Schweizer Kirchenkritiker: Theologe Hans Küng ist tot
Mehr als ein halbes Jahrhundert lang warb der Schweizer für ein zeitgemäßes Christentum. Nun ist er im Alter von 93 Jahren gestorben.
Früh entschied sich der hochbegabte älteste Sohn eines Schuhhändlers im Schweizer Kanton Luzern für den Priesterberuf. Am Collegium Germanicum in Rom unterwirft sich der spätere „fromme Rebell“ einer strengen Eliteausbildung und machte früh auf sich aufmerksam. Als junger Tübinger Professor, der in seiner aktiven Zeit eher wie ein Skilehrer wirkte, wird er zum Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) berufen.
Ende 1979 hatte ihm Rom wegen seiner kritischen Sicht auf die Kirche die katholische Lehrerlaubnis entzogen. Doch dies hinterließ keine Schatten auf einer der brillantesten akademischen Karrieren des 20. Jahrhunderts. Im Gegenteil: Gerade mit seinem Ruf als „Ketzer“ eroberte er sich ein Millionenpublikum, obwohl ihm die Rolle des Papstkritikers „keineswegs angenehm“ war, wie er einmal sagte.
„Was dürfen wir hoffen? Wozu sind wir auf Erden? Was soll das Ganze?“, fragte Küng. Vor allem in seinen Büchern – die Gesamtausgabe ist auf 24 Bände angelegt – gab er seine Antworten auf das, worauf es im Leben ankommt. Küng war dabei auch immer politisch: Die stärker gewordene Rolle der Religion verlange mit Blick auf die Konflikte auf der Welt nach seriöser Information: „Nur dadurch lässt sich die ständig drohende Instrumentalisierung der Religion für politische, ökonomische, ethnische und nationale Interessen vermeiden“, schrieb Küng Anfang 2017.
Kein Frieden ohne Dialog
Zeitlebens mahnte er Politik, Kirche und Wissenschaft zu einem umfassenden Bewusstseinswandel. Modelle für ein friedliches 21. Jahrhundert suchte seine Stiftung „Weltethos“. In diesem Rahmen predigte er seit den 80er Jahren unermüdlich seine einfache Formel: Kein Frieden zwischen den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden zwischen den Religionen ohne Dialog.
Als ihm unter Papst Johannes Paul II. die kirchliche Lehrerlaubnis „missio canonica“ entzogen wurde – Küng hatte die Frage nach der Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes gestellt – wurde er freilich nicht arbeitslos: Bis zur Emeritierung 1996 lehrte der polyglotte Küng ökumenische Theologie und leitete das Tübinger Ökumene-Institut. Sein Lehrstuhl für christliche Theologie war – ein Novum in der deutschen Universitätsgeschichte – rechtlich keiner Kirche zugeordnet.
Der Entzug der Lehrerlaubnis förderte seine Bekanntheit außerhalb der Kirchen enorm. Je mehr Johannes Paul II. und Benedikt XVI. seine Impulse blockierten, desto mehr wurde Küng zur geheimen Leitfigur an der Basis reformorientierter Katholiken, bilanzierte einmal die Reformbewegung „Wir sind Kirche“. Die Schriften von Küng „veranschaulichen die neue Lebendigkeit“ der katholischen Theologie seit den 60er-Jahren, so der Kirchenhistoriker Alister E. McGrath.
Küng betonte immer wieder sein eigenes „Katholischsein“. Zum Stand der Ökumene bilanzierte er nüchtern: „Die meisten Katholiken und Protestanten kümmern sich schon gar nicht mehr um die Spaltung. Sie leben die Ökumene ganz selbstverständlich und unbekümmert um römische Dekrete in Dogma und Moral an der Basis.“ Es gebe keinen „theologischen Grund, warum Rom die Ämter der anderen Kirchen nicht endlich anerkennt und die Abendmahlsgemeinschaft nicht hergestellt werden kann“, war Küngs Grundüberzeugung.
Der in seinen späten Jahren an Parkinson und einem schweren Augenleiden erkrankte Küng hatte vor einigen Jahren mit der Ankündigung Aufsehen erregt, für sich möglicherweise aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Für ihn komme das in Betracht, „wenn ich irgendwelche Zeichen von Demenz spüre“, erläuterte er in dem Buch „Glücklich sterben?“ von 2014. Nun ist er am Dienstagnachmittag friedlich eingeschlafen, wie es aus seinem Umfeld hieß.
In einem Interview mit der Talkshow-Moderatorin Anne Will sagte Küng 2013: „Ich habe alle Bücher geschrieben, die ich schreiben wollte, habe alle Reisen gemacht, die ich machen wollte. Also ich bin in diesem Sinne ein glücklicher Mensch, relativ glücklich, und kann sagen, mein Werk hat sich in etwa gerundet und vollendet.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben