Deutsche Zusammenarbeit mit Rosatom: Radioaktiv verseucht

Der Betreiber der Brennelementefabrik in Lingen kooperiert mit Russlands Atom­wirtschaft. Die mischt auch bei Bombenbau und im Ukrainekrieg mit.

Protest mit Schildern.

Protest vor der Brenn­ele­mente­fabrik ANF in Lingen im November 2022 Foto: Lars Klemmer/dpa/picture alliance

Mönchengladbach taz | Russlands Atomwirtschaft ist nun auch bei der Produktion von Brennelementen in Deutschland präsent. Dies berichtet das Portal umweltfair­aen­dern.de unter Berufung auf das niedersächsische Umweltministerium. Dieses habe dem Portal gegenüber bestätigt, dass der französische Betreiber Framatome und die russische TVEL, die zum staatlichen Atomkonzern Rosatom gehört, in Frankreich ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet haben, das in der Brennelementefabrik Lingen nuklearen Brennstoff produzieren soll.

Nach Informationen von umweltfair­aen­dern.de will Framatome nicht nur weiterhin Uranbrennstoff aus Russland importieren. Aktuell plane das Unternehmen auch den Export von angereichertem Uran­dioxid von Lingen über die Niederlande nach Russland. Für die Durchführung der geplanten Exporte ist die in Hanau ansässige Orano NCS (Nuclear Cargo Service) GmbH zuständig.

Entsprechende neue Genehmigungen für die Durchführung von Transporten per Lkw von der Lingener Brennelementefabrik Advanced Nuclear Fuels (ANF) über die Niederlande und weiter per Schiff zur MSZ Machinery Manufacturing Plant JSC in die 60 Kilometer von Moskau entfernte Kleinstadt Elektrostal liegen bereits vor, berichtet umweltfair­aen­dern.de. Es fehlt allerdings die Ausfuhrgenehmigung, die das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) erteilen muss. Dies sei nicht geschehen, bestätigte das Bafa auf Anfrage der taz.

Dass Elektrostal teilweise hoch verstrahlt ist, scheint in Lingen nicht bekannt zu sein. Im Umfeld der Atomfabrik von Elektrostal liegt die radioaktive Belastung um ein Vielfaches über den in Deutschland zulässigen Grenzwerten.

Belastung von über hundert Mikrosievert pro Stunde

Einer, der mit der MSZ Machinery Manufacturing Plant in Elektrostal vertraut ist, ist der russische Atomphysiker Andrej Oscharowski. Im Juni hatte er in einem Video seine Messergebnisse der radioaktiven Verseuchung um die Atomfabrik von Elektrostal öffentlich gemacht. So hatte er an einigen Stellen im Wald unweit der Atomfabrik von Elektrostal eine radioaktive Belastung von über 100 Mikrosievert pro Stunde gemessen.

Zum Vergleich: Der Grenzwert für die effektive Dosis zum Schutz von beruflich strahlenexponierten Personen beträgt laut deutschem Strahlenschutzgesetz 20 Millisievert im Kalenderjahr. „Angenommen, ich würde im Wald auf einem dieser Hotspots um die Atomfabrik von Elektrostal zelten“, erklärt Oscharowski der taz, „hätte ich diese 20 Millisievert bereits in hundert Stunden, also gut vier Tagen drauf.“

Gleichzeitig ist es für Oscharowski unverständlich, warum Russland angereichertes Uran aus dem Ausland brauche. Schließlich, so Oscharowski, habe Russland aktuell doch ausreichende Kapazitäten für die eigene Produktion von angereichertem Uran.

Framatome produziert für Russland

Dieser Deal zeigt auch, meint die ukrainische Atomexpertin Olga Koscharna, dass nun mit Framatome neben dem russischen TVEL und der US-amerikanischen Westinghouse ein dritter Player auf dem Weltmarkt für die Produktion von Brennstäben für russische WWER-Druckwasserreaktoren sei.

Und Framatome scheint offensichtlich, so Koscharna, von seinem russischen Partner eine Lizenz für die Baupläne und die Produktion von diesen Brennstäben erworben zu haben. Dies zeige, dass in einigen EU-Staaten eine Zusammenarbeit mit der russischen Atomwirtschaft Business as usual sei, man nicht gewillt sei, Sanktionen gegen Rosatom zu verhängen.

Wenig bekannt ist der Umstand, dass Russlands Atomwirtschaft fester Bestandteil der russischen Atomwaffenindustrie ist. Auch wenn Uran aus der Atomindustrie wegen seines Anreicherungsgrads von unter 5 Prozent nicht in Atomwaffen, wo eine Anreicherung von über 90 Prozent gegeben sein muss, eingesetzt werden kann, ist doch jede Zusammenarbeit mit der russischen Atomwirtschaft auch eine Stärkung der russischen Atomwaffenindustrie.

„Rosatom ist für die Produktion und die Instandhaltung der Einsatzbereitschaft der russischen Atomwaffen mitverantwortlich. Jede Verbindung, jeder Vertrag mit Rosatom, auch in scheinbar friedlichen Bereichen, stärkt Rosatom auch im militärischen Bereich“, so Oscharowski zur taz.

Rosatom ist eng verflochten mit der Atomwaffenindustrie

Aber auch abgereichertes Uran, das nach Angaben von Greenpeace von der im Münsterland gelegenen Fabrik Urenco 25 Jahre lang an Russland geliefert worden war, könnte in russischen Atomwaffen verwendet werden, sagt Oscharowski: „Einige nukleare Sprengsätze haben eine Art Hülle, die aus abgereichertem Uran besteht.“ Es sei nicht auszuschließen, dass dieses Uran aus Lieferungen von Deutschland stamme.

Als am 8. August 2019 auf einem militärischen Testgelände im nordrussischen Archangelsk ein Test einer nuklearen Unterwasserrakete fehlschlug, kamen auch fünf Experten von Rosatom ums Leben.

Die Anwesenheit von Rosatom-Vertretern bei dem Testen einer neuen Atomwaffe belegt eindrucksvoll die enge Verflechtung von Atomenergie und Atomwaffenrüstung in Russland. Auch nachdem russische Truppen Anfang März 2022 Europas größtes Atomkraftwerk, das ukrainische AKW Saporischschja in Enerhodar, mit militärischer Gewalt überfallen hatten, übernahm der Staatskonzern Rosatom im Anschluss die technische Aufsicht über das erbeutete AKW.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.