Demos gegen TTIP und Ceta: Gabriel nimmt's locker
Zehntausende Menschen gingen gegen die Abkommen Ceta und TTIP auf die Straße. Doch ihr Gegner bleibt unbeeindruckt.
Doch während die Profipolitikerin einen Applaus nach dem anderen genießt, ist Weber hier nur der Buhmann: Kaum macht Matthias Weber den Mund auf, fängt die Menge vor ihm an zu buhen. Sie pfeifen ihn aus, als hieße er Sigmar Gabriel.
Was ist sein Fehler? Matthias Weber, Stadtrat in Leipzig, ist Mitglied der SPD.
Und obwohl er bekennender Ceta-Gegner ist, kann er an diesem Samstag nicht mit Unterstützung rechnen. Die meisten hier haben brass auf die Sozialdemokraten. Sie wollen, dass die SPD jenes Abkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union stoppt; dass die Partei die Reißleine zieht, denn geht es nach denen, die hier stehen – viele Umweltbewegte, viele Gewerkschafter –, dann gleicht das Freihandelsabkommen mit Kanada dem Sofortausverkauf des Staatswesens.
„Gibt es auch künftig noch das Recht auf Koalitionen?“, ruft eine Verdi-Rednerin von der Bühne. „Dürfen wir uns künftig noch in Gewerkschaften organisieren?“
Ihr, übertriebener, Alarmismus soll vermitteln: Das Ende ist nahe.
Ironie der Geschichte
Weit über 150.000 Menschen haben am Samstag in sieben verschiedenen deutschen Städten gegen das geplante Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) und das ebenfalls im Raum stehende Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA (TTIP) demonstriert.
Ihr Termin ist überlegt gewählt. Ein Bündnis aus über 30 Organisationen hatte seit Monaten mit einer sehenswerten Materialschlacht zu dem Protesttermin mobilisiert, vor allem, um an diesem Wochenende ganz konkret Druck auf die SPD auszuüben.
Am Montag entscheiden die Sozialdemokraten auf einem Parteikonvent in Wolfsburg über die Frage, ob ihr Parteichef und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel das Abkommen stoppen muss. Für Gabriel, der das Abkommen befürwortet, wäre das eine herbe Niederlage und eine gravierende politische Schwächung.
Gerade deshalb ist es nicht unwichtig, was Männer wie Matthias Weber von der SPD-Basis denken und welche Macht sie am kommenden Montag entfalten können, wenn die Parteidelegierten ihre Entscheidung fällen. Dass ausgerechnet Weber in Leipzig ausgepfiffen wird – Ironie der Geschichte.
Treckerfahren gegen Gabriel
In Berlin gingen die Demonstranten etwas pfleglicher mit den Sozialdemokraten um, die unter ihnen waren. So erhielt der Berliner SPD-Politiker Jan Stöß Applaus für seinen Redebeitrag. Stöß war zuvor der einzige gewesen, der bei einer Abstimmung im Parteivorstand der SPD offen dagegen gestimmt hatte, das Abkommen mit Ceta zu unterzeichnen. Er sagte am Samstag: „Ich bin überzeugt, dass ich beim Konvent nicht der einzige sein werde, der gegen Ceta stimmt.“
In Hamburg, wo der Demonstrationszug von Bauern auf Treckern angeführt wurde, ist Sigmar Gabriel in verschiedenen Redebeiträgen an diesem Samstag ebenfalls immer wieder scharf angegriffen worden.
Auch in Stuttgart, München, Frankfurt und Köln gingen am Samstag zehntausende Menschen auf die Straßen. Die Organisatoren sprachen von insgesamt 320.000 TeilnehmerInnen in ganz Deutschland. Damit hätten sie ihr selbst gestecktes Ziel erfüllt, wonach sie deutlich mehr DemonstrantInnen mobilisieren wollten als im Oktober 2015, als nach Organisatorenangaben 250.000 Menschen auf die Straßen gingen.
Nach taz-Einschätzung meinten die Organisatoren es allerdings diesmal auch besonders gut mit den eigenen Zahlen. In Berlin, wo die Organisatoren in Übereinstimmung mit der Polizei von 70.000 TeilnehmerInnen sprachen, gingen nach taz-Einschätzung weniger Menschen auf die Straßen. Hier hatten die Organisatoren zuvor das Ziel von rund 80.000 DemonstrantInnen ausgegeben. In Hamburg sprachen die Organisatoren von 65.000 Teilnehmerinnen, die taz schätzte 40.000 bis 50.000 TeilnehmerInnen. In Leipzig zählten die Organisatoren 15.000 Demonstranten, die taz zählte 10.000. Auch damit zählen die Proteste zu den größten der vergangenen Jahre.
Sigmar Gabriel ließ das unterdessen unbeeindruckt. Er verteidigte gegenüber der Bild am Sonntag das Abkommen erneut und sagte: „Würde Ceta scheitern, dann wäre der Versuch, die Globalisierung so zu gestalten, auf Jahrzehnte gescheitert. Denn niemand würde uns Europäer dann noch ernst nehmen.“ Eines machte der SPD-Chef in dem Gespräch mit der Zeitung allerdings vorsichtshalber auch gleich klar: Die Abstimmung über Ceta sei nicht an seine Person geknüpft.
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