Deutscher Ableger der „Gilets Jaunes“: Mit Gelbweste und Marschmusik
Längst demonstrieren auch in Deutschland verschiedene Gruppen in Warnwesten. Im Osten sind es vor allem Rechte. Ihr Protest ist diffus.
Vor allem in einigen ostdeutschen Städten treffen sie sich regelmäßig und halten Kundgebungen mit zumeist zweistelligen Teilnehmerzahlen ab. Was ihre Anhänger eint: Sie sind zwar rechts, können mit den etablierten Mecker- und Panikbewegungen aber trotzdem nichts anfangen.
„Die AfD ist längst eine Altpartei, Poggenburgs ADP ist noch schlimmer“, schimpft Ende März in Chemnitz Sandro Reichel, Mitglieder der Anti-Establishment-Splitterpartei „Das Haus Deutschland“ und Chef der örtlichen Gelbwesten. Im thüringischen Apolda kanzelt ein Redner tags darauf die AfD ebenfalls als „Systempartei“ ab. Und in Dresden findet sich ein konkurrierendes Häuflein Gelbwesten ausgerechnet montags zusammen – dem Tag, an dem eigentlich Pegida demonstriert.
Und noch etwas gilt für alle: Auf Nachfrage offenbaren sie völlige Unkenntnis ihrer französischen Vorbilder, der Gilets jaunes. Irgendwie sozial wollen sie sein und gegen alles, was „bröckelt“. „Dass jemand eine Vierzigstundenwoche arbeitet und trotzdem auf das Existenzminimum aufstocken muss, geht überhaupt nicht“, spricht ein junger, aufgeschlossener, aber arbeitsloser Chemnitzer. „Im Verhältnis bekommen Asylanten mehr“, wiederholt er das bekannte Neidargument.
Wettern gegen „das dümmste Volk der Welt“
„Nichts gegen Migranten, wenn wir sie nicht auch noch einladen“, gibt sich Organisator Sandro Reichel menschenfreundlich. „Wir sind einfach nur Patrioten. Die lieben ihr Land, schätzen aber andere nicht gering“, fügt er hinzu.
Leute der ultrarechten, vom Verfassungsschutz beobachteten Bürgerbewegung „Pro Chemnitz“ will er deshalb hier nicht sehen. Nur solche, die sich „neu orientieren“ wollen, „weil wir alle blind vor die Wand rennen“. Ein Pegida-Mann ist extra angereist und trägt auf dem Rücken seiner Weste die Aufschrift „Keine Drogen in Dresden!“. Viele kommen auch aus dem Chemnitzer Umland, insgesamt eine friedliche Runde ohne Aggressionen. Die Besatzungen zweier Polizei-Einsatzwagen warten gelangweilt, ein einziger Polizist läuft neben dem Zug und unterhält sich mit den etwa 80 Teilnehmern.
Nach Reichel reden zwei durch Ostdeutschland tourende Wanderprediger aus dem Westen. Der eine heißt ausgerechnet Kurt Schumacher, wie der SPD-Urvater nach 1945, und sieht aus, als käme er aus einer 68er-Kommune. Er wettert gegen den „deutschen Sklavengeist“ und gegen Obrigkeitshörigkeit, die „das dümmste Volk der Welt“ unfähig zu einem Aufstand gegen die „lügnerischen Politiker“ mache. Danach wirbt Carsten Jahn um Unterschriften, um für die Partei „Das Haus Deutschland“ für die Europawahl kandidieren zu können. Von den geduldig zuhörenden Chemnitzern bekommt er am Ende eine gelbe Weste mit Unterschriften geschenkt.
Alle drei Strophen
In Apolda ist die Stimmung am Tag darauf weniger entspannt, die Kundgebung dort wirkt fanatischer. Zwei Ringe aus Absperrgittern hat die Polizei um den Lautsprecherwagen und die maximal 60 Teilnehmer gezogen, von denen am Ende nur noch die Hälfte das Deutschlandlied in allen drei Strophen mitbrummt. Ungefähr 50 Gegendemonstranten haben jenseits der Gitter Infostände aufgebaut und pfeifen. Zwischen den Reden dröhnt „Auf der Heide steht ein kleines Blümelein, und das heißt Erika“ aus den Lautsprechern der Gelbwesten, imperative Marschmusik im Sound der 1930er Jahre.
Am Rand steht eine kleine Gruppe zusammen. Sie seien die echten Westen und versammelten sich seit Dezember jeden Donnerstag an einem nahen Kreisverkehr, sagt einer aus der Gruppe. Ob sie auch die Anmelder dieser Kundgebung sind? Ein bulliger Typ reagiert auf diese harmlose Frage des Reporters ungehalten. „Wer hat dir das erzählt, du Sack?!“
Der Anmelder der Kundgebung heißt Thomas Weber und stammt aus einer lokalen rechten Bürgerinitiative. Das Grüppchen am Rand will mit ihm nichts zu tun haben. Das hindert sie aber nicht daran, auf dem Markt zu stehen und Beifall zu klatschen. Eigentlich, sagen sie noch, steckten ja die „Soldiers of Odin“ hinter der Veranstaltung. Eine rechtsextreme, nazistische Bürgerwehr, die auch schon bei Gelbwesten im westdeutschen Gießen gesehen wurde und jetzt den Platz optisch dominiert. Nach Apolda sind sie aus Berlin und Mecklenburg-Vorpommern angereist.
„Von Rattenfängern instrumentalisiert“
Gekommen sind auch rechte Volksredner aus dem Westen. Sie wittern hier ein neues Publikum für ihre immergleichen Tiraden vom Volksuntergang und ihren Verfolgungswahn. „Hier gibt es keinen einzigen Nationalsozialisten“, behauptet der vielfach vorbestrafte Islamhasser Michael Stürzenberger dennoch. Überschrien wird er noch vom Deutschitaliener Eric Graziani, der auf vielen derartigen Veranstaltungen gegen die „Verbrechen der Migranten“ hetzt.
„Die Gelbwesten werden nur von Rattenfängern instrumentalisiert“, kommentiert in Apolda Max Reschke vom Weimarer Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus. Die Zahl derer, die sich seit Dezember 2018 donnerstags am Kreisverkehr treffen, beziffert er auf 20 bis 30. „Schau, wer dahintersteckt“, ermuntert ein Plakat der Gegenprotestler von „Wir für Apolda“. Die Stadtverwaltung der Glockengießerstadt hat offenbar schon hingeschaut. Die am Rathauseingang aufgestellte Glocke läutet stummen Alarm und trägt die Aufschrift „Demokratie ist unser Maß. Keine Toleranz der Intoleranz!“
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