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Der Rabin-Mord und die jetzigen ProtesteNur eine Eintagsfliege

Judith Poppe
Kommentar von Judith Poppe

Die Protestbewegung in Israel arbeitet sich an Netanjahu ab und klammert den Friedensprozess mit den Palästinensern aus. Das ist kurzsichtig.

25.000 Kerzen zum Gedenken an Yitzchak Rabin am 29.10. in Tel Aviv Foto: Corinna Kern/reuters

A m Abend des 4. November 1995, kurz bevor ein nationalreligiö­ser Extremist den damaligen Ministerpräsidenten und Architekten des Friedensprozesses Jitzchak Rabin ermordete, versammelten sich in Tel Aviv mehr als Hunderttausend Israelis für den Frieden. Damals spaltete der Friedensprozess die Gesellschaft. Auch zurzeit gehen wieder Zehntausende auf die Straßen. Sie warnen vor dem Untergang der Demokratie, vor einer Delegitimierung des Justizsystems und fordern den Rücktritt des wegen Korruption angeklagten Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

Alle, die nun die Demokratie vor ihrer Aushöhlung bewahren wollen, übersehen das Offensichtliche: den Friedensprozess mit den Pa­läs­ti­nenser*innen. Die derzeitige Protestbewegung klammert das Thema aus, obwohl ein Großteil ihrer Mitglieder die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit den Palästinenser*in­nen wohl befürworten würde. Zugegeben, das Thema Frieden führt in Israel oft zu Konflikten. Möglicherweise haben die De­monstrant*innen das Gefühl, dass sie sich eine solche Spaltung nicht leisten können.

Die Vermeidung dieses existenziellen Themas schwächt jedoch die Bewegung. Sie droht eine Eintagsfliege zu bleiben. Spätestens mit einem Abgang Netanjahus würde sie sich in Luft auflösen, obwohl aller Voraussicht nach ein Politiker wie der Groß-Israel-Befürworter Naftali Bennett folgen würde. Die Besatzung würde weitergehen, der Friedensprozess brachliegen.

Den Elefanten im Raum sichtbar zu machen und Friedensbemühungen mit ins Programm aufzunehmen würde die derzeitige Protestbewegung nachhaltiger und überzeugender machen. Zumal diejenigen, die am Abbau der hiesigen Demokratie werkeln, auch diejenigen sind, die vernünftige Verhandlungen mit den Palästinenser*innen verhindern. Mit dem Thema Frieden auf der Fahne könnte die Protestbewegung ein ernst zu nehmender politischer Akteur werden, der dem derzeit übermächtig scheinenden rechten Konsens etwas entgegensetzt.

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Judith Poppe
Auslandsredakteurin
Jahrgang 1979, Auslandsredakteurin, zuvor von 2019 bis 2023 Korrespondentin für Israel und die palästinensischen Gebiete.
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1 Kommentar

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  • Als Lektüreempfehlung oben drauf, vor kurzem erschienen: Omri Boehm, Israel- Eine Utopie, bei Propyläen. Israelischer Philosoph, früher auch beim Shin Bet, diskutiert noch einmal die angeblich so utopische Einstaatenlösung entwirft dabei ganz nebenbei ein konföderatives Model für Israel/ Palästina und findet die Grundlagen dazu bei Begin; wie - Palästinenser u Juden- zueinander finden, miteinander leben können, indem man z.B. beider Katastrophen, Shoa u Nakba zur gemeinsamen Erinnerung macht, er bespricht auch die deutsche Debatte oder Nichtdebatte über Israel und kann sogar mit Kant überzeugend begründen warum sich Deutsche zu Israel äußern sollten (als Ausgangspunkt nimmt er ein Interview mit Habermas, der als Deutscher nichts zu Israel sagen wollte und führt auf die Mbembe- "Debatte" hin.)

    Warum umkreist die Linke das Thema Frieden? weil Sie in der dann notwendigen Annäherung sich mit der Nakba ernsthaft befassen müsste, sie klagt die Siedler in der Westbank an als Repräsentanten des schlechten Zionismus während sie selbst und ihre intellektuellen Sprachrohre der alten Generation- Amos Oz, David Grossman, das Thema Nakba nicht anrühren wollen, sonst müssten Sie erkennen, dass die Siedlungen in der WB nur die Fortsetzung des "guten alten" Zionismus ist. Interessant auch bei Omri Boehm, er bespricht noch einmal Amos Oz' Soldateninterviews über den Krieg 1967 und wie Oz diese im Dienst des Aufbaus eines Mythos richtiggehend frisiert und verfälscht hat. Aus welchen Motiven auch immer man - die israelische Linke, Oz usw. - sich hier in die eigene Tasche lügt (historische Traumatisierungen, Schuldgefühle, Ängste, Fütterung und Pflege des eigenen Opfernarrativs durch die Rechte), das Thema Frieden und zuvor das Eingeständnis der Nakba meidet, mehr noch: taz.de/Zionismuskr...erlin/!5717567&s=/ früher oder später muss es auf den Tisch, wenn man keine Fortsetzung der aktuellen Entwicklung und einen Apartheidstaat haben will.