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Deutsch-französisches VerhältnisMehr Schein als Sein

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Macron und Scholz bemühen sich beim Élysée-Jahrestag um Harmonie. Nur: Für die deutsch-französische Freundschaft braucht es mehr als das.

Die Form scheint zu stimmen. Wie steht es mit dem Inhalt? Emanuel Macron und Olaf Scholz am Sonntag Foto: Benoit Tessier/dpa

E inen gemeinsamen Jahrestag feiern, das können Olaf Scholz und Emmanuel Macron allemal. Der Rahmen der altehrwürdigen Sorbonne-Universität passt bestens zum Anlass. Die geladenen Zuhörer*innen, darunter hauptsächlich Mi­nis­te­r*in­nen und Abgeordnete der beiden Länder, machen ernste Mienen und applaudieren in Nuancen von höflich bis begeistert. Die Form scheint zu stimmen. Wie steht es mit dem Inhalt?

Nach den großen Phrasen wirkten die Beschlüsse und Ankündigungen der historischen Bedeutung dieses Jubiläums nicht angemessen. Die Feier blieb in der Geschichte stecken. Den beiden Hauptrednern fiel es doch schwer, die Brücke aus der Vergangenheit der deutsch-französischen Versöhnung in die Gegenwart zu schlagen.

In der Energiekrise und im Kampf gegen die Inflation wurde deutlich, wie sehr nationale Interessen weiterhin in der Tagespolitik wichtiger sind als die bilaterale Solidarität. Das zu übersehen, wäre naiv. Macron und Scholz rangen regelrecht nach Formulierungen, um den anderen nicht zu brüskieren. So wird der Anschein erweckt, dem Partner wenigstens verbal ein bisschen entgegenzukommen, ohne de facto von der eigenen, nationalen Position abzurücken. Die eigentliche Botschaft war: Wir reden wieder miteinander!

Und doch bleiben Zweifel am ehrlichen Willen zur Abstimmung – in beiden Ländern. Französische Medien zitierten „Stimmen aus der Staatsführung“, denen zufolge die Koalition in Berlin als „bordel“ bezeichnet wird. Zu selten bestünden klare einheitliche Positionen der drei Koalitionsparteien. Das erweckt in Paris den Eindruck der Unentschlossenheit. Aber umgekehrt kaschieren Macrons ehrgeizige „Visionen“ für Europas Zukunft oft die eigene Unfähigkeit, kleine Schritte zu tun, um seine Versprechen zu erfüllen.

Mehr denn je ist die deutsch-französische Freundschaft die Aufgabe einer neuen Generation. Die Ankündigung, dass jährlich 30.000 junge Menschen aus Deutschland und Frankreich kostenfrei mit der Bahn einander besuchen dürfen, ist ein wichtiges Signal. „Paris–Berlin: Der Zug rollt wieder“, schrieb eine Sonntagszeitung hoffnungsfroh. Weil sich die beiden „Lokführer“ über Richtung, Tempo und Fahrplan noch längst nicht geeinigt haben, kommt aber der EU-Zug vorderhand nicht vom Fleck.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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2 Kommentare

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  • J'aime le français

    Nur gute Freundschaften überstehen auch schlechtes Wetter und Gewitter.



    Der Élysée-Vertrag war meines Erachtens der beste Vertrag für Deutschland nach dem 2.ten Weltkrieg.



    Die EWG war auch gut, aber diese (Betonung aus diese) EU wird mehr und mehr zum Problem, statt zum Nutzen.

  • da kollidieren zwei Politikstile. Die klare Ansage in Paris, wir machen das jetzt so (inkl. der Möglichkeit zu scheitern) und der Politik des geringsten Widerstands in Berlin (bloß kein Ziel haben, das Ziel ergibt sich aus dem Weg, dann kann man auch nicht scheitern):



    Das war unter Merkel schon so, jetzt in der Krise prallen diese beiden Politikstile aufeinander. Das passt nicht zusammen.