Deutschland, korrupt und verplant: Schau dich mal an

Vom Glanz der Strebernation ist nicht viel übrig. Das fühlt sich auch gut an. Wir haben die richtige Schublade für Deutschland gefunden: Mittelmaß.

Ansicht auf den Marktplatz von Günzburg

Kurzzeitig vom Mittelmaß befreit: das schwäbische Günzburg Foto: i

Das ist also Aufräumen, die erste. Ihre Kolumne zum Ausmisten, Entstauben und Geraderücken. Es ist Samstag, Putztag, womit fangen wir an? Wie wäre es hiermit: Wir werfen unser verblendetes Bild von diesem Land auf den Müll. Es steht schon lange angestaubt in der Ecke und nervt. Ja, in gewisser Weise ist das hier auch eine Müllkolumne. Heute an der Reihe: das idealisierte Selbstbild der Deutschen. Dismissed, tut mir leid.

Deutschland ist nämlich ein ganz normales Land. Korrupt, verplant, unzuverlässig. Ich könnte noch viele Adjektive hinzufügen, mein Bild war gar nicht so verblendet, aber auf diese drei wäre ich vor einigen Monaten noch nicht gekommen. Wobei das beim Thema Korruption, zugegeben, etwas naiv war: Dass zum Beispiel der ehemalige bayerische Justizminister von der CSU, Alfred Sauter, sein politisches Amt schon lange fürs Geschäftemachen nutzte, war bekannt. Nur interessierte es niemanden. Mei, war halt der Alfred.

Dachte man auch im schwäbischen Günzburg, wo der Alfred herkommt. Letztens war ich dort mit einem Freund spazieren. Vom Marktplatz zur Donau. Weil nicht nur der Alfred aus Günzburg kommt, auch ich bin dort aufgewachsen. Mein Freund sagte, er sei gespannt, ob sich Sauter auch diesmal wieder aus der Affäre ziehen kann. Keine Ahnung, Schulterzucken. Zuzutrauen wäre es ihm und der CSU. Ist Korruption eigentlich deutsche Leitkultur?

Wir gingen weiter und unterhielten uns über die Anti-Corona-Strategie der Regierung. Irgendwas hatte man uns gerade wieder versprochen, regelmäßige Tests an Schulen, glaube ich. Und mein Freund und ich stellten fest: Glauben wir nicht. Wie in einer Beziehung, in der Erwartungen zu oft nicht erfüllt wurden. Und: Wie in einem ganz normalen Land eben! Po­li­ti­ke­r:in­nen sagen, dass sie es im Griff oder zumindest einen Plan haben, und kei­ne:r glaubt es.

So lala halt

Ihre Worte von Zukunft, Verantwortung und Sicherheit sind ein diffuses Rauschen, je­de:r versucht, für sich selbst im Kleinen das Beste rauszuschlagen, und schaut in der restlichen Zeit Telenovelas. Nur dass wir in Deutschland auch noch schlechtes Wetter haben. Immer mehr Gründe sprechen fürs Auswandern – nur wohin? Auch das ist inzwischen ein Standardthema bei Spaziergängen mit Freund:innen.

Ich muss dazu sagen – Sie kennen mich ja noch nicht so gut –, dass der Freund und ich beide nicht aus Deutschland kommen. Wir sind eingewandert, haben in der Zwischenzeit mehrmals im Ausland gelebt und kennen Vergleiche mit anderen Ländern seit unserer Kindheit.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Meistens fielen diese Vergleiche für Deutschland ganz gut aus. Aber was wir jetzt sehen, ist: Vom Glanz der Strebernation, die zwar etwas uncool, dafür aber vertrauenswürdig ist – wenn schon nicht Sieger der Herzen, dann doch immerhin Weltmeister der Sorgfalt –, ist nicht viel geblieben. Und ehrlich, so tragisch es ist, dass wir in diesem pandemischen Chaos feststecken, irgendwie fühlt sich das auch gut an: Wir haben die richtige Schublade gefunden – Mittelmaß, so lala halt.

Nach all den überzogenen Integrationsidealen, der teils berechtigten, teils überheblichen Kritik können meine Freun­d:in­nen aus aller Welt und ich diesem Land entgegenrufen: Danke für dein Feedback, Deutschland, aber schau dich doch mal an!

Das aufgeräumte Günzburg immerhin (auch der Ex-CSUler ohne Ehrenerklärung Georg Nüßlein kommt übrigens aus der Region) ist kurzzeitig vom Mittelmaß befreit und in einer glamouröseren Schublade. Man nennt die Stadt jetzt in einer Reihe mit Liechtenstein und karibischen Inseln.

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war bis Dezember 2021 Redakteurin, Reporterin und Kolumnistin der taz am wochenende

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