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Demonstration von VerbändenWirtschaftslobby will weniger Staat

Demo der Wirtschaftsverbände fordert „weniger Bürokratie“. Doch ob es um die Wirtschaft wirklich so schlecht steht, ist umstritten.

Teil­neh­me­r:in­nen der Demonstration von Wirtschaftsverbänden am Mittwoch in Berlin Foto: picture alliance/dpa | Hannes P Albert

Berlin taz | Wirtschaftsverbände in ganz Deutschland haben ein Umdenken in der Wirtschaftspolitik gefordert. Sie warnten davor, dass hohe Strompreise in der Industrie die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland gefährden. Zusätzlich kritisierten sie, dass deutsche Unternehmen oft zu viele bürokratische Hürden überspringen müssten.

Dabei kam vor allem die Wirtschaftspolitik der SPD und Grünen schlecht weg. Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“, kritisierte in einer Rede vor dem Brandenburger den Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grünen) scharf. Dieser habe keine wirtschaftspolitische Kompetenz, so Ostermann. Der SPD unterstellte sie, dass die Partei sich „weigert strukturelle Nachteile des Standorts Deutschland überhaupt in den Blick zu nehmen“. Dementsprechend sei die SPD mitverantwortlich für die steigende Arbeitslosigkeit.

Bei der Kundgebung in Berlin bemängelten Teilnehmer der Demonstration eine schwierige Lage der deutschen Wirtschaft. Ralf Henkler vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) sagte: „Die Wirtschaftsentwicklung ist in ganz Europa positiv, nur in Deutschland nicht“. Konkret kritisiert er, dass „Unternehmen monatlich von neuen Verordnungen gefesselt werden“.

Unterstützt wurde die Veranstaltung von Politikern der CDU und FDP. Vor Ort waren unter anderem der ehemalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) und der Generalsekretär der CDU, Carsten Linnemann. Auf der Kurznachrichtenplattform X schrieb Lindner dazu: „Der Wirtschaftswarntag macht klar, was die deutsche Wirtschaft besorgt: ein mutloses ‚Weiter-so‘ einer Unionskoalition mit SPD oder Grünen.“

Gegenwind aus der Wirtschaft

Doch die Kundgebungen treffen in der Wirtschaft nicht nur auf Zustimmung. Jonathan Barth, Senior Advisor am Cambridge Institute for Sustainability Leadership sagt: „Durch die einseitige Zuspitzung der Kampagne wird die deutsche Wirtschaft aber schlechter geredet als sie ist“. Stattdessen fürchtet er einen wirtschaftspolitischen Eiertanz, bei dem es nur Verlierer gäbe.

Während der Veranstaltung wurde auch das rechtsextreme Magazin „Compact“ verkauft. Laut Innenministerium verbreitet das Magazin eine verfassungsfeindliche Grundhaltung. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte das Magazin verbieten wollen, jedoch darf dies nach einer Gerichtsentscheidung vorerst weiter publizieren.

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14 Kommentare

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  • Wenn man sich die Umsatzzahlen der letzten Jahre von dem kleinen Familienunternehmen der Frau Ostermann anschaut, fragt man sich schon warum die immer so jammerig unterwegs ist...

  • Da demonstrierten nicht (nur) die kleinen Familienunternehmer, die lokal verankert sind und für die Mehrheit der Arbeitsplätze und Waren in ihrer Region. Da demonstrierten als Verbandsmitglieder auch Konzerne mit internationaler Ausrichtung und Milliardenumsätzen, wie Bertelsmann, Dr. Oetker, Miele usw. Da wurde vor allem offen Lobbyarbeit für mehr unternehmerische Freiheit von sozial-ökologischer Verantwortung gemacht. Dass u.a. Kosten für die soziale Sicherung auf die ArbeitnehmerInnen abgewälzt werden sollen und in keinem Punkt erklärt wird, wie geforderte Einnahmeverluste von Staat und Privathaushalten gegenfinanziert werden sollen, wurde von anderen schon kritisch angemerkt.

