Deutsche Rüstungsexporte: Weniger versprochen, mehr geliefert
Die schwarz-rote Regierung hat sich selbst übertroffen: Die deutschen Rüstungsexportgenehmigungen sind auf ein Allzeithoch gestiegen.
Keine zwei Jahre später sind das nur noch hübsche Worte fürs politische Poesiealbum. Die Realität sieht anders aus, wie aus den Antworten des Wirtschaftsministeriums auf Anfragen der Abgeordneten Sevim Dağdelen (Linkspartei) und Omid Nouripour (Grüne) hervorgeht, die der taz vorliegen.
Danach genehmigte die Bundesregierung in diesem Jahr – Stand 15. Dezember – Rüstungsexporte im Wert von insgesamt mehr als 7,95 Milliarden Euro. Damit wurde bereits vor Jahresende ein neues Allzeithoch erreicht. Die bisherige Rekordmarke aus dem Jahr 2015 lag bei „nur“ 7,86 Milliarden Euro. Nicht berücksichtigt sind dabei Sammelausfuhrgenehmigungen, die in 2019 auch noch mal mit mindestens rund einer halben Milliarde zu Buche schlagen dürften.
An der Spitze der Empfängerländer steht das EU- und Nato-Mitglied Ungarn. Dessen rechtsnationalistische Regierung Viktor Orbáns, die derzeit massiv aufrüstet, kann sich über genehmigte Lieferungen in Höhe von 1,77 Milliarden Euro freuen.
Etwa 3,51 Milliarden Euro entfallen auf sogenannte Drittländer – eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um fast 1 Milliarde. Welche Rüstungsgüter konkret genehmigt wurden, geht aus den Schreiben der Regierung nicht hervor.
Unter den zehn wichtigsten Empfängerländern befinden sich gleich fünf Drittländer. Darunter sind mit Ägypten (802 Millionen) auf Platz 2 und den Vereinigten Arabischen Emiraten (207 Millionen Euro) auf Platz 9 auch zwei Gründungsmitglieder der von Saudi-Arabien geführten Kriegsallianz im Jemen, die dort gegen die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen kämpft. In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und SPD noch angekündigt: „Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.“
Kaum minder fragwürdig erscheinen die genehmigten Rüstungsexporte an Algerien (238 Millionen Euro/Platz 7), Katar (223 Millionen Euro/Platz 8) und Indonesien (201 Millionen Euro/Platz 10). Alle drei Staaten zeichnen sich durch eine problematische Menschenrechtssituation aus. Gleichwohl versichert Wirtschaftsstaatssekretär Ulrich Nußbaum in seiner Antwort an die Linksparteilerin Dağdelen: „Die Beachtung der Menschenrechte im Empfängerland spielt bei der Entscheidungsfindung eine hervorgehobene Rolle.“
Dağdelen stellt der Regierung ein schlechtes Zeugnis aus: „Das ganze Gerede von einer restriktiven Rüstungsexportpolitik fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen“, konstatierte die Linksparlamentarierin. Besonders der Anstieg der Exporte in Krisenländer, Spannungsgebiete und kriegführende Staaten sei besorgniserregend. „Wir brauchen jetzt endlich klare, gesetzliche Verbote von Waffenexporten“, forderte Dağdelen.
Warum die Rüstungsgenehmigungen in diesem Jahr auf einen solch hohen Wert gestiegen sind, sei „nach all den Ankündigungen einer restriktiveren Exportpolitik kaum zu erklären“, sagte die Grüne Katja Keul der taz. „Wir brauchen endlich ein Rüstungsexportkontrollgesetz, das die Bundesregierung verpflichtet, eine außen- und sicherheitspolitische Begründung für ihre Entscheidungen zu liefern“, forderte die Sprecherin für Abrüstungspolitik der grünen Bundestagsfraktion.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott