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Deutsche sind unzufrieden mit LohnarbeitArbeit macht das Leben aus

Deutsche Arbeitnehmer*innen haben laut Umfragen keinen Bock auf ihren Job. Da hilft auch kein Coaching, liebe Chefetagen.

Wählen Sie gut! Foto: photocase/complize

D efiniere „Arbeit“: fremdbestimmtes Gewurschtel zugunsten des Kontostandes von Chef*innen und Aktionär*innen. Kein Wunder, dass viele darauf keine Lust haben.

Eine Studie der dänischen Firma Peakon will jedenfalls herausgefunden haben, dass sich fast ein Viertel aller deutschen Arbeitnehmer*innen frustriert zur Arbeit schleppt. Diese Meldung machte Anfang der Woche die Runde (als die meisten Leute noch tatsächlich normal auf Arbeit gingen).

Leider ist die Zahl ziemlich unglaubwürdig. Erstens: Peakon verdient sein Geld im Haupterwerb mit dem Verkauf digitaler Werkzeuge zur Steigerung des Mitarbeiterengagements. Also braucht es frustrierte Angestellte für sein Geschäftsmodell. Noch unglaubwürdiger aber ist, dass also über drei Viertel einigermaßen gern zur Arbeit gehen. Ernsthaft?

Haben die sich alle ihre Kindheitsträume von einer Beschäftigung in der Veterinärmedizin oder auf einer Dampflok erfüllt? Nee, die haben aber in den letzten 20 Jahren an einer Gallup-Langzeitstudie teilgenommen. Die kommt auf ein genaueres Ergebnis als die dänische: Nicht einmal ein Fünftel aller Arbeitnehmer*innen ist engagiert im Job dabei, die Unzufriedenheits­raten sind astronomisch hoch.

Null Bock

Zufriedenheit und Engagement wirken sich erheblich auf die Produktivität aus. Befindet sich die Mehrheit im kalten Teilzeitstreik per dauerhafter Verringerung der Arbeitsleistung, schmälert das Output und Profite. Ist halt der Kapitalismus, könnte man meinen. Die, die ihre Arbeitskraft zu Markte tragen müssen, versuchen dabei eben individuell den besten Deal abzuschließen.

Aber auch die Kosten für Arbeit­neh­mer*innen, die den Tag damit zubringen, auf fremde Rechnung möglichst wenig zu arbeiten, sind immens. Abstumpfende Gleichgültigkeit verringert den Selbstwert und mittelbar auch die Qualität der Freizeit. Null Bock, auch nach Feierabend.

Nun gäbe es Lösungsansätze – auch unterhalb der sozialistischen Revolution. Tarifliche Absicherung oder wenigstens Gehaltstransparenz wären Schritte zu höherer Identifikation mit Arbeitgeber*in und Tätigkeit. Oder echte Beteiligung. Nicht nur Coachings, wo Führungskräfte lernen, wie Mit­arbeiter*innen sich ernst genommen „fühlen“. Aber wahrscheinlich werden die Chefetagen wieder nur ein Produkt von Peakon kaufen oder eine Beratungsfirma mit Workshops beauftragen, die die Zufriedenheit der Mit­arbei­ter*innen steigern sollen. Na, viel Erfolg.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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8 Kommentare

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  • Man darf getrost im Hinterkopf behalten, dass man die "erste Generation" der Fabrikarbeiter gewaltsam in die Fabriken treiben musste.



    Selbst ein irre hoher Verdienst konnte nicht genug "Arbeitnehmer" in die Fabrikhallen locken.

    Und die aktuelle Entwicklung der Renten (Arbeiten bis 67) offenbart eine Riesenlüge:



    Die Durchschnittslebenserwartung hat um 15 % zugenommen - die Produktivität der Arbeinehmer (also das was der Chef an Arbeitsergebnis bekommt) aber um mehr als 100 %.



    Also müsste doch die Lebensarbeitszeit gesenkt werden.