    Unternehmen, Wirtschaftsverbänden und Parteien (von Blau, Scharz, Gelb bis Grün und Rot) geht es um eine zweite Agenda 2010: Kapitaleigentümer, Investoren und Unternehmer sollen insgesamt entlastet werden, die Arbeitskosten sinken und die Privathaushalte dafür den Preis mit niedrigeren Reallöhnen und -renten, höheren Ausgaben für private Vorsorge, Lebensmittel und Gebühren zahlen. Zusammengefasst: mehr staatlich garantierte Ungleichheit im Verteilungskampf zwischen Arm und Reich.

    • @Stoersender:

      Ebend - Begriff " Familienunternehmen " ist ja kein geschützter Begriff. Von einem Berufstätigen -



      über 20.000 Arbeitnehmer - bis ohne Höchstgrenze - auch das Familienunternehmen von Söders Ehefrau Karin , mit Standorten in über 20 Staaten - die Baumüller Gruppe, gehören dazu.

  • Viele Unternehmen haben bestimmt Probleme, oft ist "die Wirtschaft" aber auch nur chronisch am Jammern.

    Beispielsweise scheint ja genug Geld da zu sein, um dicke Firmenwagen zu kaufen. Um nach Betriebsschluss die Festbeleuchtung anzulassen. Oder, im Fall es Einzelhandels, die Türen offenstehen zu lassen, auch in Heiz- oder Klimaanalagenperioden. Oder, im Fall des Versandhandels, die Rücksendungen der Kund/innen zu bezahlen (oder bezuschussen).

  • Wenn die Wirtschaft "weniger Bürokratie" sagt, meint sie oft einfach "weniger Arbeitsrechte, Umweltschutz, Steuerbeiträge".

    Bürokratie hat zu Unrecht einen schlechten Ruf, viel Gutes basiert darauf, neben den genannten Punkten auch Sicherheit, bis hin zu den Vorschriften, wie hoch Treppenstufen sein dürfen.

  • taz: *Zusätzlich kritisierten sie, dass deutsche Unternehmen oft zu viele bürokratische Hürden überspringen müssten. [...] Vor Ort waren unter anderem der ehemalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) und der Generalsekretär der CDU, Carsten Linnemann.*

    'Freie Fahrt' mit der CDU/CSU/FDP wäre den Unternehmern sicherlich am liebsten. Noch mehr ausuferndes klimaschädliches Wirtschaftswachstum ohne bürokratische Hürden; wo die Fabrikschornsteine CO2 bis zum Abwinken heraushauen dürfen. Am besten auch keine "nervigen Klimaschützer" mehr, die 'frech' eine Zukunft für sich einfordern, anstatt sich endlich mal Aktien von RWE und anderen "umwelt- und klimaschützenden Unternehmen" zu kaufen.

    Im Grunde kann man nur hoffen, dass der Klimawandel dieser ganzen Idiotie bald ein Ende setzt, denn der Homo sapiens (wer hat den Menschen eigentlich mal sapiens = 'weise, klug' genannt?) wird ohnehin nicht mehr schlau werden und endlich damit aufhören den Planeten (und damit sich selbst) zu zerstören. Der Wirtschaftswachstumswahnsinn wird solange weitergehen, bis der Planet die Schnauze vom Homo idioticus voll hat und ihm klar macht, dass man Naturgesetze nicht mit Aktienpakete umgehen kann.

  • Wäre interessant, was ebendiese Verbände, die gegen eine Koalition der CDU mit SPD und / oder Grünen sind denn wollen. Die CDU/CSU kann rechnerisch nicht alleine koalieren. Vielleicht träumen sie schon mal von einer CDU-AfD Koalition (die ich nach gestern nicht mehr für ausgeschlossen halte), sehnen sich gemeinsam mit Merz und Weidel nach geschlossenen Grenzen damit ja keine "Unerwünschten" mehr ins Land kommen und merken erst danach, dass CDU und AfD mitnichten praktische Lösungen für den Mittelstand haben. Geschlossene Grenzen heißt wieder stundenlange Staus für Waren und Pendler. Wer glaubt, das sei gut für die heimische Wirtschaft hat beim Brexit nicht aufgepasst. Hinterher bereuten es selbst glühende ideologischen Farange-Anhänger und waren gleichzeitig total überrascht über all die Nachteile für die britische Wirtschaft und ihr eigenes Geschäft. Die jenigen die realistisch davor gewarnt hatten, hielt man für ideologische Feinde und sich selbst für Realisten. Dass der Fall genau andersherum lag hat man halt erst danach an den dann eigenen wirtschaftlichen Verlusten gemerkt.

