Der Weltethiker Hans Küng: Die Hölle auf Erden vermeiden
Hans Küng war ein mutiger Theologe. Aber noch viel mehr: Sein „Weltethos“ zeigt einen Weg, um Kulturen, Religionen und die Umwelt zu versöhnen.
Sie sind von der taz? Nein, mit der taz rede ich nicht“, sagte Hans Küng, als ich ihn Mitte der 90er Jahre anrief. Ehrlich gesagt: An seiner Stelle hätte ich mit uns auch nicht gesprochen. Über irgendeine dumme Schlagzeile zu Kirche und Religion hatte er sich so geärgert, dass er nicht kommunizieren wollte.
Dabei war das nicht sein Stil. Sonst sprach er mit Tod und Teufel und sogar dem Papst, der ihm den Mund verboten hatte. Hans Küng, der große Schweizer Priester und Theologe aus Tübingen, der am Dienstag im Alter von 93 Jahren gestorben ist, dachte und lehrte weit hinaus über die engen Mauern der katholischen Kirche. Eine Sache ist in den Nachrufen ein bisschen untergegangen: sein Anstoß für einen Dialog der Religionen und Kulturen der Welt.
Denn seine Idee des „Weltethos“, befördert durch eine Stiftung, ist so aktuell wie nie. „Die Weltgesellschaft braucht keine Einheitsreligion und Einheitsideologie,“ meinte Küng, „wohl aber einige verbindende und verbindliche Normen, Werte, Ideale und Ziele.“
Zu Unrecht wird diese theologisch fundierte Idee bei vielen westlichen Weltretter*innen oft ignoriert. Für Küng war klar: Die großen und kleinen Religionen der Welt prägen die Kulturen, in denen sehr viele Menschen leben. Nur wenn sie sich kennen und austauschen, gibt es eine Chance auf Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Lebensgrundlagen. Er sagte: der Schöpfung.
Ohne Transzendenz keine Transformation
Diese religiöse Interpretation von Umwelt und Nachhaltigkeit passt nicht zur säkularisierten Ökoszene der Industrieländer, zum technisierten Klimazirkus und zum Konferenzrummel der UNO. Da gilt: Über die globale Religion des Kapitalismus darf man reden. Über die traditionellen Glaubens- und Lebensentwürfe zur Welterklärung aber nicht. Küng setzte dem mit seinem Weltethos etwas Überlebenswichtiges entgegen: Ohne Transzendenz keine Transformation.
Das klingt für taz-Ohren ketzerisch. Aber die Welt ist längst nicht so weltlich, wie sie manche durch ihre rosarote Säkularitätsbrille gern sehen. Glauben und Spiritualität sind zentral für das Verständnis von wichtigen Akteuren auf der Weltbühne: Im Nahen Osten sowieso, aber auch in Indien, in weiten Teilen Afrikas, im politischen Islam, der russsichen Orthodoxie oder bei den Trumpisten in den USA macht es einen himmelweiten Unterschied, ob und woran geglaubt wird. Wer mit diesen Menschen nicht über den Himmel reden kann, landet ganz schnell in der Hölle auf Erden.
Religion ist auf der anderen Seite auch Rohstoff für Frieden und Gerechtigkeit: Die indische Unabhängigkeitsbewegung unter Gandhi, die Bürgerrechtsbewegung in den USA, das Ende der Apartheid in Südafrika oder die Wende in der DDR sind ohne religiös motivierte Menschen nicht vorstellbar. Der Widerstand gegen Umweltzerstörung wie am Amazonas wird auch von Gläubigen getragen, in vielen „failed states“ halten Kirchen und Religionsgemeinschaften die Gesellschaften zusammen. Ohne die Kirchengemeinden gäbe es in Deutschland keine Agenda-21-Prozesse und kein Fairtrade-Handel.
Großartiges Erbe
Religionsgemeinschaften leisten inzwischen über ihre Hilfswerke soziale und ökologische Aufbauarbeit, sie lobbyieren bei Regierungen und prangern Konzerne an. Ohne die Enzyklika „Laudato Si“ von Papst Franziskus – der sich nach einem Öko-Heiligen benannte – wäre das Pariser Klimaabkommen kaum über die Zielllinie gekommen. An seltenen guten Tagen wie bei dieser Einigung findet die „Weltgesellschaft“ zu den verbindlichen Normen und Werten zusammen, die Küng forderte. Für alle anderen Tage braucht es ein Konzept wie das Weltethos: Die Menschen bei dem ansprechen, was ihnen heilig ist. Erst danach überzeugen CO2-Messdaten oder Börsenkurse.
Küng hinterlässt ein großartiges Erbe: sich einmischen, verschiedene Weltsichten zusammenbringen. Dabei immer genau analysieren, scharf argumentieren, Autoritäten infrage stellen. In der Summe ist das fruchtbar, im Alltag oft unbequem. Man kann sich vorstellen, warum sie im Himmel 93 Jahre gewartet haben, bis sie bereit waren für Hans Küng.
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