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Deutsche AsypolitikSichere Herkunftsstaaten? Einfach per Dekret!

Die Regierung will Abschiebungen erleichtern und Länder künftig per Verordnung als unbedenklich einstufen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren das.

Neue Härte in der Asylpolitik: Teil eines Einsatzes wegen temporärer Grenzkontrollen zwischen Niedersachsen und den Niederlanden Foto: Lars Penning/dpa

Berlin taz | Das Kabinett hat weitreichende Verschärfungen bei der Einstufung angeblich „sicherer Herkunftsländer“ auf den Weg gebracht. Nach dem beschlossenen Entwurf soll dafür künftig eine Rechtsverordnung der Bundesregierung genügen. Bundestag und Bundesrat wären von der Entscheidung ausgeschlossen. Geflüchtete aus so eingestuften Staaten haben fast keine Chance auf Schutz in Deutschland.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte, mit dem Beschluss setze die Bundesregierung die „Asylwende“ weiter um. Implizit richtet sich der Entwurf vor allem gegen die Landesregierungen mit grüner Beteiligung. Sie hatten im Bundesrat immer wieder Einstufungen von Staaten blockiert. Das Grundgesetz schreibt in Artikel 16 a vor, dass die Einstufung „sicherer Herkunftsstaaten“ durch ein Gesetz erfolgen muss, „das der Zustimmung des Bundesrates bedarf“.

Um das zu ändern, fehlt der Bundesregierung die nötige Zweidrittelmehrheit. Der neue Gesetzentwurf umgeht die Vorgabe im Grundgesetz aber einfach, indem er eine zweite Liste „sicherer Herkunftsländer“ schafft. Die soll nicht auf dem Grundgesetz basieren, sondern auf EU-Recht, wo ebenfalls das Konzept so eingestufter Staaten existiert. Um ein Land auf diese neue Liste zu setzen, wird dann eine Rechtsverordnung reichen. Besonders praktisch: Der Bundesrat muss dem Gesetzentwurf über seine Teilentmachtung nicht einmal zustimmen.

Am Ende könnten allerdings absurde Szenen drohen, wenn Geflüchtete per Flugzeug kommen und deshalb Anspruch auf Asyl nach dem Grundgesetz geltend machen können. Sie würden wohl der alten Liste unterliegen. Wer über Land kommt, hat seit 1993 kein Anrecht auf Schutz nach dem Grundgesetz mehr und ist deshalb auf internationalen Schutz, etwa nach der Genfer Flüchtlingskonvention, angewiesen. Hier würde dann die neue Liste gelten. Ist das Herkunftsland nur nach einer der beiden Liste ein sogenannter sicherer Herkunftsstaat, könnte das dazu führen, dass die Chancen auf Schutz je nach Einreiseweg dramatisch schwanken.

Verfassungswidrig und Gefährlich

Die deutschen Behörden gehen prinzipiell davon aus, dass in den eingestuften Ländern keine Verfolgung oder Ähnliches droht. Nachzuweisen, dass die persönliche Situation von der angenommenen allgemeinen Lage abweicht, ist sehr schwer, fast alle Anträge werden als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Das schränkt auch Möglichkeiten ein, juristisch gegen die Entscheidung vorzugehen.

Nicht festgeschrieben ist im neuen Gesetzentwurf, welche konkreten Länder eingestuft werden sollen. Bislang sind insgesamt 28 Staaten gelistet, darunter alle EU-Länder, aber auch die Balkanstaaten genauso wie etwa Senegal, Ghana oder Georgien. Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD bereits angekündigt, Marokko, Algerien, Tunesien und Indien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären. Menschenrechtsorganisationen warnen, dass insbesondere in den genannten drei Maghrebstaaten vulnerablen Gruppen sehr wohl Verfolgung drohe, etwa queeren Personen. ProAsyl betonte zudem, dass mit der Umgehung von Bundestag und Bundesrat auch die öffentliche Debatte abgewürgt werden könne.

