„Der Block“ von Jérôme Leroy: Zwei Männer, die Faschisten wurden
In seinem ersten Roman unternimmt Jérôme Leroy eine Reise ins nachtschwarze Herz des französischen Rechtsextremismus.
Ein Mann soll sterben. Stanko, Freund und einst rechte Hand des mächtigen Antoine Maynard, des Gatten der Parteichefin einer rechtsextremen Partei, ist im Weg. Als Chef der paramilitärischen Eingreiftruppe der Organisation hat Stanko zu viele Gewalttaten begangen und befohlen, als dass er für den „Block“, wie die Partei sich nennt, weiter tragbar wäre, wenn sie mit an die Regierung kommt. Und dieser Moment steht kurz bevor.
Frankreich wird von schweren Krawallen erschüttert, die Toten auf den Straßen werden stündlich mehr, und die Rechten haben die Zeichen der Zeit geschickt für ihre Zwecke zu nutzen gewusst. Parteichefin Agnès Dorgelles bewegt sich in höchsten politischen Kreisen, weshalb in den schmuddeligen Hinterzimmern der Partei dringend ein bisschen aufgeräumt werden muss. Dass Stanko, der als Bauernopfer auserkoren wurde, ein alter, sehr guter Freund von Antoine ist, spielt dabei keine Rolle.
Jérôme Leroy, der auch als Literaturkritiker tätig ist, hat eigentlich keinen Kriminalroman geschrieben – da mag sein deutscher Verlag dieses Wort auch noch so groß auf den Buchumschlag drucken. Es handelt sich bei „Der Block“ vielmehr um das in eine angemessen dramatische Rahmenhandlung eingebettete Porträt zweier Männer, die innerhalb des rechtsextremen Kontexts, in dem sie agieren, jeweils einen bestimmten psychosozialen Typus repräsentieren. Hinter dieser literarischen Personenanordnung steht letztlich die Frage, wieso manche Menschen zu Faschisten werden.
Kapitelweise erzählt Leroy abwechselnd aus Stankos und aus Antoines Perspektive, in den Stanko-Kapiteln in erster Person, in den Antoine-Kapiteln im recht seltenen Format der Du-Erzählung. Bereits diese äußere Form verweist auf die grundsätzlich verschiedene Lebensperspektive beider Männer: Stanko, der Arbeitersohn, verarbeitet die Welt grundsätzlich über körperliche Erfahrungen und ist eins mit sich selbst, ohne jegliche reflektierende Distanz. Erfahrungen von Ohnmacht und Gewalt, die er während seiner Kindheit in dem Milieu machen musste, in dem er aufwuchs, haben ein Trauma in ihm hinterlassen, dem er nicht anders als mit Brutalität zu begegnen weiß.
Jérôme Leroy: „Der Block“. Aus dem Französischen von Cornelia Wend. Edition Nautilus, Hamburg 2017, 320 S., 19,90 Euro
Antoine hingegen ist ein Intellektueller klassischen Zuschnitts, ein Literat, der nicht nur die Umwelt, sondern auch sich selbst mit fast spöttischem Blick aus einem gewissen Abstand betrachtet. Dazu passt sein erster Satz: „Letztlich bist du also wegen der Möse einer Frau Faschist geworden.“ Denn eigentlich ist Antoine ein Nihilist reinsten Wassers ohne echte Überzeugungen und gleichzeitig, auf eine ziemlich klischeehaft urfranzösische Art, ein dezidierter Genussmensch.
Er genießt die Macht, den Sex mit seiner Frau und – auf fast dieselbe libidinöse Weise – die Gewalt, wenn er unerkannt mit seinem alten Freund Stanko unterwegs ist, um störende Subjekte aufzumischen und dabei keine Gefangenen zu machen. Wenn die Partei Stanko beseitigen will, wird Antoine ganz nebenbei also auch einen Mitwisser los.
40 Jahre Deutscher Herbst: Am 5. September 1977 entführten RAF-Terroristen Hanns Martin Schleyer, um ihre Führungsspitze freizupressen, die in Stammheim inhaftiert war. 91 Geiseln kamen hinzu, als die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführt wurde. Die Bundesregierung zeigte sich unbeugsam, Schleyer wurde ermordet, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nahmen sich das Leben. Zeitzeugen und Nachgeborene rechnen mit der RAF ab – auf 14 Seiten. Am Samstag am Kiosk, im eKiosk oder im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Während Stanko auf der Flucht ist und sich mit einigem Erfolg gegen seine Verfolger zur Wehr setzt, wartet Antoine zu Hause auf die Rückkehr seiner Frau. In diesem einen Satz lässt sich auch schon die ganze Handlung zusammenfassen. Praktisch alles andere ist Rückblick. Da die Erzählperspektive fest in den Köpfen der beiden Hauptfiguren verschraubt wurde, dauert es eine Weile, bis man die Zusammenhänge durchschaut. Als Leser kriegt man bei Leroy nichts geschenkt, man muss sich seine eigene Reise in die nachtschwarzen Windungen des Fascho- bzw. Nihilistenhirns erarbeiten.
Es ist keine schöne Reise. Aber sie wartet mit Einblicken auf, die nicht mal eben um die Ecke liegen. Leroy gelingt es, eine plausible Ahnung vom Leben und Fühlen am braunen Rand der bürgerlichen Gesellschaft zu vermitteln. Dass dessen trübe Wasser sich aus extrem unterschiedlichen, sozial gegensätzlichen Quellen speisen können, ist einem als Gedanke vielleicht schon vorher nicht völlig fremd gewesen. Aber bei Leroy wird daraus eine echt gruselige Einsicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!