  • Wer wissen will, wie es um die Wirtschaft steht, möge in einen Betrieb reinschauen, der nicht von Staatsaufträgen lebt. Da sieht es ziemlich mies aus. Und gerade in kleineren Betrieben beschäftigt sich ein erheblicher Teil der Arbeitnehmer (20-40%, je nach Branche) mit der Erfüllung und Dokumentation der zehntausenden Vorschriften des deutschen Staates.

  • An dieser Stelle ist die Lage eindeutig:



    Die Bürokratie tötet Wirtschaft. Allein zum Jahresende 2024 haben in meiner Kanzlei 8-10 kleine Unternehmer komplett aufgegeben. Normal sind 2-3. Der Aufwand für die Buchführung (!) ist schon jetzt zu groß geworden, die E-Rechnung wird für Unternehmer dieser Größe dann auch keine Verbesserung sein.

    Ich könnte diverse Einzelbeispiele geben, gerade gestern musste ich einer kleinen Gastwirtin sagen, dass sie EUR 2.000,00 zurecht bekommene Coronahilfe zurückzahlen muss, wenn sie nicht JETZT, ganz schnell, Ihre Buchhaltung 2019 und 2020 so umbuchen lässt, dass man eine monatliche BWA ausweisen kann. Völlig abstrus und leider nur die Spitze des Eisberges.

  • Es steht bestimmt nicht gut um die Wirtschaft. In meinem Umkreis ist praktisch überall von schlechter Auftragslage und stellenweise bereits von Kurzarbeit die Rede.

    Ich will das nicht unbedingt der Ampel ankreiden. Die Basis für die heutige Entwicklung wurde bereits unter Merkel gelegt - eine Phase industriepolitischen Tiefschlafs...

    Aber die Ampel hat auch nur verschlimmbessert. Beispiel: 49-EUR-Ticket. Damit verbunden war die Hoffnung, dass all die Verkehrsverbünde und ihr Tarif- und Verwaltungsdschungel überflüssig werden könnten. In der Wirklichkeit existieren sie nun parallel fröhlich weiter und kosten Geld und jeder musste sogar noch eigene Vertriebs- und Verwaltungswege für das neue Ticket aufbauen. Warum eigentlich?

    Ähnliches gilt für die Krankenkassen. Wir leisten uns weiterhin den Luxus von zig Vorstandsetagen und Verwaltungen, die alle dieselben Leistungen verwalten, die ohnehin gesetzlich vorgeschrieben sind.

    In den öffentlichen Verwaltungen kocht jede Ebene und jedes Bundesland ihr eigenes Süppchen bei der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen, obwohl auch diese inhaltich in der ganzen Republik gleich sein könnten. Was für eine Verschwendung!

  • Dass "Familienunternehmen" oder "Mittelstand" als Kampfbegriffe von gesalbten Erben-Bonzen eingesetzt werden, sollte einen wirklich mittelständischen Unternehmer m/w/d doch zum Protest gegen diese Lobbyschmiere bewegen.

  • "Sie [die Wirtschaftsverbände] warnten davor, dass hohe Strompreise in der Industrie die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland gefährden". Wer war nochmal gegen den Industriestrompreis? Hm, mal überlegen, waren es vielleicht die Grünen? Oder die SPD? Ach nein, es waren die wirtschaftspolitischen Oberchecker von der FDP und der CDU.

  • Ich glaube das sofort, dass der Wirtschaftslobby weniger Staat sehr recht wäre. Dann könnten sie noch mehr ohne irgendwelche Rücksicht schalten und walten.



    Gut wäre in diesem Zusammenhang "besserer" Staat, aber das zu verhindern ist wohl die oberste Priorität eines großen Teils des Lobbyismus.