Neben den „sicheren Herkunftsländer“ beschloss das Kabinett am Dienstag auch noch, den verpflichtenden Rechtsbeistand für Abzuschiebende zu streichen. Auch hierüber sind Menschenrechtsorganisationen entsetzt. Die Ampel hatte die automatische Unterstützung durch An­wäl­t*in­nen erst im Herbst 2024 eingeführt. Regierungssprecher Stefan Kornelius sagte auf Nachfrage der taz, dass man explizit darauf abziele, Abschiebungen zu erleichtern. Die geltende Rechtslage sei eine „große Mehrbelastung der Justiz“.

Die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Helge Limburg weckt aber Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Gesetzentwurfs – selbst wenn man dessen grundsätzliches Ziel gutheißt. Man habe „keine Kenntnisse darüber, ob und gegebenenfalls wie häufig sich eine anwaltliche Vertretung auf die Durch­führung einer Abschiebung zeitlich auswirkt“, heißt es in dem Dokument, das der taz exklusiv vorliegt.

Limburg, der auch rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, sagte der taz: „Es gibt keinen einzigen belegten Fall, in dem der Pflichtanwalt eine rechtmäßige Abschiebung verhindert hätte.“ Es müsse „selbstverständlich sein, dass Menschen in Haft ein Anwalt an die Seite gestellt wird“. Und Limburg zog eine Parallele zu dem „beschämenden Umgang dieser Regierung mit gerichtlichen Entscheidungen in Asylsachen zu Beginn dieser Woche“.

Gemeint ist die Reaktion von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Kanzler Friedrich Merz (CDU) auf einen Gerichtsbeschluss, der die Zurückweisung von drei Asylsuchenden für unrechtmäßig erklärt hatte. Obwohl der Fall die Zurückweisung insgesamt infrage stellt, hatten Merz und Dobrindt angekündigt, die Praxis weiterlaufen zu lassen.

Es war nur der letzte Schritt in einer ganzen Reihe von drastischen Entscheidungen der neuen Bundesregierung in der Asyl- und Einwanderungspolitik. Letzte Woche hatte das Kabinett bereits einen Gesetzentwurf beschlossen, der den Familiennachzug für subsidiär geschützte Geflüchtete vorerst aussetzen soll. Außerdem sollen die erst 2024 eingeführten schnelleren Einbürgerungen für besonders gut integrierte Ausländer wieder gestrichen werden.

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8 Kommentare

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  • Die Trumpisierung, also Autokratisierung, Deutschland geht weitern. Wer immer noch denkt, die dU (C ist nicht und D schreiben sie sehr klein) sei eine demokratische Partei der "Mitte", der müsste so langsam endlich merken, dass die Unterschiede zur Alternative für Demokratie (AfD) immer kleiner werden.

    Zur menschenrechtsverachtenden Politik inhaltlich braucht man bei dieser AfD Politik, die die dU exekutiert, schon lange nichts mehr zu sagen. Das ist übrigens auch nicht neu. Die dU hatte schon in den 90ern, also bevor es eine AfD gab, erfolgreich versucht, mit Beihilfe der sPD das Menschenrecht auf Asyl im Grundgesetz zu schreddern.

    Und wer denkt, die dU würde sich nach rechts beugen, um der AfD Stimmen zu stehlen, oder gar um gegen sie politisch vorzugehen, der irrt genauso. Was die dU da unter Merz/Spahn/Dobrinth und den anderen Menschenfeinden plant, ist einfach ihre politische Meinung. Sie würden das auch tun, wenn es keine AfD oder eine andere rechtsradikale Partei gäbe. Dem kleinen sauerländischen Pascha und Sozialtouristen schlüpft wegen seiner fehlenden Impulskontrolle ja immer mal wieder öffentlich heraus, was er wirklich denkt.

