Demonstration für Opfer der Hanau-Morde: Auf den Schmerz der anderen achten
Rufe nach Intifada auf einer Hanau-Gedenkdemo? Statt das Leid anderer zu instrumentalisieren, wünscht sich unsere Autorin Räume des gemeinsamen Empowerments.
V ier Jahre ist es her, dass Deutschland erneut gezeigt hat, dass es nicht in der Lage ist, uns eine Heimat zu sein. Am 19. Februar 2020 wurden in Hanau neun Menschen durch einen rassistischen Terroranschlag ermordet. Bis heute gibt es keine lückenlose Aufklärung, keine Gerechtigkeit.
Um zu gedenken und die systematische Aufarbeitung rassistischer Strukturen zu fordern, ging ich kürzlich in Köln das erste Mal auf eine Hanau-Demo. Ich ging als Betroffene von rechtsextremer Gewalt aufgrund meiner jüdischen und migrantischen Identität. Und ich ging aus Solidarität jenen gegenüber, die dieser Gewalt stärker ausgesetzt sind als ich. Da ich als Weiß gelesen werde, wissen manche Rechtsextremist:innen nicht einmal, dass sie mich hassen.
Es ist ein ungemütlicher, regnerischer Abend. Es scheint fast so, als hätte sich auch der Himmel entschieden, an diesem Tag mit uns zu weinen. Immer mehr Menschen trudeln ein. Die Stimmung ist hitzig, Trauer und Wut liegen in der Luft. Wir marschieren los. „Wo wart ihr in Hanau?“, hallt es unisono durch die Straßen Kölns.
Ich fühle mich empowert und blicke in die Gesichter der Menschen, die am Straßenrand stehen. Ich bilde mir ein, dass die migrantisch gelesene Frau mit ihrem Sohn an der Hand Kraft aus der an ihr vorbeiziehenden Demonstration schöpft. Endlich wird der Rassismus in ihrem Land benannt. Aber da ist auch der ältere Mann, der sich aus dem Fenster lehnt und uns beschimpft. Zu laut, zu selbstbewusst scheinen ihm unsere Forderungen zu sein. Forderungen nach Standards, die für ihn eine Selbstverständlichkeit sind.
Plötzlich erstarre ich. Der Slogan „Von Hanau bis nach Gaza, Yallah Intifada!“ wird gerufen. Mein Bauch zieht sich zusammen. Ich kenne den Begriff Intifada gut, bin mit ihm aufgewachsen. Er stellt für meine Familie und Freund:innen in Israel eine unheilbare Wunde dar, entstanden durch eine lange Serie von Selbstmordattentaten in den 2000ern.
Ich bin hier, um Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov zu gedenken. Aber schlagartig ist da mein ganz eigener Schmerz. Ich wechsle die Straßenseite, entferne mich von der Menge. Wie soll ich gemeinsam mit Menschen demonstrieren, die das Trauma anderer als Symbol des eigenen Widerstands benutzen?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Ich versuche, dem Gefühl nicht viel Raum zu geben, denn es geht hier nicht um mich. Nicht umsonst haben die Angehörigen der neun Ermordeten darum gebeten, den 19. Februar nicht zu instrumentalisieren. Doch genau das passiert hier nun. Die Parole verschiebt den Diskurs. Ich verstehe das Bedürfnis der Intifada-Rufenden, auf die Lage in Gaza aufmerksam machen zu wollen. Aber es muss und es kann ohne Hetze stattfinden. Dass diese beiden Dinge hier missachtet werden, gibt mir das Gefühl nicht willkommen zu sein. Der Safe(r) Space, den diese Demo bieten wollte, ist für mich nicht mehr safe. Ausgerechnet eine Demo für die Sicherheit marginalisierter Menschen. Was für eine Ironie!
Dabei wünsche ich mir nichts sehnlicher als Räume des gemeinsamen Trauerns und des Empowerments. Dass von Hanau bis nach Gaza Menschen in Würde und Sicherheit leben. Und ich wünsche mir, dass ich mich bei diesem Kampf wenigstens durch meine Mitstreiter:innen beschützt fühle. Während rechtsextreme und menschenverachtende Politik in Deutschland rumwütet, ist es wichtiger denn je, dass wir zusammenhalten und aufeinander achten.
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