Deutschlands Innovationspolitik: Drohender Abstieg in der Forschung
Die Expertenkommission Forschung und Innovation warnt vor einer abnehmenden Konkurrenzfähigkeit Deutschlands bei zentralen Schlüsseltechnologien.
Für die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), die jedes Jahr für die Bundesregierung einen Bericht über deren Innovationspolitik erstellt, kommt diese Frage noch zu früh. Der Ukraine-Krieg sei ein „exogener Schock“, dessen Auswirkungen in das neue Gutachten noch nicht eingearbeitet werden konnten, sagte EFI-Vorsitzender Uwe Cantner am Mittwoch, als die 186-Seiten-Expertise in Berlin an Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) überreicht wurde.
Indirekt war das aus sechs Wirtschaftswissenschaftlern zusammengesetzte Gremium da schon selbst „kriegsbetroffen“, denn die ursprünglich im Februar geplante Übergabe des Gutachtens an Kanzler Scholz musste wegen der Putin-Aggression kurzfristig abgesagt werden.
Der Bericht hat es in sich. Er dokumentiert auf seine Weise keine abrupte, aber eine schleichende „Zeitenwende“, die für die Bundesrepublik, zumindest ihre heutige Wohlstandsverfassung, genauso bedrohlich werden kann. Die Rede ist von der abnehmenden Konkurrenzfähigkeit Deutschlands bei zentralen Schlüsseltechnologien. Größter Hemmschuh ist die schleppende Digitalisierung in vielen Bereichen, wie der Gesundheitsversorgung oder der Bildung. In internationalen Vergleichen fällt Deutschland weiter zurück.
„Die deutsche Politik muss noch aktiver werden, wenn es darum geht, technologische Rückstände aufzuholen“, fordert Cantner. „Bei den digitalen Technologien brauchen wir jetzt einen Booster.“ Überall im Gutachten findet sich Sätze wie: „Die digitale Transformation verläuft in Deutschland sehr schleppend und muss deshalb in der neuen Legislaturperiode deutlich forciert werden.“ Oder: „Mit den bisherigen Strukturen und Prozessen innerhalb der Bundesregierung ist es trotz aller Bemühungen nicht gelungen, die im internationalen Digitalisierungswettbewerb notwendige Dynamik zu entfachen.“
China zieht voran
Was an Tempo möglich ist, demonstriert China. Mit einer Dynamik ohnegleichen hat sich das Land in den letzten 20 Jahren quasi aus dem Nichts heraus eine Spitzenposition in der Forschung, Anwendung und beim Handel mit Hightech-Produkten erobert, bemerkt die EFI-Studie. Untersucht wurden 13 Einzeltechnologien, die sich vier übergeordneten Bereichen von Schlüsseltechnologien zuordnen lassen: Produktion, Material, Bio- und Lebenswissenschaften sowie digitale Technologien.
Anhand der Auswertung von wissenschaftlichen Publikationen, Patentanmeldungen, Handelsstatistiken und der internationalen Standardsetzung ergab sich das Bild, dass Deutschland zwar Stärken in den Produktionstechnologien sowie den Bio- und Lebenswissenschaften aufweist. Aber als „ernsthaft kritisch“ bewertet EFI-Mitglied Carolin Häussler von der Universität Passau den Befund, dass „Deutschland im Bereich der digitalen Technologien deutliche Schwächen zeigt, wie auch die gesamte EU“.
Die Ausstrahlwirkung der digitalen Technologien in die anderen Schlüsseltechnologien sei enorm. „Hier Schwächen zu haben bedeutet, unsere Stärken zu riskieren“, warnt Carolin Häussler. Bei 6 der 13 Schlüsseltechnologien ist China heute Deutschlands wichtigster Lieferant. Häussler: „Die Abhängigkeit von chinesischen Importen macht der Expertenkommission Sorge.“
Ob die Regierung den Vorschlägen der Experten folgt, ist nicht unbedingt ausgemacht. Anfangs sei die Kommission sehr erfreut gewesen, im Koalitionsvertrag der Ampelregierung so viele EFI-Vorschläge aufgelistet zu sehen, berichtete Katharina Hoelzle vom Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Aber bei näherem Hinsehen hat sich die Regierung um zentrale Empfehlungen der EFI-Kommission dann doch elegant herum gedrückt.
Nicht schlagkräftig genug
So wurde die Installierung eines Bundesdigitalministeriums, von EFI heiß empfohlen, nicht angepackt. Dafür wird eine Transferagentur neuen Typs aufgebaut, die „Deutsche Agentur für Transfer und Innovation“ (Dati), die EFI für überflüssig hält. Wichtiger als die Schaffung neuer Institutionen sei die innere „Agilität“ der Bundesministerien, ihre schnellere und ressortübergreifende Kooperation, um die deutsche Forschungs- und Innovationspolitik schlagkräftiger zu machen.
Ministerin Stark-Watzinger, die noch immer an ihrem „100 Tage-Programm“ arbeitet, das in diesem Monat vorgestellt werden soll, verriet zum künftigen Kurs der Forschungspolitik nur so viel, dass sich ihr Haus im Mai zu den Empfehlungen der EFI-Kommission äußern und zur Jahresmitte das große Konzept einer „Zukunftsstrategie“ ins parlamentarische Verfahren einbringen werde.
Und die Zeitenwende in der Forschung? „Die aktuelle Lage zeigt deutlich, dass wir unabhängig von Russland als Energielieferant werden müssen“, erklärte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage. „Grüner Wasserstoff ist ein zentrales Element einer zukunftsfähigen Energieversorgung, die uns aus der Energieabhängigkeit von Russland löst.“ Eine Militarisierung der Wissenschaft stehe nicht zur Debatte. „Die Forschungsförderung des BMBF“, so dessen Sprecher, „ist rein zivil ausgerichtet.“
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