Deutsche Brennstäbe für russische AKW: Roter Teppich für den Kreml

Trotz AKW-Aus gibt es weiter Atomanlagen in Deutschland. Brennstäbe für Reaktoren russischer Bauart sollen künftig in Lingen produziert werden.

Demonstrant:innen mit Schildern und Fahnen

Protest an der Einfahrt zur Brennelementefabrik in Lingen im November 2022 Foto: Lars Klemmer/dpa/picture alliance

LINGEN taz | Kurz vor dem Aus für die drei letzten deutschen Atomkraftwerke an diesem Samstag nehmen Umweltschützer die noch betriebenen Atomanlagen ins Visier. Ihr Blick richtet sich vor allem auf die Brennelementefabrik „Advanced Nuclear Fuels“ (ANF) im niedersächsischen Lingen, die ebenso wie die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau vom Atomausstieg ausgeklammert ist.

Kürzlich war bekannt geworden, dass der französische Betreiber Framatome in Lingen ein Joint Venture mit TVEL, einer Tochter des russischen staatlichen Atomkonzerns Rosatom, vereinbart hat. Die zuletzt nicht ausgelastete Lingener Fabrik will künftig nämlich auch Brennstäbe für Atomreaktoren russischer Bauart produzieren. Ein entsprechender Antrag liegt dem niedersächsischen Umweltministerium als atomrechtlicher Genehmigungsbehörde vor.

Im Fall einer Genehmigung der neuen Produktionsanlagen werden voraussichtlich auch russische Atomspezialisten in die Brennelementefabrik kommen und dort mitarbeiten. Das hat das Umweltministerium in Hannover jetzt bestätigt.

Es sei vorgesehen, dass „voraussichtlich Mitarbeiter der russischen Firma TVEL (in Lingen) unterstützend tätig werden“, heißt es in einem Schreiben des Ministeriums an das Bündnis Atom­kraft­geg­ne­r*in­nen im Emsland (AgiEL). Der Brief liegt der taz vor.

Zugang zu kerntechnischer Infrastruktur in Deutschland

Bündnis-Sprecher Alexander Vent hält diese Information für „alarmierend“. Personen, die in ihrer Funktion direkt dem Kreml unterstellt seien, erhielten Zugang zu hochsensibler kerntechnischer Infrastruktur in Deutschland – „ungeachtet der kriegerischen Übernahme des AKW Saporischschja durch Experten von Rosatom, ungeachtet jetzt schon der von vielen EU-Ländern geforderten Handelssanktionen gegen Russland auch im atomaren Bereich, ungeachtet des noch immer währenden russischen Angriffskriegs auf die Ukraine“, ärgert sich Vent.

„Für uns ist das eine dramatische Entwicklung, die einmal mehr aufzeigt, wie sehr wir uns mit dem Joint-Venture zwischen Rosatom und Framatome in eine weitere Abhängigkeit von den geopolitischen Interessen des Kremls begeben“, so Vent zur taz.

In der internationalen Atomindustrie gebe es offenbar keinerlei Skrupel, den russischen Aggressor zur Wahrung der eigenen Interessen auch wirtschaftlich zu unterstützen. „In ganz Europa wird der Handel mit Russland sanktioniert, viele Länder fordern Sanktionen auch im atomaren Bereich, und hier in Lingen rollt man dem Kreml nun den roten Teppich aus!“

„Es ist ein absoluter Skandal, dass es denkbar ist, ein Jahr nach Beginn des brutalen völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hier in Deutschland eine russisch-französische Atomkooperation zu beherbergen, die gemeinsam Brennelemente für AKW herstellt“, kritisiert auch die Vorsitzende der Ärzteorganisation IPPNW, Angelika Claußen. Die niedersächsische und bundesdeutsche Politik hätten es in der Hand, dem einen Riegel vorzuschieben. Letztlich müsse die Brennelementefabrik in Lingen ganz stillgelegt werden – „sonst bleibt der deutsche Atomausstieg eine Mogelpackung“.

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