  • Egal, was die gewählten Herrschaften von CXU an Agd-Maßnahmen ergreifen,



    Es ist einfach UNMENSCHLICH 🤮🤮🤮

  • Bei uns haben sie auch ihre "Sprungkontrollen" durchgezogen. 7 Nebenstraßen je eine halbe Stunde mit dem Erfolg 1 Person "aufgegriffen" bzw. zurück über die Grenze geschickt zu haben (und neun Anzeigen wegen Kleinstdelikte, damit es sich in der Pressemeldung nicht komplett lächerlich liest)

  • Der Bundesrat ist dazu da über Angelegenheiten der Bundesländer zu entscheiden. Wenn jetzt die Bundesregierung entscheidet das Zb. Indien und Marokko sichere Staaten sind, müssen die Bundesländer niemand dahin abschieben. Der Bundesrat ist also nicht dazu da Bundesgesetze zu blockieren die die Bundesländer nicht benachteiligen.

    Übrigens ist die Türkei für Deutschland ein sicherer Staat, aber Marokko nicht.

  • "Werdet sie los. Egal wie." Deutsche Bürokratie in a nutshell.

  • "Geflüchtete aus so eingestuften Staaten haben fast keine Chance auf Schutz in Deutschland."

    Welcher Statistik kann man das entnehmen? Aus der Statistik des BAMF geht das z. B. nicht hervor.

    Das Konzept der sicheren Herkunftsländer dient in erster Linie als Abschreckung. Es soll die Personen fernhalten, die eventuell aus einer anderen Motivation heraus, als es die politische Verfolgung ist, ihr Heimatland in Richtung Europa verlassen wollen.

    Und noch ein Hinweis, in der EU gibt es ein individuelles Asylrecht. Bedeutet, jedes Asylgesuch wird individuell geprüft. Und zwar unabhängig davon, ob die Person aus einem sicheren Herkunftsland kommt oder nicht.

    Der Mythos, das die Unterscheidung der Herkunftsländer ausschlaggebend für die Anerkennung des Gesuchs ist, wird von Seiten einiger NGOs seit Jahren



    hartnäckig gepflegt.

    Und auch für vulnerable Gruppen aus den Magrehbstaaten ändert sich daher nichts, wenn ihnen in ihrer Heimat politische Verfolgung droht, können sie hier um Asyl ersuchen.

    In diesem Zusammenhang davon zu sprechen, dass je nach Form der Einreise die Chancen auf Asyl "dramatisch schwanken" ist dann doch etwas sehr weit hergeholt.

  • Das Asylrecht ist ein Individualrecht und erfordert eine Einzelfallprüfung. Mit der Einführung der Kategorie „sicherer Herkunftsländer“ hat die Schlange des liberalen Individualismus die Maske der Rechtsstaatlichkeit abgelegt und beißt sich ganz offen in den Rattenschwanz des eigenen Nationalismus: Menschenrechte gelten nur für die, die dazugehören und für die, die sich ihr Rechte verdient haben. Darüber entscheiden die Hüter ihres eigenen, exklusiven Rechts. Schwarz-rot macht da weiter, wo vorherige Regierungen kräftig vorgearbeitet haben: Die Zementierung eines universellen Sozialdarwinismus im Mantel des Nationalliberalismus. „Möge die Stärksten immer gewinnen!“

  • Jeder Asylbewerber aus einem sicheren Herkunftland erhält genauso die Gelegenheit wie jeder andere in einer persönlichen Anhörung glaubhaft darzulegen dass sie oder er eine begründete Furcht vor persönlicher Verfolgung im Herkunftsland haben muss. Der Grund dass Menschen aus dem Kosovo, Tunesien oder Indien um mal drei der sieben Staaten auf der Liste zu nennen praktisch nie die Flüchtlingseigenschaft erhalten liegt schlicht und einfach daran es sich um Migranten und nicht um Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention handelt. Auch unbegründete Asylanträge von Menschen aus anderen Herkunftsländern können zudem als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden wenn eine der Tatbestandsvorrausetzungen in Par.30 AsylG in ihrem Fall vorliegt.