Der Staat als Vorbild: Ungeheuer ohne Zähne
Ist der Staat ein schlechtes Vorbild, weil er die vom Bürger eingeforderte Grundsteuererklärung nun selbst verschludert? Kann sein, ist aber auch egal.
E s stimmt schon: Der Gedanke liegt nahe, dem Staat seine beim Grundsteuerdesaster gehörig verpatzte Vorbildfunktion unter die Nase zu reiben. Besonders klug ist es aber nicht. Denn es sieht höchstens ein bisschen witzig aus, wie Finanzministerien, -ämter und Kommunen private Grundbesitzer:innen erst monatelang wegen der Grundsteuererklärungen auf Trab gehalten haben – um dann kurz vor Fristende im Januar für staatseigene Liegenschaften weiteren Aufschub auszuhandeln. Weil das alles viel zu kompliziert und aufwendig sei.
Das Land Bremen etwa hat gerade mal zwei Drittel eingereicht. Auch Baden-Württemberg, Hamburg, Schleswig-Holstein und Sachsen hängen hinterher. Selbst der Bund als Vorbild der Vorbilder kriegt es nicht geregelt und fasst zurzeit die Abgabe im Herbst ins Auge: September, oder so. Mal gucken.
Wer’s nicht mitbekommen hat: Die Höhe der Grundsteuern soll neu berechnet werden, wofür allerlei Daten ins System müssen. Genauer gesagt: an anderer Stelle ins System, denn vorliegen tun sie längst: Grundstücksgrößen, Nutzflächen der Gebäude, Lage, Flurstück, Grundbuchblatt … das alles ist dem Staat durchaus bekannt, muss jetzt aber eben von einer Tabelle in die andere, wofür man – weil es wie gesagt nervt wie Sau – die Bürgerinnen und Bürger in die Pflicht nahm.
Vorstellen kann man sich das wie die Volkszählung in der Bibel, nur eben digital und etwas absurder, weil Volk und Quadratmeter eben längst durchgezählt waren. Das „Wie weiter“ hängt dann vom jeweiligen Land ab, dreht sich hier um „Bodenrichtwert“, dort ums „Wohnlagemodell“ – oder beispielsweise in Niedersachsen ums „Flächen-Lage-Modell“, was dem Auswürfeln vielleicht noch am nächsten kommt. Vielleicht auch nicht, ist ganz egal.
Und natürlich ist es hochgradig peinlich, dass der Staat beim eigenen Grund und Boden nicht in die Pötte kam. Aber „Vorbildfunktion“, wie sie unter Grundeigentümer:innen im Plausch am frisch vermessenen Gartenzaun heißt – und bisweilen auch in Redaktionskonferenzen der taz? Von wegen „ausgerechnet Dings müsste doch bums!“.
Ein ideeller Gesamtkindergärtner
Diese Vorstellung vom Staat als ideellen Gesamtkindergärtner überzeugt nicht und macht auch ein bisschen betroffen. Was ist nur geworden aus den Monstern alter Zeiten: dem Leviathan, wie Thomas Hobbes den absolutistischen Staat beschrieb – oder Behemoth, Franz Neumanns institutionalisiertes Chaos im faschistischen deutschen Unstaat. „Ein schlechtes Vorbild“ kann dagegen nur abstinken.
Der Staat spricht die Sprache der Gewalt, eine andere kennt er nicht – erst recht nicht die der Pädagogik. Andererseits passt es schon. Schließlich fällt auch die Gängelung säumiger Grundeigentümer:innen tatsächlich verhältnismäßig harmlos aus. So hatte das Handelsblatt im Interesse seiner Kernklientel neulich mal nachgefragt, was nun eigentlich passiere, wenn wer die Frist verstreichen lasse. Die Antwort: Erstmal nichts. Ab Sommer gehen vielleicht Mahnungen raus, oder mal sehen.
Vielleicht ist der Leviabehemoth träge geworden. Sicher spielt auch eine Rolle, dass es ausnahmsweise die besitzende Klasse ist, nach der er hier die Klauen ausstreckt. Erst mal jedenfalls. Denn sollten die Zahlen je erfasst sein, geht’s ja ans Bezahlen, wofür natürlich die Mieter:innen zuständig sein werden. Und dann dröhnt vielleicht wieder ein urtümlich-brachiales Brüllen aus der depperten Maske des schlechten Vorbilds.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste