menschen zu unterstützen, ihnen eine gesicherte Zukunft in diesem Land zu gewährleisten, als gleichberechtigte Bürger, sollte das Hauptanliegen von Politik und Gesellschaft sein. Das würde auf Dauer einen größeren Mehrwert für die Gesellschaft darstellen, als die angedachten Maßnahmen wie Abschiebung von syrischen Straftätern die nur einen reinen Symbolcharakter haben, an der Ist-Situation aber nichts ändern und erst recht nichts verbessern würden.

  • Danke für diesen Kommentar, der das Dilemma des Westens ganz gut beschreibt.



    "Bleibt Europa – das neben den direkten Nachbarn Syriens die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat und nach den arabischen Staaten auch das größte Interesse an der Zukunft in Syrien haben müsste." Und dieser Satz bringt das Dilemma speziell der EU auf den Punkt. Auch wenn es vielen nicht gefällt oder gegen ihre Überzeugungen verstößt: Aber in unserem eigenen Interesse, um des gesellschaftlichen Friedens willen, muss Europa und Deutschland zusehen, die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen. Vor allem vor der unbestreitbaren Tatsache, dass die Krisenzonen vor Ort nicht kleiner werden.



    Und auch das gehört zur bitteren, aber realistischen Erkenntnis: Es gibt Diktaturen, die unsere vitalen Interessen direkt bedrohen (Russland), indirekt bedrohen (China) oder nicht bedrohen (Syrien). Entsprechend muss man mit ihnen umgehen.



    Die Liste der Fehler im Umgang des Westens mit dem syrischen Bürgerkrieg ist unglaublich lang. Der größte war wahrscheinlich Obamas "rote Linie", deren Überschreiten ohne Konsequenzen blieb.

  • Oha, jetzt geht es darum Geflüchtete nach Syrien zu bringen, koste es, was es wolle. Diplomatische Beziehungen zu Assad sind Aufwertung und Anerkennung. Und für Syrer in der EU und Türkei wird es ungemütlich werden. Der Trend geht dahin, Assad aufzuwerten. Dabei ist alles gleich geblieben, es wird überwacht und gefoltert. Rechtsstaatlichkeit gibt es in Syrien nicht. Menschenrechte gibt es ebenfalls nicht. Und doch wird man ihm die Hand reichen, damit die Geflüchteten dahin abgeschoben werden können. Das ist mies.

  • "Sollte man lieber mit Assad reden?"



    Natürlich bzw leider wird man mit Assad wieder irgendwann reden müssen, weil man "der Realität ins Auge sehen (muss) und in der sei Assad nun einmal der Sieger", diese Frage beantwortet sich der Artikel doch selbst.



    Es wird auch nicht anders mit Russland und Putin kommen, da die Hilfe der NATO 'nur' vorsieht, die Ukraine zu verteidigen. Wenn man nicht zufällig Moskau erobern oder bis zu Putins Tod den Krieg weiterlaufen lassen will wird auch hier der Tag x kommen.



    Nicht anders auch mit den Taliban und Afghanistan. Sie sitzen fester denn je im Sattel.



    Das heißt nicht das man Assad oder die Taliban mit dem roten Teppich in Berlin empfangen muss, aber Gespräche sind diplomatische Grundpflicht.



    Ob man sie nun ausgerechnet beginnen muss weil man Straftäter dorthin abschieben möchte ist natürlich eine andere Sache - zumal die tatsächliche Anzahl sich, dass lässt sich schon jetzt absehen, einen sehr kleinen Personenkreis umfassen wird - aber es stehen Landtags- und eine Bundestagswahl vor der Tür und die Ampelwerte sind bekannt, ich gehe jede Wette das passend zum Bundestagswahlkampf der erste Flieger medienwirksam mit ein paar Insassen abhebt.

  • Ja natürlich sollte man auch mit den blutigsten Diktatoren reden. Allerdings nur die dafür ausgebildeten und trainierten, also Diplomaten. Mit dem einzigen Ziel die eigenen Interessen (also die des eigenen Landes, im Falle der EU Staatengemeinschaft) durchzusetzen.

    Interessen ist übrigens ungleich Werte. In der Praxis sind "Werte" eh meist nur Ideologie.

    Die Analogie im persönlichen Alltag: Ich muss - und tue das auch - mit den größten Unsymphaten kommunizieren. Dafür gibt es auch ausgebildete Personen: Anwälte.

  • Auch bundesdeutsche Parteien auf der rechten Seite des Spektrums wären wohl aus opportunistischen Gründen dabei.



    Es ist bei allem deutlichen Gefühl gegen diesen Assad gleichzeitig auch anzumerken, dass gerade bei Syrien viel schieflief. Der Diktator ist fest im Sattel, treu an Putins und Chameinis Seite, die unvorsichtig gezogenen roten Linien sind keine. Menschen werden verfolgt. Und hierzulande gerne stigmatisiert, gerade von besagten Rechten.



    Assad das Überleben zu garantieren im Gegenzug für Lockerungen für die Menschen würde ich als Manöver nie ausschließen, bei allem unguten Bauchgefühl dabei und der Faust in der Tasche.

  • Das ist ein wichtiges Thema. Es gibt Landkreise, in denen die ärztliche Versorgung nur mit Ärzten aus ´Drittstaaten´ aufrecht erhalten werden kann. Die größte Gruppe unter ihnen sind die aus Syrien geflüchteten Ärzte, insgesamt mehr als 1.000, die sich der deutschen Kenntnisprüfung unterzogen und deshalb eine deutsche Approbation erhalten haben.



    Assad ist nicht Kriegsverbrecher, sondern Verbrecher.



    Massenhaft Folter heißt massenhaft Henker. Sie waren und sind die Machtbasis. In diesem Land ist deswegen niemand sicher. "sind vielleicht unterhalb dieser Ebene schrittweise Verbesserungen für die Bevölkerung möglich." ist deswegen eine sehr optimistische Formulierung.



    www.tagesschau.de/...ine-krieg-101.html

  • "Vor zwölf Jahren haben die EU-Regierungen ihre diplomatischen Beziehungen zum syrischen Regime auf Eis gelegt. Jetzt hat Italien angekündigt, wieder einen Botschafter nach Damaskus zu schicken."



    /



    Was auch für Deutschland fast zwangsläufig logisch erscheint, wenn die Lage im Libanon richtig eskalieren sollte, denn die Abwicklung von bestimmten Dienst-Geschäften übernahm einstweilen die Botschaft im Libanon. Für manche SyrerInnen bedeutete dies viele Strapazen des Hin- und Herfahrens.



    /



    beirut.diplo.de/lb-de/service/-/2544942