Demos gegen Flüchtlinge: Nazis laufen undercover
In Boizenburg dominiert die NPD den MVgida-„Spaziergang“. Gegenprotest fehlt. In Mecklenburg marschieren vielerorts „Asylkritiker“ auf.
Es ist Montagabend in Boizenburg. In der kleinen Stadt in Westmecklenburg ist MVgida aufmarschiert. Die fromme Hoffnung, die selbsternannte „Unabhängige Bürgerbewegung für Demokratie“ würde sich nach der Sommerpause auflösen, hat sich nicht erfüllt. In mehreren Städten des Bundeslandes ist sie längst wieder auf die Straße gegangen gegen die angebliche „Asylflut“ und „Islamisierung des christlichen Abendlandes“.
„Die gesamte Szene hat nur noch ein Thema Asyl und Flucht“, sagt Laura Schenderlein vom Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg. Sie nutze die politische Unsicherheit aus.
Am Sonnabend hatten in der Landeshauptstadt Schwerin 600 Männern und Frauen an einem MVgida-Spaziergang teilgenommen – unter ihnen der NPD-Landtagsfraktionschef Udo Pastörs, dessen Mitarbeiter Theißen und Fraktionsmitarbeiter Michaeal Grewe. Unter den Slogan „Schwerin wehrt sich“ wird weiter für Aktionen geworben.
Bereits am 16. September hatten etwa 110 bekennende Rechtsextreme und „Asylkritiker“ unter dem Motto „Wismar wehrt sich“ im Stadtteil Friedenshof demonstriert. An der Strecke bepöbelten sie Journalisten und Flüchtlingsunterstützer. Torsten Schramke, der MVgida-Aufmärsche in Schwerin verantwortet, heizte die Stimmung mit David Bühring an.
In Boizenburg lief der MVgida-Zug begleitet von der Polizei durch fast leere Straßen. Kein Protest war sichtbar, keine Antinazi-Parole zu hören. Am Rande der Route begrüßten einzelne Passanten Mitmarschierende und entschuldigten sich dafür, dass sie sich nicht einreihten.
Theißen hatte die „lieben Freunde“ bei einbrechender Dunkelheit auf dem Marktplatz begrüßt. Unter Applaus rief er, dass die Kriegsflüchtlinge Wirtschaftsflüchtlinge seien. In die Runde blickend, sagte er weiter, dass zwar in Schwerin am 19. September doppelt so viele besorgte Menschen für ihre Zukunft, Heimat und Volk auf die Straße gegangen seien. 300 Teilnehmer seien für Boizenburg aber ein großer Erfolg.
Die NPD war bemüht, nicht gleich mit ihrem Logo sichtbar den Spaziergang zu bestimmen. Keine Parteifahne wehte im Wind. Die Partei beschnitt sich für den Schein einer vermeintlich unparteiischen Veranstaltung selbst. Plakate wie „Asylflut stoppen“ und „Es ist Zeit zu rebellieren“, die junge Frauen hochhielten, hatten ein unübliches Format. Die Stellen, wo sonst der Parteiname zu sehen gewesen wäre, waren abgeschnitten.
In der Stadt mit rund 10.000 Einwohnern schien diese Zurückhaltung nicht nötig. Freundlich bis herzlich begrüßten sich die vermeintlichen Retter und Retterinnen des Abendlandes. Da wurde Theißen herzlich die Hand geschüttelt und dem NPD-Fraktionsmitarbeiter Grewe kräftig auf die Schulter geklopft. Berührungsängste mit der NPD – hier nicht.
Die „Qualitätsmedien“, schimpfte Theißen, würden „Jagd“ auf die Kritiker des „Asylwahnsinns“ und diejenigen machen, die vor einem „Austausch der Bevölkerung“ warnten. Die Stadt sei durch das Erstaufnahmelager im nahen Ort Horst besonders von dem Problem der vielen „Asylanten“ betroffen, sagte er.
Horst ist keine zehn Autominuten von Boizenburg entfernt. Mitten im Nirgendwo liegt die Erstaufnahmeeinrichtung in der zur Zeit mehr als 600 Männer, Frauen und Kinder untergebracht sind. Aus Sorge vor Übergriffen hatte der Flüchtlingsrat Hamburg sich zum Termin des MVgida-Spaziergangs mit Unterstützern zu der Einrichtung aufgemacht.
Am 26. September marschieren die Rechtsextremen wieder in Wismar. Weitere Termine sind für die Region sind angekündigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge