Deutsch-iranischer Frauenfußball: Überall dieselben Macho-Sprüche
Vor zehn Jahren spielten für die Doku „Football Under Cover“ in Teheran deutsche gegen iranische Fußballerinnen. Jetzt gab es das Rückspiel.
Es war das erste Tor einer iranischen Frauenfußballmannschaft in Deutschland – und es hatte die vielleicht längste Vorgeschichte, die ein Tor je hatte. Als die iranische Stürmerin im Willy-Kressmann-Stadion in Berlin-Kreuzberg unter dem Jubel der Zuschauer den Ball über die gegnerische Torhüterin ins Netz lupfte, war das die Fortsetzung einer Geschichte, die vor über zehn Jahren begann.
2006 zeigte die Dokumentation „Football Under Cover“, wie die deutschen Geschwister Assmann und ihr iranischer Freund Ayat Najafi mit ihrem Kreuzberger Verein BSV Al-Dersimspor darum kämpften, eine historische Partie austragen zu dürfen: ein Fußballspiel gegen die iranische Frauennationalelf.
In der Geschichte der Islamischen Republik Iran hatte es ein solches Spiel vor Publikum noch nie gegeben. Frauenfußball fand, wenn überhaupt, im Verborgenen statt, mit sorgfältig ganzkörperverpackten Spielerinnen hinter blickdichten Zäunen.
Dass die Iranerinnen mittlerweile regelmäßig Freundschaftsspiele austragen und sogar in Qualifikationsspielen antreten, war eine direkte Folge jenes Spiels. „Die Partie hat enorm geholfen“, sagt Spielerin Niloofar Basir, die schon damals in der Dokumentation eine prominente Rolle spielte. „Wir machen große Schritte nach vorn.“ Trotzdem war die Organisation des Rückspiels ein zehn Jahre währender Kraftakt: Zweimal durften die Iranerinnen nicht anreisen; und auch diesmal ist nicht die iranische Nationalelf angetreten, sondern „Yaran Hejazi“, Niloofar Basirs ehemaliges Team. An der Symbolkraft des Spiels ändert das jedoch nichts.
Auf Nachfrage, ob sie sich beim Sprechen mit der Presse frei fühle, erwidert Basir: „Ich muss aufpassen, was ich sage.“ Im Film „Football Under Cover“ war das anders. Damals sprach sie offen: über die Heuchelei, die das iranische System Frauen abverlange, über Ungleichheit, Unterdrückung. „Ich mache, was ich will“, erklärte die damals 21-Jährige selbstbewusst, ließ sich sogar dabei filmen, wie sie als Junge verkleidet im Park kickte. So viel Courage hatte ihren Preis: Als das Spiel 2006 schließlich stattfand, wurde sie unter einer seltsamen Begründung nicht berücksichtigt: Sie sei zu dünn, hieß es von den Verantwortlichen in Teheran.
Heute äußert sie sich lieber nicht politisch. Und auch sportlich nicht besonders. Denn seit sieben Jahren spielt Niloofar Basir, heute 31, keinen Fußball mehr, auch nicht in der Freizeit. Sie habe sich „auf andere Dinge konzentrieren“ wollen, sagt sie. Und verteilt weiter Fähnchen an die vielen Exiliraner, die gekommen sind, um die Mannschaft anzufeuern.
Frauen stören
Das surreale System aus Zensur und Selbstzensur im Iran machte die Dokumentation „Football Under Cover“ in ihren besten Momenten eindringlich sichtbar. Während der Partie 2006 zeigt die Kamera, wie Frauen im Stadion „Wir haben nur die Hälfte der Rechte“ skandieren. Daraufhin schwärmen Sittenwächterinnen aus, um die Frauen zum Schweigen zu bringen.
Auch das war wohl ein Fall von Selbstzensur: „Die Frau, die damals die Sittenwächterinnen aufgerufen hat, war unsere größte Unterstützerin“, erinnert sich Marlene Assmann, eine der Schwestern, die im Film als Erzählerin auftritt. „Aber der Druck von oben war so groß, dass sie, wohl aus Sorge, so streng gehandelt hat. Sie dachte, sonst würde es nie mehr ein Spiel geben.“
Dass die Assmann-Geschwister so hartnäckig dafür kämpften, den Iranerinnen Spiele zu ermöglichen, hatte nicht nur einen politischen, sondern auch einen persönlichen Hintergrund. Die Schwestern Marlene, Valerie und Corinna haben alle drei von klein an im Fußballverein gespielt. „Wir waren die einzigen Mädchen“, so Valerie Assmann. „Und wir haben die Erfahrung gemacht, nie dazuzugehören, immer Mädchen zu sein.“ Wenn sie als Kind mit dem Ball unter dem Arm in den Park gegangen sei, habe das für die Leute etwas Störendes gehabt.
