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Deutschlands KolonialgeschichteHerrn Lammert ist das peinlich

Der Bundestagspräsident kritisiert, dass es bisher keine Resolution zum deutschen Völkermord an den Herero gibt. Verhandlungen mit Namibia laufen aber bereits.

Die „Trophäen“ lagern noch heute in der Charité Foto: reuters

Berlin dpa | Nach der Armenier-Resolution des Bundestags hat Parlamentspräsident Norbert Lammert deutliche Kritik geübt, dass es bisher keine vergleichbare Völkermord-Erklärung zum Massaker deutscher Kolonialtruppen im heutigen Namibia gibt. Er selbst hatte dafür vor einem Jahr das Wort „Völkermord“ gebraucht, ebenso die Bundesregierung, aber nicht der Bundestag. „Dass es dazu nicht eine ähnlich unmissverständliche Erklärung auf deutscher Seite gibt, finde ich bedauerlich und im Kontext der jüngeren Auseinandersetzungen auch ein bisschen peinlich“, sagte Lammert am Sonntag in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“.

Lammert verwies aber auf die Verhandlungen von Regierungsbeauftragten beider Seiten. Er habe „die begründete Zuversicht, dass wir in absehbarer Zeit hier zu einem Ergebnis kommen, zu dessen Bestandteil auch eine Erklärung des Deutschen Bundestags zu den damaligen Ereignissen im heutigen Namibia gehören wird“.

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte in einer Erklärung: „Es ist höchste Zeit, dass sich die Bundesrepublik ihrer historischen Verantwortung stellt und das Verbrechen beim Namen nennt. Deswegen freue ich mich über die klare Haltung des Bundestagspräsidenten.“

Deutsche Truppen hatten 1904 bis 1908 in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika einen blutigen Aufstand mit der Ermordung Zehntausender Herero und Nama beantwortet. Sie erschossen Flüchtende und ließen andere in der Wüste gezielt verhungern und verdursten.

Der namibische Sonderbeauftragte Zedika Ngavirue sagte dem ZDF: „Dieses Land und seine Menschen, die Opfer, erwarten, dass der Völkermord erstens anerkannt wird und dass sich Deutschland zweitens dafür entschuldigt. Und dann wollen wir zum dritten, zum wichtigsten Punkt kommen: Der Frage der Reparationen.“

Im Nachrichtenmagazin Der Spiegel stellte der renommierte Afrika-Experte Bartholomäus Grill die Einstufung der Kriegsverbrechen und Gräueltaten als formalen Völkermord aber infrage. Er verwies auf einzelne Quellen und die Einschätzung einiger Historiker, die dem zu widersprechen scheinen.

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7 Kommentare

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  • Meines Wissens erlässt der Bundestag Gesätze. Dafür sind die Volksvertreter gewählt und dafür sind sie zuständig. Woraus ergibt sich das Recht oder die Pflicht des Bundestages über historische Ereignisse ohne jede Rechtsfolge abzustimmen, zumal wie im Falle der Türckei ohne jeden aktuellen Bezug zu unserem Land.

     

    Bei diesen Aussagen ist fragwürdig ob Herr Lammert tatsächlich als Bundespräsident geeignet ist.

     

    Über die Einordnung von irgendwelchen Völkermorden aus dem 19. und 20. Jahrhundert sollen sich doch bitte die Historiker streiten. Nur weil ein Bundestag hierüber eine positive oder negative Entscheidung trifft, wird es nicht mehr oder weniger wahr.

    • @DiMa:

      Es handelt sich dabei darum, einen offiziellen Sprachgebrauch für den Bundestag festzulegen. Das ist durchaus Aufgabe des Bundestages.

       

      Und angesichts dessen, dass das Deutsche Reich Hauptverbündeter damals des Osmanischen Reichs war, von dem Völkermord wusste und trotz Drängen der Diplomaten vor Ort nichts unternommen hat, um den Verbündeten nicht zu verschrecken, gibt es sehr wohl einen Bezug. Und einen Völkermord als solchen zu bezeichnen ist keine Frage der Aktualität.

  • Hat natürlich jetzt ein Geschmäckle, wenn Erdo erst mit nem Stein aus der trockenen Namib auf´s deutsche Glashaus zielen muss, damit was passiert.

    Zugzwang hat ersetzt, was die Ethik längst gefordert hätte. So ist´s nur ein Trauerspiel.

  • "Ein bisschen peinlich"? Nun ja. Alles ist relativ.

     

    Ich persönlich finde es ausgesprochen eklig, in Fällen, in denen es ums Geld geht, weil deutsche Truppen direkt verantwortlich waren, erst das Ergebnis langfristiger Verhandlungen abgewartet wird, währen die Verurteilung da, wo sie (beinah) zum Nulltarif zu haben ist, weil andere das Kommando hatten, mal eben locker-flockig vorgezogen wird.

     

    Hat die Menschenwürde etwa ein Preisschild aufgeklebt nach Ansicht von Herrn Lammert?

  • Wie weit reicht Verantwortung? Wie lange muss man sich entschuldigen? Wie lange Reparationen zahlen? Können wir Schweden, Spanien und Frankreich für die Gräueltaten im 30jährigen Krieg verantwortlich machen und Entschädigung verlangen? - Auch das war ein Völkermord - oder ist das jetzt wieder zu lange her? Die Rechtsnachfolge der Staaten besteht auf jeden Fall.

    • @FraMa:

      Es ist eine nicht unberechtigte Frage.

      Meine Ansicht darüber ist, dass Verantwortung solange übernommen werden muss, wie die betroffenen Menschen darunter unmittelbar leiden. Das Leid ist umso größer, je näher es die Menschen betrifft. D.h. wenn die Eltern, Großeltern und Urgroßeltern betroffen waren, wird es Kinder, Enkel, Urenkel auch betreffen. Es sollte also ein Problem vorliegen, das noch unmittelbar die Gegenwart leidvoll beeinflusst.

      Präzisiert: Leiden Sie oder Ihre Familie noch unter den Gräueltaten des 30-jährigen Krieges ?

      Wenn nein, können auch Sie ermessen, wie wichtig es ist, Völkermorde naher Vergangenheit schnellstens zu sühnen, denn die familiär emotionale Verbindung muss dafür nutzbar und notwendig sein. Ansonsten besteht die Gefahr, dass historisch Gras darüber wächst und beim nächsten Unwetter liegt der schroffe Fels wieder nackt, eine tiefgreifende Aufarbeitung ist dann unmöglich.

    • @FraMa:

      "Wie weit reicht Verantwortung? Wie lange muss man sich entschuldigen? "

       

      So lange man sich nie entschuldigt oder irgendetwas entschädigt hat, so lange die Charite die Schädel der Ermordeten in Glaskästen als Kopfjäger-Trophäen hortet, so lange Straßen in Berlin nach Massenmördern der Kolonialzeit benannt bleiben, mindestens so lange besteht eine Verantwortung.