Deutsche Asypolitik: Sichere Herkunftsstaaten? Einfach per Dekret!
Die Regierung will Abschiebungen erleichtern und Länder künftig per Verordnung als unbedenklich einstufen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren das.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte, mit dem Beschluss setze die Bundesregierung die „Asylwende“ weiter um. Implizit richtet sich der Entwurf vor allem gegen die Landesregierungen mit grüner Beteiligung. Sie hatten im Bundesrat immer wieder Einstufungen von Staaten blockiert. Das Grundgesetz schreibt in Artikel 16 a vor, dass die Einstufung „sicherer Herkunftsstaaten“ durch ein Gesetz erfolgen muss, „das der Zustimmung des Bundesrates bedarf“.
Um das zu ändern, fehlt der Bundesregierung die nötige Zweidrittelmehrheit. Der neue Gesetzentwurf umgeht die Vorgabe im Grundgesetz aber einfach, indem er eine zweite Liste „sicherer Herkunftsländer“ schafft. Die soll nicht auf dem Grundgesetz basieren, sondern auf EU-Recht, wo ebenfalls das Konzept so eingestufter Staaten existiert. Um ein Land auf diese neue Liste zu setzen, wird dann eine Rechtsverordnung reichen. Besonders praktisch: Der Bundesrat muss dem Gesetzentwurf über seine Teilentmachtung nicht einmal zustimmen.
Am Ende könnten allerdings absurde Szenen drohen, wenn Geflüchtete per Flugzeug kommen und deshalb Anspruch auf Asyl nach dem Grundgesetz geltend machen können. Sie würden wohl der alten Liste unterliegen. Wer über Land kommt, hat seit 1993 kein Anrecht auf Schutz nach dem Grundgesetz mehr und ist deshalb auf internationalen Schutz, etwa nach der Genfer Flüchtlingskonvention, angewiesen. Hier würde dann die neue Liste gelten. Ist das Herkunftsland nur nach einer der beiden Liste ein sogenannter sicherer Herkunftsstaat, könnte das dazu führen, dass die Chancen auf Schutz je nach Einreiseweg dramatisch schwanken.
Verfassungswidrig und Gefährlich
Die deutschen Behörden gehen prinzipiell davon aus, dass in den eingestuften Ländern keine Verfolgung oder Ähnliches droht. Nachzuweisen, dass die persönliche Situation von der angenommenen allgemeinen Lage abweicht, ist sehr schwer, fast alle Anträge werden als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Das schränkt auch Möglichkeiten ein, juristisch gegen die Entscheidung vorzugehen.
Nicht festgeschrieben ist im neuen Gesetzentwurf, welche konkreten Länder eingestuft werden sollen. Bislang sind insgesamt 28 Staaten gelistet, darunter alle EU-Länder, aber auch die Balkanstaaten genauso wie etwa Senegal, Ghana oder Georgien. Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD bereits angekündigt, Marokko, Algerien, Tunesien und Indien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären. Menschenrechtsorganisationen warnen, dass insbesondere in den genannten drei Maghrebstaaten vulnerablen Gruppen sehr wohl Verfolgung drohe, etwa queeren Personen. ProAsyl betonte zudem, dass mit der Umgehung von Bundestag und Bundesrat auch die öffentliche Debatte abgewürgt werden könne.
Neben den „sicheren Herkunftsländer“ beschloss das Kabinett am Dienstag auch noch, den verpflichtenden Rechtsbeistand für Abzuschiebende zu streichen. Auch hierüber sind Menschenrechtsorganisationen entsetzt. Die Ampel hatte die automatische Unterstützung durch Anwält*innen erst im Herbst 2024 eingeführt. Regierungssprecher Stefan Kornelius sagte auf Nachfrage der taz, dass man explizit darauf abziele, Abschiebungen zu erleichtern. Die geltende Rechtslage sei eine „große Mehrbelastung der Justiz“.
Die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Helge Limburg weckt aber Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Gesetzentwurfs – selbst wenn man dessen grundsätzliches Ziel gutheißt. Man habe „keine Kenntnisse darüber, ob und gegebenenfalls wie häufig sich eine anwaltliche Vertretung auf die Durchführung einer Abschiebung zeitlich auswirkt“, heißt es in dem Dokument, das der taz exklusiv vorliegt.
Limburg, der auch rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, sagte der taz: „Es gibt keinen einzigen belegten Fall, in dem der Pflichtanwalt eine rechtmäßige Abschiebung verhindert hätte.“ Es müsse „selbstverständlich sein, dass Menschen in Haft ein Anwalt an die Seite gestellt wird“. Und Limburg zog eine Parallele zu dem „beschämenden Umgang dieser Regierung mit gerichtlichen Entscheidungen in Asylsachen zu Beginn dieser Woche“.
Gemeint ist die Reaktion von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Kanzler Friedrich Merz (CDU) auf einen Gerichtsbeschluss, der die Zurückweisung von drei Asylsuchenden für unrechtmäßig erklärt hatte. Obwohl der Fall die Zurückweisung insgesamt infrage stellt, hatten Merz und Dobrindt angekündigt, die Praxis weiterlaufen zu lassen.
Es war nur der letzte Schritt in einer ganzen Reihe von drastischen Entscheidungen der neuen Bundesregierung in der Asyl- und Einwanderungspolitik. Letzte Woche hatte das Kabinett bereits einen Gesetzentwurf beschlossen, der den Familiennachzug für subsidiär geschützte Geflüchtete vorerst aussetzen soll. Außerdem sollen die erst 2024 eingeführten schnelleren Einbürgerungen für besonders gut integrierte Ausländer wieder gestrichen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eklat wegen Palästina-Shirt im Bundestag
Schockiert doch mal!
Trotz widersprüchlicher Aussagen
Vermieter mit Eigenbedarfsklage erfolgreich
Greta Thunbergs Soli-Aktion mit Gaza
Schräger Segeltörn
Streit zwischen Trump und Musk eskaliert
Schlammschlacht statt Bromance
Bundeswehr an Schulen
Der Druck auf die Jugend wächst
Merz im Oval Office
Morgen kann in Trumps Welt alles anders sein