Als die Schwestern durch ihren Freund Ayat Najafi von der Lage der Iranerinnen erfahren, kommt ihnen vieles davon bekannt vor: Die Macho-Sprüche, die Rollenbilder, der ständige Kampf um Anerkennung. „Es ist das gleiche Bild, im Iran ist es nur deutlicher“, so Valerie Assmann. „Was in Deutschland unterschwellig passiert, ist dort die Regel.“ Der Plan, iranischen Spielerinnen eine offizielle Partie vor Publikum zu ermöglichen, wird zu einer Mission, die nicht mehr nur mit Fußball zu tun hat: „Das Projekt war ganz stark politisch motiviert. Frauenfußball hat immer eine politische Komponente.“
Bei den deutschen Medien hingegen kam allem Anschein nach nur ein Teil der Botschaft an: die Geschichte von den fortschrittlichen deutschen Spielerinnen, die den unterdrückten Frauen im Iran das Fußballspielen ermöglichen – so der Jubeltenor vieler Artikel. Der kleinste gesellschaftlicher Nenner, auf den sich fast jeder einigen kann.
Eine bittere Pointe
Diese Fürsorglichkeit für die Iranerinnen hat etwas Skurriles: Medien, die die deutsche Frauen-Bundesliga mit kaum einer Zeile beachten, stürzen sich auf die missachteten Iranerinnen und prangern fehlende Gleichstellung an. Dass es auch hierzulande völlig selbstverständlich keine Trainerin oder Managerin in der Männer-Bundesliga gibt? Dass kaum Frauen in den Fußballgremien sitzen? Dass sich die meisten Frauenvereine für eine Handvoll Euro vor leeren Rängen abstrampeln, wenn sie überhaupt überleben? Geschenkt.
Und auch am Mittwoch erlebte, wer genau hinschaute, eine bittere Pointe: Denn die Deutschen, die damals im Iran spielten, traten dieses Mal nicht mehr in der alten Teamkluft an: Die Frauenabteilung des BSV Al-Dersimspor gibt es nämlich nicht mehr. „Es gab zu wenig Unterstützung dafür im Verein“, sagt Valerie Assmann. Die Abteilung, die damals in den Iran fuhr, wurde aufgelöst.
Auch die Iranerinnen kämpfen offenbar mit neuen Schwierigkeiten. Seit der Grünen Revolution 2009 sei die Lage für Fußballerinnen wieder schlechter geworden, sagt Valerie Assmann. „Früher konnten die Frauen zumindest in der Halle unverhüllt spielen.“ Im Jahr 2009 habe sich das geändert; Frauenfußball werde seitdem wieder unpopulärer. Und Spiele hingen für die Frauen weiterhin am seidenen Faden. „Man weiß nie, wo der Gegenwind herkommt“, sagt Zwillingsschwester Marlene Assmann. „Das System ist undurchsichtig. Man hört bei Absagen keine Gründe.“
Anpfiff zum Finale des „Discover Football“-Turniers ist am Sonntag um 18.45 Uhr im Berliner Willy-Kressmann-Stadion. Der Eintritt ist frei. Weitere Termine unter www.discoverfootball.de
Von den Hindernissen aber lassen sich die Assmann-Geschwister und ihre MitstreiterInnen nicht aufhalten. Die Absagen 2007 und 2010 wurden zur Motivation, sich noch mehr einzusetzen, und aus der Enttäuschung wuchs ein neues Projekt: „Discover Football“, eine NGO, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzt. Die mittlerweile rund 20 AktivistInnen veranstalten Konferenzen, Seminare – und natürlich Turniere, wie das „Discover Football Festival“, das seit 2010 einmal im Jahr in Berlin stattfindet und sich an Frauenteams aus aller Welt richtet.
„Wir haben gedacht, wenn ein Team nicht anreist, fällt das Event dann zumindest nicht ganz aus“, so Marlene Assmann. Beim diesjährigen Turnier, das noch bis zum 4. September geht, spielen neben Iranerinnen unter anderem junge Frauen aus Afghanistan, Palästina, Kenia, dem Sudan und der Türkei mit – allerdings nicht in nationalen, sondern in gemischten Teams.
Dass die Iranerinnen ihre Premiere in Berlin schließlich mit 2:4 verloren, war unwichtig. Hauptsache, anreisen. Und eine von ihnen wird sogar bleiben: Niloofar Basir lebt seit Kurzem in Berlin und studiert in Potsdam Informatik. Warum sie aus dem Iran weggegangen ist, dazu will sie nichts sagen.
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