Deutscher Radsportsenior: Letzte Anstiege
Simon Geschke fährt den letzten Giro d’Italia seiner Karriere. Er ist jetzt 38 Jahre alt und möchte als Kletterer noch einmal überzeugen.
Realistische Chancen, es Pogačar abzujagen, sieht er nicht. „Ich muss auch sagen, dass ich sehr weit weg bin von den Punkten her, die Wertung wirklich zu übernehmen.“ Auf die Jagd nach weiteren Punkten will er trotzdem gehen. „Besonders zum Ende der zweiten und dann in der dritten Woche gibt es viele Punkte. Und es geht auch um Etappenergebnisse“, blickt er auf die folgenden Tage voraus.
Hier beim Giro war er schon mehrfach in Ausreißergruppen unterwegs. Mehr als 260 Kilometer ganz vorn kamen schon zusammen. Ein sechster Etappenplatz war die beste Ausbeute. Ein Etappensieg wäre eine Karrierekrönung, würde gut zum Tour-de-France-Etappensieg 2015 passen. Zweiter und Dritter war er schon mal, vor einer Dekade allerdings.
Jetzt im hohen Sportleralter von 38 Jahren will er es aber noch einmal wissen. „Ich habe mich sehr gut vorbereitet, so viel Höhentraining absolviert vor dem Giro wie sonst nie. Das zahlt sich jetzt ein bisschen aus. Ich will die letzte Saison auf jeden Fall noch mal auf einem Hoch beenden, nachdem die Saison letztes Jahr nicht so toll war. Ich will da noch mal alles rausholen“, erzählt er der taz.
Legendäre Touren
Es handelt sich tatsächlich um die allerletzte Saison von Geschke. „Das ist definitiv“, betont er. 16 Jahre sind vergangen, seitdem er als Trainee beim damaligen Team Milram in den Profizirkus einstieg. Im Jahr darauf folgte die erste Tour de France, eine von in insgesamt elf Teilnahmen.
Neben dem Etappensieg 2015 war der Kampf ums Bergtrikot 2022 bei der Mutter aller großen Rundfahrten die wohl spektakulärste Sache für den gebürtigen Berliner. Damals beugte er sich nur ganz knapp Jonas Vingegaard. Jetzt beim Giro liegt nur Pogačar vor ihm. Unter zweifachen Toursiegern als Hauptgegner macht es Geschke offenbar nicht bei seinen Kämpfen um Wertungstrikots.
Eine große Rechnung hat er aber noch woanders offen. „Ich wäre gern einmal Deutscher Meister geworden.“ Letzte Chance für ihn in diesem Jahr beim vertrauten Kurs in der Wahlheimat südliches Baden-Württemberg. „Mit 38 wird das aber auch nicht einfacher. Die besten Jahre sind eher schon vorbei“, merkt er an.
Ein wenig Wehmut
Auf die Meisterschaft „vor der Haustür“ freue er sich aber. Und mit seinem Karriereverlauf sei er ohnehin voll zufrieden. Die größten Veränderungen sieht er vor allem beim Material. „Da hat sich sehr viel getan. Und auch die Neoprofis werden immer jünger. Es wird alles immer professioneller, immer schneller. Mal sehen, ob irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht ist.“
Den Giro genießt er. Ein wenig Wehmut schleicht sich mitunter auch ein. „Man nimmt vieles bewusster wahr, weil man ja wirklich jedes Rennen das letzte Mal fährt“, sagt er. Für die Zeit danach habe er noch keine großen Pläne. Jetzt will er ohnehin erst mal beim Giro d’Italia noch Akzente setzen. Das viele Höhentraining soll sich vor allem bei Etappen jenseits der 2.000 Meter-Marke auszahlen. Aber auch da will er „Tag für Tag“ schauen. Die Floskelproduktion hört auch im höheren Rennfahreralter eben nicht auf.
Großen Respekt empfindet er vor einem Jahrgangskollegen. Geraint Thomas wird im Laufe dieses Giros 38 Jahre alt, ist zwei Monate jünger als Geschke. „Er fährt seit Jahren auf einem hohen Niveau und nimmt es hier mit den Jungen auf. Ich weiß, dass das nicht einfach ist mit 38. Das verdient nichts anderes als großen Respekt“, blickt er auf den Briten. Der hat sogar noch größere Ziele als Geschke, will den Giro gewinnen. So gesehen, befindet sich Pogačar in einer Oldie-Zwinge. Der eine Fast-38-Jährige will ihm Rosa abjagen. Der Schon-38-Jährige lauert bei der Bergwertung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“