  • Ich gehe auch gerne auf Arbeit. Wer seinen Job doof findet kann doch einfach wechseln. Und wer schon den dritten Scheissjob hat sollte mal über seine Entscheidungen nachdenken.

    • @Kristina:

      Ihre Lebensrealtät besitzt aber keine Allgemeingültigkeit.Es gibt auch Menschen die aufrund ihrer Biografie nicht die großen Möglichkeiten haben.

  • "Nun gäbe es Lösungsansätze – auch unterhalb der sozialistischen Revolution"

    Das habe ich mir immer wieder gewünscht. Als nüchterner, pragmatischer "Ingenieur" scheinen mir die Kosten einer Revolution fast prohibitiv.

    Aber.

    Wenn ich mir die Webseite der im Artikel auch erwähnten Firma Peakon [1] (das ist doch die, oder?) angucke, dann habe ich mittlerweile starke Zweifel, dass es ohne Revolution geht. Sehr starke.

    Ich hoffe immer noch inständig, dass es mit einer unblutigen geht.

    [1] peakon.com/

    • @tomás zerolo:

      wenn es keine globale konkurrenz um kapital und arbeit mehr gäbe könnte die arbeitszeit sofort bei vollem lohnausgleich reduziert werden.vier werktage und zwanzig stunden wären mehr als genug arbeit.



      ausserdem könnte die ganze präkarisierung der beschäftigungsverhältnisse rückgängig gemacht werden .es könnte einen hohen mindestlohn und geringere einkommensunterschiede geben



      und sogar eine abschaffung des arbeitszwanges durch ein grundeinkommen wäre möglich.

      die grundvorrausetzung dafür wäre aber die restauration der souveränität in einem europäischen bundesstaat ohne konkurrenz zwischen den bundesstaaten und die rigorose beendigung jedes freihandels .

      für den planeten wäre es gut wenn weniger gearbeitet würde.je mehr gearbeitet wird desto schneller und desto zwangsläufiger macht der markt die biospäre kaputt

    • @tomás zerolo:

      Ach ja -- nochwas:

      "Aber wahrscheinlich werden die Chefetagen wieder nur ein Produkt von Peakon kaufen oder eine Beratungsfirma mit Workshops beauftragen [...]"

      Das ist ein fehlerhaftes Verhaltensmuster ("anti-pattern"), das ich während meines Aufenthalts in einem grösseren Unternehmen als "redemption by tool" bezeichnet habe:

      auf "wir haben ein Problem" folgte sofort "welches Tool kaufen wir?".

      • @tomás zerolo:

        Danke, Werbung, dass du die, die an dich glauben, so konditioniert hast: Ich kaufe, also bin ich. Chef zum Beispiel, schön und/oder beliebt. Und jedenfalls reicher als meine Untergebenen, weswegen ich auch viel mehr kaufen kann, sodass ich immer schön werde und immer „beliebter“. Und natürlich (einfluss-)reicher. Etc. pp.

        Das, was wir jetzt haben, ist verdammt blutig erkauft worden im Laufe der Revolutionen von einst. Dass es jetzt dermaßen billig verschleudert wird, ist nicht einfach nur schade. Es macht auch wütend. Zu wütend für vernünftige Entscheidungen.

        Nein, die nächste Revolution wird, wenn sie denn herbeigezwungen wird von den herrschenden Ignoranten, auch wider nicht die Richtigen treffen. Jedenfalls nicht nur. Schade eigentlich.

        • @mowgli:

          "Danke, Werbung, dass du die, die an dich glauben, so konditioniert hast"

          Das ist das eine. Das andere, auch während der o.g. Zeit beobachtet habe -- wenn jene, die die Kaufentscheidung treffen nicht diese sind, die die ausbaden müssen.

          Ich meine mich zu erinnern, dass das bei Marx schon einen Namen hatte, ich weiss nicht mehr genau welchen.